akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 386 / 11.01.1996

Rebellion im Gangsta-Paradise?

Interview mit Günther Jacob über HipHop und die Krise der Pop-Subversion

In einigen Popzeitschriften wird gesagt, HipHop sei die Musik der Jugendlichen und Minderheiten nach der Hoffnung auf Revolution und Utopie. Würdest du dem zustimmen?

Abgesehen davon, daß ich diese Gleichsetzung von "Jugendlichen" und unfreiwilligen Minderheiten ablehne, stört mich an solchen Behauptungen auch die Unterstellung, alle möglichen Leute würden permanent irgendeine Revolution anstreben oder seien deprimiert, weil keine in Sicht sei. Du kannst heute jeden beliebigen Mitmacher fragen und er wird dir erzählen, daß er in Wirklichkeit ein Subversiver ist. Deshalb verkauft sich jede Platte und jedes Buch gut, das den Leuten ein Rebellen-Zertifikat ausstellt oder ihnen unterstellt, daß sie wenigstens innerlich dagegen sind.

Die meisten Pop-Ideologen sind auf dieses Geschäft spezialisiert und das Publikum ist ihnen dankbar dafür. Sie sagen dir, daß du schon unterwegs zur Dissidenz bist, wenn du die "richtige" Platte hörst oder den authentischen Underground-Comic liest. Die Behauptung, HipHop sei die Musik nach der Hoffnung auf Revolution, ist der Versuch, US-amerikanischen HipHop glatt in den Pop-Diskurs der 70er und 80er Jahre einzufügen, der alle jugendlichen Aktivitäten pauschal und unterschiedlos als "dissident" bewertet hat. In diesen Rahmen paßt HipHop überhaupt nicht.

Davon abgesehen ist die Frage, welcher HipHop überhaupt gemeint ist? Die Szene hat sich entlang von "nationalen" und "ethnischen" Kriterien segmentiert. In der BRD steigt seit der "Wiedervereinigung" die Zahl der deutschsprachigen Rap-Gruppen kontinuierlich an. Viele dieser Gruppen, die früher in englischer Sprache rappten und den amerikanischen Vorbildern nacheiferten, betonen heute, sie wollten nicht länger plattes Imitat amerikanischer Vorbilder sein. Manche behaupten sogar, die von den US-Rappern angeblich verratenen ursprünglichen Ideale fortzusetzen. Es gibt da ein unglaublich anmaßendes "deutsches Selbstbewußtsein", das wiederum auf einen Ausschluß der "nichtdeutschen" Gruppen hinausläuft.

"Avantgarde" und "Proll-Kultur"

Das Reden über Pop findet auf verschiedenen Niveaus statt, die unterschiedlich stark in der Warenöffentlichkeit präsent sind. Es gibt Pop-Szenen mit zehntausenden Anhängern, die keine Stimme haben und öffentlich nicht wahrgenommen werden. In der Rezeption von Popmusik bildeten sich schon in den 60er Jahren verschiedene "klassenspezifische" Niveaus heraus. Während z.B. Rock'n'Roll in der BRD hauptsächlich von "proletarischen" Jugendlichen rezipiert wurde, war es spätestens seit Frank Zappa und seit der Beatles-LP "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" (1967) möglich, daß sich junge Leute aus dem bildungsbürgerlichen Milieu auf Pop beziehen konnten, ohne ihren schichtenspezifischen Habitus aufgeben zu müssen.

Man kann das überall beobachten, etwa beim aktuellen Techno. Gegenüber meiner Wohnung gibt es eine rund um die Uhr geöffnete Tankstelle, wo sich an den Wochenendnächten die Partygänger mit Bier und Zigaretten eindecken. Das junge Personal bringt dann seine CD-Player mit und beschallt den Verkaufsraum mit Kirmestechno, etwa mit U96, E-Rotic oder Scooter. Techno-Zeitschriften wie "Frontpage" reden von dieser Musik voller Verachtung und in dem Reader "Techno" kommt sie überhaupt nicht vor.

Bestimmte intellektuelle Pop-Fans wiederum bevorzugen sogenannte anspruchsvolle Techno-Projekte wie Oval, die dann in den Besprechungen in die Nähe von Stockhausen gerückt und mit den Theorien von Deleuze oder Derrida in Verbindung gebracht werden. An diesen unterschiedlichen Rezeptionsniveaus bzw. Rezeptionsgesten hat sich trotz des gesellschaftlichen "Fahrstuhleffekts", also der für alle "Klassen" wirksam gewordenen Anhebung des materiellen Reichtums, nichts geändert.

Geändert hat sich etwas anderes: Früher stellte sich die Auseinandersetzung als Gegensatz zwischen "Hochkultur" und angeblich trivialer "Kulturindustrie" dar. Seit dem flächendeckenden Sieg der Kulturindustrie über das elitäre Bildungsbürgertum hat sich diese Auseinandersetzung in die popkulturellen Sektoren selbst verlagert. Die Hierarchien werden in der Popkultur selbst reproduziert. Oberschüler- und Studentenszenen verschaffen sich nun eben innerhalb der Popwelt Räume für "hochkulturelles" Künstlerverhalten und "Avantgarde-Strategien". Sie distanzieren sich so von der boomenden Proll-Kultur, die mittels zahlungsfähiger Massennachfrage die Fernsehkanäle erobert hat. Dabei geht es ihnen wie den schon von Bourdieu beschriebenen Bildungsbürgern, die ständig auf der Flucht vor dem nachrückenden Massengeschmack sind. Was heute noch "Avantgarde" ist, kann schon morgen gemeiner Geschmack sein. Deshalb klagen sie ständig über das sogenannte Vereinnahmungsproblem.

Man kann das gegenwärtig bei Pop-Szenen mit Avantgarde-Anspruch gut verfolgen, etwa bei "Spex". In dieser Zeitschrift hat sich in der letzten Zeit ein geradezu kulturpessimistischer Ton breit gemacht. Man beklagt den Verlust von Definitionsmacht, der mit der fortschreitenden inneren Segmentierung der Pop-Genres unvermeidlich einher geht. Was jedoch von "Spex" als Zerfall des Pop wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit ein Prozeß, in dem Pop auf seinen Begriff kommt. Pop ist eigentlich Musik für den schnellen Verbrauch, Pop ist schnell und vergänglich, also so wie "Bravo" oder das "WOM-Journal". Popszenen, die einen überholten Avantgarde-Anspruch vertreten, möchten Pop jedoch kanonisieren und historisieren, und sie kämpfen für die Einrichtung von Pop-Lehrstühlen an der Akademie. Damit kann die Musikindustrie aber gut leben: Der elitäre Glaube an "Meisterwerke" und "Editionen" kommt ihrem Interesse an der Kanonisierung der Backkataloge entgegen. Das FAZ-Publikum kann sich dann die neue dreiteilige "Anthology" der Beatles neben die Editionen der kanonisierten Literatur stellen.

Solche unterschiedlichen Rezeptionsebenen lassen sich auch beim HipHop beobachten.

Genau. Unter den ersten Jugendlichen, die sich in Deutschland mit Rap, Breakdance und Graffiti auseinandersetzten, war der Anteil von Kindern von ImmigrantInnen und von bleichgesichtigen Kids aus "deutschproletarischen" Familien besonders hoch. Die Mittelschichts-Popszenen interessierten sich damals nicht für diese Musik, weil sie HipHop für Disco hielten und gegen Disco pflegte man ja seit den Tagen des Punk eine intensive Feindschaft.

Wenn man sich nun heute die HipHop-Rezeption der letzten 15 Jahre in der BRD anschaut, bemerkt man einige interessante Verschiebungen: Obwohl die frühe Rap-Szene in Deutschland nicht sehr groß war und Teile von ihr schnell in die Mühlen von "Bravo" und Adidas gerieten, trug sie doch bis etwa 1987/88 die Rezeption. Sie kaufte nicht nur die US-Platten, sondern sie versuchte auch, HipHop hier zu praktizieren, d.h. sich die Fertigkeiten anzueignen, die mit Rapping, Scratching, Sampling, Breaking und Graffiti zusammenhängen. Da es sich nicht um eine Mittelschicht-Szene handelte, hatten diese Fans allerdings in der Medienlandschaft keine eigene Stimme, d.h. sie waren für die "Öffentlichkeit" weitgehend unsichtbar. Wenn überhaupt, dann wurde gelegentlich über sie geschrieben, z.B. weil sie an irgendeinem Platz in einer Großstadt mit "Ghettoblastern" und Skateboards gesehen wurden. Bis dahin war HipHop also kein medienrelevantes Thema in der BRD.

Das änderte sich erst, als die von den Medien als legitime "Subkultur" anerkannten Popszenen via Boogie Down Productions und Public Enemy auf HipHop aufmerksam wurden. Das begann sehr zögerlich um 1988, und für viele aus dem Indie-Rock-Lager sollte es dann noch bis 1992/93 dauern. Diese Szenen, die über ihre eigenen Zeitschriften verfügen, die wiederum von den etablierten Medien gerne als Stimmen des kulturellen "Undergrounds" zitiert werden, etablierten nun einen "Diskurs" über HipHop, der die Rezeptionsmotive und -praxen der frühen "proletarischen" Fans und insbesondere die der Immigrantenkinder darunter völlig ignorierte. Ich erwähne das nicht, weil ich deren Rezeptionsmotive für besonders toll halte, ich möchte nur daran erinnern, daß sie im Konkurrenzkampf um das Wahrgenommen-Werden unterlegen sind.

Ende der 80er Jahre brach nun die zweite Welle des HipHop ein - mit einer politischen Rhetorik, die man längst für unmöglich gehalten hatte. HipHop brachte alles zurück, wovon sich die "Avantgarde" bis dahin getrennt hatte: Agitprop, ein pralles "unkorrektes" Sprechen, Kollektivismus und überhaupt das verdrängte Soziale. Damit nicht genug, ging es im neuen HipHop um tausende Dinge, von denen die "Avantgarde" noch nie gehört hatte. Man verstand weder den sozialen Hintergrund, noch die Slogans, noch die wiederholt auftauchenden Bezüge, wie black nationalism, Nation of Islam, Malcolm X etc. Plötzlich war man nicht mehr in der Lage, die Kriterien für "gute" und "schlechte" Platten anzugeben. Die Kategorien, die man sich zur Beurteilung von Nick Cave, R.E.M. oder den Neubauten zurecht gelegt hatte, funktionierten hier nicht mehr. Der eigene Dissidenz-Anspruch erschien im Vergleich zu der Rap-Militanz als ziemlich zahm und spießig. Von diesem Einbruch hat sich diese Popszene nicht mehr erholt. Durch das Auftauchen des Polit-Raps wurde die strukturelle Krise des Subversionsmodells "Pop-Subkultur" beschleunigt. Dieses Subversionsmodell war auch schon ohne HipHop an sein Ende gekommen, aber das hatte bis dahin niemand so richtig bemerkt.

Wurde HipHop nicht auch positiv als "Widerstandsmusik" vereinnahmt?

Das ist kein Widerspruch zu meinen bisherigen Ausführungen. Man betrachtete das, was einem am Rap ins eigene Konzept paßte, als authentisch und verständlich. HipHop wurde pauschal als Widerstandsmusik eingemeindet. Zum Geheimnis wurde HipHop nur dort gemacht, wo er nicht oder nicht glatt in die eigene Welt paßte. Anfangs hatte man ja noch einige Problem mit frauenfeindlichen, homophoben und offen prokapitalistischen Aussagen und Gesten. Aber damit konnte und wollte man sich nicht auseinandersetzen, weil eine solche Auseinandersetzung zu Verwicklungen geführt hätte, die den Pop-Rahmen notwendig sprengen mußten.

Heute ist HipHop in der Mittelklasse-Subkultur weitgehend abgehakt. Das exotische Moment ist weg. "Afrocentricity" ist kein geheimnisvolles Stichwort mehr. Man hat gelernt, mit der Sache umzugehen und z.B. "Rap-Militanz" auf eine Pop-Geste zu reduzieren, was sie sicher auch, aber eben nicht nur war. Die für Popverhältnisse relativ harten Debatten zu Beginn der 90er Jahre wurden ab 1993 abgeschaltet.

Mit der Entdeckung der Black Studies-Literatur wechselte man ganz offiziell vom Sprechen mit den Rappern und Rapperinnen zum akademischen Sprechen über sie. Durch die Beschäftigung mit Rap war man auf das akademische Feld der Cultural Studies gestoßen wie auf eine Goldader. Die Szene erkannte sofort das Potential an kulturellem und symbolischem Kapital, das hier zu gewinnen war, und begann umgehend mit einer Werbekampagne für die Einführung von Kulturstudien an deutschen Universitäten. Die mittelfristigen Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht, weil der seit der "Wiedervereinigung" forcierte Prozeß der Ethnisierung des Sozialen nach journalistischen, akademischen und auch künstlerischen Experten verlangt, die sich "mit Minderheiten auskennen".

Stimme des Ghettos?

Trotzdem hat HipHop das Ghetto zum Sprechen gebracht.

HipHop ist zunächst einmal Popmusik, aber er ist auch mehr als das. Ich habe den Begriff "Agitpop" eingeführt, um zu zeigen, daß es über die normale Vermarktung hinaus eine soziale Erdung gibt. Aber HipHop ist nicht die Stimme aller Afroamerikaner. Es gibt viele "Schwarze", die sehr wohl selbst sprechen können - in der New York Times, via CNN (auch dort arbeiten viele afroamerikanische JournalistInnen), in den Parlamenten, in den Rathäusern, in den Akademien, auf dem Buchmarkt etc. Wenn schon, dann können einzelne Rap-Gruppen beanspruchen (auch wenn sie selbst aus Mittelklasse-Verhältnissen kommen), für Teile der "schwarzen Unterklassen" zu sprechen. In dieser Hinsicht hat HipHop in der Tat einen neuen Diskursweg aufgemacht, der so in den Medien nicht lief. HipHop wäre dann nicht der "schwarze CNN", sondern ein "subproletarischer CNN".

Diese Funktion hat HipHop sicher einige Zeit gehabt. Er hat die Existenz der großstädtischen Ghettos tatsächlich in Erinnerung gerufen, als die amerikanische Politik davon nicht mehr reden wollte. Darin besteht die größte Leistung von HipHop als Musik einer weitgehend subproletarischen afroamerikanischen Jugendszene. Andererseits hätten wir die Stimmen der Rapper und Rapperinnen nie hören können, wenn die großen Plattenfirmen HipHop nicht in Umlauf gebracht hätten. Public Enemy dachten, mit diesem Widerspruch umgehen zu können, mußten aber schon bald die Erfahrung machen, daß der Markt seine Tücken hat. Der große Zensor ist dabei "der weiße Verbraucher", der mit seiner kaufkräftigen Nachfrage nach Stereotypen die Geldströme auf die verschiedenen Subgenres verteilt.

Du hast einmal von den HipHop-Charts als Politbarometer gesprochen. Ist das auch passé?

Das bezog sich auf die harten Auseinandersetzungen Mitte/Ende der 80er Jahre, als es noch völlig offen war, welchen Weg HipHop nehmen wird. Nach der Run-DMC-Sackgasse mit dem Aerosmith-Cover kam es zu dieser Kombination von "black nationalism" und der Rückkehr zu Funk- und Jazz-Samples, also der bewußten Aneignung der Black-Music-Geschichte. Aus der musikalischen Orientierung konntest du auf bestimmte politische Präferenzen wie z.B. Afrocentricity schließen und umgekehrt. Heute hat sich Hip Hop postmodern aufgelöst in eine Flut von Zeichen, die nicht mehr eindeutig zuzuordnen sind. Es gibt HipHop für den Hausputz, HipHop für die Kiddies, Hardcore-HipHop, eleganten Jazz-HipHop etc. Rap-Gruppen mit einem befreiungsnationalistischen oder bürgerlich-humanistischen Aufklärungsansatz, etwa Public Enemy und KRS-One, haben eher schlechte Verkaufszahlen im Vergleich zum sogenannten Gangsta Rap, aber auch zu poppigeren oder jazzigeren Varianten, die sich in Europa gut verkaufen. Rap ist kein Politbarometer mehr, oder vielmehr: es zeigt derzeit Null an.

Das Publikum ergötzt sich am sogenannten Gangsta-Rap.

Ich denke, man muß da mittlerweile zwischen dem Charts-Publikum und den "Pop-Avantgarden" unterscheiden. Der Rapper Coolio hat es mit "Gangsta's Paradise", einer Cover-Version von Stevie Wonders "Pastime Paradise" aus dem Jahr 1976, auch in der BRD auf Platz 1 der Charts gebracht. Welche Rolle dabei Coolios Gangsta-Image spielt, ist schwer zu sagen. Zunächst einmal ist der Song einfach umwerfend gut, eben eine Stevie Wonder-Nummer. Und "Gangsta's Paradise" ist ja keineswegs affirmativ. Wo Wonder allgemeiner, aber keineswegs unpolitisch über die falsche Idealisierung der Vergangenheit ("pastime paradise") singt, variiert Coolio das Thema: "They've been spending most their lives/Living in gangsta's paradise". Ich glaube aber nicht, daß diese Intention hier besonders wahrgenommen wird.

Andererseits ist die Trinität von Rap, Ghetto & Gangsterism heute flächendeckend durchgesetzt. Coolio erscheint in diesem Raster aber als "Guter", der dem "Teufelskreis der Gewalt" entkommen möchte. In der "Bravo", wo ihm zwei Seiten gewidmet wurden, wird z.B. sein Familiensinn herausgestellt.

An solchen "braven Gangstern" waren die "avantgardistischen" Popszenen nie interessiert. Bei dem Streit um den sogenannten Gangsta Rap, der vor zwei Jahren noch ziemlich heftig geführt wurde, der in diesen Szenen aber längst als erledigt gilt, bezog man sich ja positiv auf Rap-Gruppen, die das Ghetto eher idealisierten. Auch "Spiegel", "Focus", "Stern" und "Tagesschau" berichteten über Gangsta Rap. Die Mordanklage gegen Snoop Doggy Dogg ist nach wie vor ein großes Medienthema. "Der schwarze Mann" erscheint als gefährlich und unberechenbar und HipHop als Verderbnis der Jugend, womöglich sogar der "weißen" Jugend. Über diese Sichtweise empören sich andere, die betonen, daß Gangsta Rapper doch nur Schauspieler sind.

Alles zusammen genommen ergibt das einen absolut verblödenden "Diskurs". Es ist eine Moraldiskussion mit rassistischen Implikationen, die keine einzige Information über die wirkliche Lebensumstände der Menschen in den Armutsbezirken produziert. Kein Mensch erfährt in solchen "Diskursen", was eine afroamerikanische Krankenschwester oder ein Lastwagenfahrer verdient und was sie an Unterstützung bekommen, wenn sie morgen lohnarbeitslos werden. Diese profanen Dinge interessieren hier keinen Menschen. Der Rassismus dieser Mediendebatten liegt mehr noch als in in den geäußerten Urteilen in diesem Desinteresse.

Ich empfinde gerade in dieser Hinsicht die Pop- und Trendpresse als besonders widerlich. Es interessiert sie einfach nicht, wie es den Leuten geht. Das Beste, was sie überhaupt taten, war, daß sie über einige Jahre hinweg diese Platten kauften, was ja von der Wirkung ungefähr so ist, als hätten sie Lebensmittelpakete in die Bronx oder nach South Central geschickt. Um diese Päckchen zu erhalten, mußten allerdings Rap-Gruppen, die einmal eine Auseinandersetzung gesucht hatten, sich immer häufiger den Erwartungen der "Spender" anpassen.

Ich behaupte, daß eine wirkliche Auseinandersetzung, wenn sie ab 1988 gewollt worden wäre, eine andere Entwicklung begünstigt hätte. Auf die Black Panther Party wurde auch weltweit mit Solidaritätskomitees reagiert, es kam zu Diskussionsveranstaltungen und anderen Aktivitäten. Die Zeiten sind heute nicht so, aber die Kampagne für Abu-Jamal zeigt immerhin, daß - bei aller Kritik daran, wie unpolitisch diese Kampagne auf "juristische Gerechtigkeit" orientiert - viel mehr möglich gewesen wäre als ein reines Konsumereignis.

Rap und Sexismus

War es wirklich nur ein Konsumereignis? Man hat sich z.B. auch mit dem aggressiven Sexismus arrangiert, der auf nicht wenigen Rap-Platten eine Rolle spielt.

In der gesamten Popmusik wird Sexualität als Zugang zur "Wahrheit" der menschlichen Identität verstanden. Man geht davon aus, daß unsere Sexualität den wahren Kern unseres Wesens ausmacht. In diesem Kontext sind auch die Macho-Bekenntnisse etlicher Rapper zu sehen. Sie glauben, daß sie uns etwas über ihre "Persönlichkeit" mitteilen, wenn sie ihre Frauenfeindlichkeit und Homophobie öffentlich "beichten". Darin unterscheiden sie sich nicht von anderen Pop-MusikerInnen.

Im Rock und Pop, jedenfalls soweit diese Musik im Radio läuft, haben wir es jedoch oft mit einen sozusagen "am Feminismus geschulten" Sexismus zu tun. Im HipHop tritt der Sexismus häufig demonstrativ als ungebrochener Sexismus auf, dem jeder feministische Einwand egal ist. Darin könnte sich sogar ein Moment der Selbstironie verstecken, wie wir es z.B. manchmal im Raggamuffin Reggae erleben, wo ein Toaster sagt: "Ich bin der größte Ficker der Insel" und dann alle über ihn lachen, weil er in dieser Rolle nicht richtig überzeugt. Diese ironische Note ist im HipHop eher selten. Den sehr unmittelbaren, brutal offenen Sexismus in einigen Subgenres des HipHop, der Frauen nur als Nutten anspricht, die gefickt werden wollen und hinter dem Geld der Männer her sind, der zudem mit einer sehr "militanten" Homophobie einhergeht, existiert auch hierzulande in bestimmten Milieus.

Im HipHop wird bewußt eine "Sprache der Unterklassen" gesprochen und bewußt ein Anti-PC-Gestus gepflegt. Rapper, die selbst aus ganz anderen Verhältnissen kommen oder den Armutsgegenden entkommen sind, pflegen diese Sprache, um ihre "Authentizität" zu betonen. Sie wollen beweisen, daß sie immer noch "unten" sind mit den "Homeboys". Je gnadenloser die Sprache, so die Überzeugung, desto "echter" kommt die angebliche oder wirkliche Ghettoherkunft 'rüber. Bei wem eigentlich? Die Grenze zwischen Attitüde und Überzeugung ist nicht genau zu bestimmen. Für die Frauen macht das aber auch letztlich keinen Unterschied.

Der Vorwurf, HipHop sei generell sexistisch, ist jedoch zurückzuweisen. Es gibt viele Kommentatoren, denen Sexismus nur beim HipHop auffällt. Die Vorwürfe kommen auch nicht selten aus einer puritanischen Ecke, wo man ein Wort wie "ficken" am liebsten aus dem Sprachgebrauch verbannen möchte. Aber nicht weniger unangenehm sind jene, die den Sexismus im HipHop mit "antirassistischen" Argumenten entschuldigen wollen. Nach dem Motto: "Die Schwarzen" (Männer) können doch nicht alle Probleme gleichzeitig lösen.

Ästhetik des Bösen?

Auch das Interesse am Gangsta Rap geht bei den Mittelschicht-Popszenen auf eine spezifische Rezeptionstradition zurück. Intellektuelle Popszenen sehen sich seit Ende der 60er Jahre gerne als Nachfolger von Baudelaire oder Oscar Wilde. Zu deren Themen gehörte u.a. die Ästhetisierung der "dunklen Leidenschaften", der sadistischen Phantasien, des "rebellischen" Kriminellen, der besitzergreifenden Gewalt der Ausgegrenzten etc. Das war gewissermaßen ein Einspruch gegen die Rationalität der Moderne, die all das, was ihr im Weg steht, als krank, böse, kriminell oder verdorben qualifiziert und sozusagen in den Untergrund drängt. Diese Antihaltung kann allerdings auch in Affirmation umkippen, etwa dann, wenn Gewalt gegen Frauen ästhetisiert wird. Die Grenzlinien sind hier oft äußert dünn.

Im Pop, wo man vor allem an dem antibürgerlich-subversiven Moment dieser Haltung interessiert ist, geht es in der Regel nur um einen "Sympathy with the devil"-Gestus, der aber gleichwohl oft nur die dominanten Muster wiederholt: Nick Caves letzte Single "Where The Wild Roses Grow" schildert z.B. in der Ich-Form den Mord an einer Frau. Kylie Minogue, die auf dieser Platte aus der Perspektive der Ermordeten singt, stellt sich - freiwillig, aber, wie auch Cave weiß, nicht ohne Risiko - der Mordphantasie eines Mannes zur Verfügung.

Durch die Brille dieses Subversionsmodells haben Teile der Mittelschicht-Popszenen Gangsta Rap wahrgenommen und über diese Rezeptionstechnik folklorisierten und idealisierten sie dann die Situation in den US-amerikanischen Ghettos. Als Public Enemy diese Wahrnehmung auf ihrem letzten Album in Frage stellten, als sie nach sieben Jahren Agitpop zu Protokoll gaben, daß ihnen der "Gangsta-Shit" und die ganze Exotisierung der Ghettos auf die Nerven geht, wurden sie gerade von den "subkulturellen" Szenen als Ruhestörer zurückgewiesen. Auf diese Kritik von Public Enemy war man nicht gefaßt. Man hatte sich gerade auf den Gangsta Rap eingegroovt und den "schwarzen" Pimp (Zuhälter) wie eine literarische Figur angenommen, hinter der das soziale Elend verschwinden konnte.

Angst und Faszination gehören zusammen und sind in den westlichen Diskurs über "den Anderen" fest eingeschrieben. Das Macho-Image des Gangsta Rap ist oft auch eine beliebte Berufungsinstanz, um eigene Werte zu verschieben.

Wenn ein Rapper "bitch" zu einer Frau sagt, eröffnet sich für einige kulturlinke Männer scheinbar ein legitimes Diskussionsfeld. Weil es sich bei dem Rapper vermutlich um einen rassistisch Diskriminierten handelt, mit dem man solidarisch sein muß, und weil das eine Kritik angeblich ausschließt, weil man "die Anderen" ja nicht "nach unseren Maßstäben" beurteilen darf, läßt sich eine ausufernde "Verständnis-Diskussion" organisieren. In deren Verlauf werden plötzlich viele Relativierungen von sonst als "korrekt" festgeschriebenen Positionen möglich. Unter dem Vorwand des antirassistischen Anspruchs lassen sich also kleine und größere Umbewertungen etablieren.

Dafür darf man nicht die US-Rapper verantwortlich machen, denn diese Leistung wird ja hier erbracht. Es mag sein, daß auf diese Weise auch einige unerträgliche linke Moralismen gekippt wurden. Ganz zweifellos wurden die HipHop-Importe aber auch für eigene backlash-Bestrebungen instrumentalisiert. Unter Berufung auf HipHop wurde in vielen deutschen Popszenen auch ein ethnisierender und tribalisierender Sprachgebrauch üblich. In der Pop-Presse finden sich heute ganz selbstverständlich die genauesten Angaben über die "ethnische Herkunft" von Künstlern.

Eine weitere unübersehbare Umbewertung, für die ebenfalls US-amerikanischer Rap instrumentalisiert wurde, betrifft z.B. den kapitalistischen "Materialismus". Das im Rap oft geforderte "Menschenrecht auf Kapitalismus" kam in deutschen Szenen nicht schlecht an. Ein Haben-Wollen-Gestus, der in der Punk-Zeit total unmöglich gewesen wäre, gilt inzwischen als legitim. Der marginalisierte Rapper, der sich die "Befreiung" so vorstellt, daß er danach über ein großes Haus verfügt, mit einem Whirlpool, in dem fünf Bikinimädchen auf ihn warten, spricht ja nur aus, wie sich Männer schon immer Revolutionen vorgestellt haben.

Um es noch einmal zu sagen: Ich sehe HipHop nicht als das trojanische Pferd der bestehenden Verhältnisse. Meines Erachtens knüpfen deutsche Konsumenten lediglich zielsicher an dem Konformismus an, den es neben dem Moment des Widerstands im HipHop eben auch gibt.

Das ist ja nicht ungewöhnlich: Schon in der historischen Arbeiterbewegung tauchte dieses Problem auf. Ein Teil der Ausgeschlossenen wollte lediglich rein in die Gesellschaft. Die erste Anerkennung, die preußische Proleten noch vor dem Wahlrecht erfahren haben, war ihre Einbeziehung in die Kriegsernährungs-Kommisionen. Später hieß es dann: Erster Arbeiter wurde Minister, erster Arbeiter wurde Bürgermeister etc. In der Frauenbewegung war es nicht anders, und auch die Meldungen, die seit 100 Jahren durch die afroamerikanische Presse gehen, lauten so. Man feierte den "ersten schwarzen Polizisten" ebenso wie den "ersten schwarzen Astronauten". Der Mainstream der Ausgeschlossenen wird immer diese konformistische Perspektive haben, um dann all die Mechanismen zu reproduzieren, die wiederum andere ausschließen. Und nur eine Minderheit wird sagen: Ein System, das Menschen ausschließt, muß grundsätzlich bekämpft werden.

"Türkische Rapper" in der BRD

Seit einiger Zeit haben Jugendliche, die hier als "junge Immigranten" gelten, obwohl sie in der BRD aufgewachsen sind, HipHop zu ihrer Sache gemacht. Warum beziehen die sich eigentlich auf Rap und nicht zum Beispiel auf das aktuelle "Punk-Revival"?

Auch das hat mit der Teilung des Pop in verschiedene, "klassenspezifische" Niveaus zu tun. Punk kokettierte mit einer Armutskultur, was sich nur Leute erlauben können, die das Gefühl haben, daß ihr Außenseitertum frei gewählt ist, daß sie also notfalls von der Gesellschaft wieder aufgenommen werden.

Für die Zwangsausgegrenzten ist eine solche Praxis nicht verlockend. Sie stehen schon ohne ihr Zutun draußen. Armutskultur, Konsumfeindlichkeit und symbolische Verlierergesten können sie sich nicht leisten. Da ist der US-Rapper, der Kapitalismus für alle und ein paar Extrafreiheiten für Männer fordert, ein interessanteres Vorbild. Wie sich etliche Rapper die "Befreiung" vorstellen, das ist ja auf vielen Plattencovern oder in vielen Rap-Videos in Szene gesetzt. Auch in den Rap-Szenen derjenigen, die hier als Immigrantenjugendliche bezeichnet werden, hält man(n) den Besitz eines Golf GTIs mit Holzlenkrad oft für den Beweis eines erfolgreichen Kampfes gegen Diskriminierung.

Daraus kann ihren kein Sondervorwurf gemacht werden. Es wäre rassistisch, würde man von denen, die ethnisiert werden, auch noch verlangen, daß sie gerade deshalb besonders gute Menschen sein müßten. Es gibt aber umgekehrt keinen Grund, die Dinge anders darzustellen, als sie sich darstellen.

In der BRD entstanden seit 1990 hunderte von Rap-Gruppen, die - wenn sie überhaupt wahrgenommen werden - in den Medien als "türkische Rapper" stereotypisiert werden. Zunächst gab es ein kurzlebiges Interesse des "offiziellen Pop-Undergrounds" - also jener Szenen, die z.B. vom "Spiegel" als "Pop-Avantgarde" sozusagen diplomatisch anerkannt und immer wieder als authentische Underground-Adresse zitiert werden. Aus ihrer frei gewählten "Minderheitenposition" heraus nehmen diese Szenen die unfreiwilligen Minderheiten insgeheim als Konkurrenten um den Outcast-Status wahr. Aber schon bald wurde nicht mehr über sie berichtet.

Der "avantgardistischen" Musikpresse, die sich von HipHop immer mehr abgewandt hatte, entging daher zunächst, was sich da bei den wirklich Ausgegrenzten tat: Etliche Rap-Fans unter ihnen waren dazu übergegangen, auf die Zwangsethnisierung mit Strategien der Selbstethnisierung zu antworten und das Ergebnis hieß nun "Oriental HipHop."

Gesponsort von einer großen Plattenfirma ließen sich Rap-Gruppen aus Nürnberg, Kiel und Berlin als "türkische Rapper" vermarkten. Ihre Platte ("Cartel") zielte auf die neu entdeckte Käuferschicht der "türkischen Jugendlichen in Deutschland" - die doch nur als "türkische Jugendliche" gelten, weil der deutsche Staat und seine Untertanen das so wollen. Zunächst boomte "Cartel" in der Türkei, was dann wiederum in Deutschland zu einer massiven Medienberichterstattung führte. Die in der BRD aufgewachsenen "türkischen Rapper" sind offensichtlich in ein Feld geraten, das von deutscher Politik und türkischer Politik gleichermaßen bearbeitet wurde (inklusive der Grauen Wölfe, die den "Stolz auf das Türkischsein" von Cartel für sich zu nutzen suchten). Die 80er Jahre-"Utopie" eines "Patchworks der Minderheiten", zu dem man damals freiwillige und unfreiwillige Minderheiten unterschiedlos addieren wollte, wurde auf reaktionäre Weise realisiert.

Eine bis heute gängige Floskel spricht vom US-HipHop als "schwarzem CNN". Nach dieser Logik wäre Cartel der "türkische CNN".

In der BRD sind derzeit sechs türkischsprachige Kabelsender zu empfangen, die meist vom türkischen Staat auf diese oder jene Weise kontrolliert werden. Jemand, der auf ein "Türkentum" stolz sein will, hat also einen kompletten Staat im Rücken. Abgesehen davon kann man sich fragen, wieso die Behauptung, Rap sei der "schwarze CNN" - eine Aussage, die auf Public Enemy zurück geht - in Deutschland die am häufigsten gebrauchte Bemerkung über US-HipHop ist. Warum sind deutsche Rezipienten so scharf auf diese Formulierung? Sie transportiert die rassistische Vorstellung, "Schwarze" würden sich sozusagen mit der Buschtrommel "Rap" über Berge und Täler hinweg verständigen.

Die Rede vom "schwarzen CNN" ist eine wohlmeinend-rassistische Konstruktion von Pop-Intellektuellen, die ihre eigene "verschriftlichte Kultur" nicht ertragen können. Man versucht bereits, z.B. in "Spex" 11/95, die CNN-These auf den "Oriental HipHop" zu übertragen. Es gibt den Versuch, den deutsch-türkischen Slang, den auch einige Immigranten-Jugendliche sprechen, und der von "Deutschen" gerne in abwertender Absicht imitiert wird, als eine Art geheime "Sklavensprache" zu interpretieren. Mit dem "Rap als CNN"-Slogan schafft man zudem die Distanz, die man benötigt, um all das, was die Nichtzugehörigen sagen und tun, distanziert betrachten zu können. Man beobachtet die Marginalisierten und sagt: "Ah! Interessant - jetzt tun sie dies und jetzt das. Was sie damit wohl sagen und erreichen wollen?"

HipHop als "ethnische Musik"?

Wie könnte deiner Meinung nach eine angemessene Hip-Hop-Rezeption aussehen?

Mir geht es nicht darum, daß man mit den Kriterien von political correctness an Musik herangeht. Die Rapper und Rapperinnen in den USA sind auch nicht verpflichtet, eine Musik zu machen, die der BRD-Linken gefallen muß. Daß einige von ihnen eine Art Agitpop kreierten, heißt nicht, daß man von denen enttäuscht sein sollte, die einfach unterhalten wollen.

Immerhin lenkte aber die Agitpop-Richtung im HipHop - im Rahmen der Popwelt wohlbemerkt - die Aufmerksamkeit auf ein allgemeines, vom Kapitalismus perpetuiertes Problem: die Ethnisierung der Weltarbeitskraft. Damit machte der Agitpop auch einen Diskussionsvorschlag. Der aber wurde von den hiesigen Konsumenten nicht nur ausgeschlagen, sondern sie rezipierten HipHop als "ethnische Musik", d.h. sie blieben bei ihrer Überzeugung, daß HipHop die Kultur einer "Ethnie" ist, und daß diese Kultur "uns" Informationen über diese "Ethnie" liefern kann.

Was demgegenüber eine angemessene Rezeption gewesen wäre: Auseinandersetzung und Anerkennung, daß die im Agitpop-Rap thematisierten Phänomene mehr sind als "Probleme der amerikanischen Innenpolitik". Außerdem sind Überlegungen darüber notwendig, was man von den dort gemachten Erfahrungen für die Kritik der Ethnisierungsprozesse im "wiedervereinigten" Deutschland lernen kann.

Ein wichtiger Schritt wäre es, von den homogenisierenden, essentialisierenden und identitätspolitischen Sprechweisen abzurücken, also nicht immer von "den Schwarzen" zu reden und "schwarz" nicht für eine "Tatsache" zu halten. Es wäre schon ein Erfolg, wenn die Angabe, in den USA lebten "12 Prozent Schwarze" in Frage gestellt würde. Hat sie jemand gezählt? Nach welchen Kriterien? Es wäre schon viel, wenn einzelne Rapper oder Rapperinnen als konkrete Personen wahrgenommen würden und wenn man Rappern zu widersprechen wagte, die sich als Repräsentanten einer "Rasse" vorstellen.

Birgt der Vorschlag, Rassifizierte in erster Linie als Individuen anzusprechen, nicht die Gefahr, die Notwendigkeit eines kollektiven Widerstand herabzusetzen?

Gemeinsame Gegenwehr geht immer mit dem Repräsentationsproblem einher. Wo sich Menschen wehren, sei es als politische Linke, als Frauenbewegung, als Schwulenbewegung etc. bildet sich immer ein wir, eine neue "Identität". Es wird immer Leute geben, die als Repräsentanten dieses wirs auftreten oder als solche erscheinen. Diese Identitätsbildung kann zu einem Identitätsgefängnis werden. Sie kann zur Herausbildung von Ausgrenzungskriterien führen, die denen gleichen, die damals die Gegenwehr provozierten. Hinzu kommt die problematische Vorstellung, daß die oppositionelle Identität einen essentiellen Kern hat. Das heißt, daß unter der Decke der fremdbestimmten kulturellen Überwucherung das "Wesen" der widerständigen Personen zum Vorschein kommen könnte.

Auf diese Fragen und Probleme hat der dekonstruktivistische Feminismus wichtige Antworten gegeben. Dieser Versuch, das Repräsentationsmodell in Frage zu stellen, hat manche Ängste ausgelöst. Viele denken, daß man ohne ein wir nicht widerstandsfähig sei kann. Es geht darum, daß man dazu bereit ist, Repräsentationen, die ja auch "interne" Konflikte verdecken, immer wieder in Frage zu stellen. Wenn politisches Handeln auf gemeinsamen Wissen und Überzeugungen beruht, ist es durchaus möglich, auf eine Uniform zu verzichten. Das ist eine Herausforderung: "Die Linke" - auch eine Homogenisierung! - und andere Bewegungen müssen lernen, gemeinsam Dinge zu tun, ohne dieses "Wir" immer erzwingen zu wollen.

Die Fragen stellte Thomas B. Das ungekürzte Interview erscheint in der nächsten Ausgabe des deutschsprachigen HipHop-Magazins "Anarchist to the front" (Bezug: c/o Babak Soltani, Postfach 2218, 58592 Iserlohn, Tel: 0231-7213350).

Günther Jacob ist Musikjournalist und DJ. Er schrieb u.a. das Buch "Agit-Pop. Schwarze Musik und weiße Hörer" (Edition ID-Archiv, Berlin/Amsterdam, 3. Aufl./1994)


Rockmusik hat den Flair des Rebellischen verloren, Jugendkultur ist längst systemkonform. Da kommt eine neue Welle aus den USA herübergeschwappt: HipHop aus den afroamerikanischen Gettos. Symbolisieren die Rap-"Gangsta" das Aufbegehren der marginalisierten Jugendlichen oder wird auch hier nur ein "Recht aufs Mitmachen" eingefordert? Und wie interpretiert die hiesige Pop-Szene diese Musik?


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