akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 417 / 27.08.1998

Notwendige Schritte aufs Glatteis

Erinnerung an eine vielschichtige Persönlichkeit: Hanns Eisler

Zum 100. Geburtstag von Hanns Eisler wurde in der Akademie der Künste in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel "'s müßt dem Himmel Höllenangst werden" gezeigt. Mit der Kuratorin der Ausstellung, der Musikwissenschaftlerin Maren Köster, sprach Georg Wißmeier.

ak: "Wenn ich 1990 vergessen sein werde, wird es eine gute Zeit sein, voll des Überflusses, des Spaßes und der Denkkraft", schrieb Hanns Eisler 1953. Eisler scheint in seiner Selbsteinschätzung recht gehabt zu haben. In diesem Jahr allerdings stößt man, wenn auch nicht allzu oft, wieder auf Eisler.

Maren Köster: Wahrgenommen wird er natürlich anläßlich seines 100. Geburtstages überall. Zum Jubiläum wird er mehr als genug zelebriert, und ich frage mich manchmal, was das mit Eisler zu tun hat, was da zelebriert wird.

Um 1990 war Eisler tatsächlich vergessen, weil er besetzt war mit Bildern des Kalten Krieges, als Komponist der DDR-Nationalhymne: Eisler quasi als Staatskomponist der DDR wurde abgelehnt im Westen, wurde abgelehnt im Osten, weil man lieber einen Eisler gehabt hätte, der sich viel stärker an der Schönberg-Schule orientierte. Mit den Eisler-Kompositionen der fünfziger Jahre konnte man wegen ihrer Traditionalität nicht mehr viel anfangen. Insofern war Eisler im Osten wie im Westen vergessen, abgelehnt, abgegriffen, zu oft geehrt und dadurch uninteressant geworden. Mittlerweile wird Eisler wiederentdeckt sowohl als politische, als auch als Kulturpersönlichkeit dieses Jahrhunderts, mit all ihren Widersprüchlichkeiten. Mir scheint jetzt die Zeit günstig zu sein, Eislers Vielfältigkeit wieder zu entdecken - die Vielfältigkeit, die sich in der Person Eislers verbindet, und nicht entweder den Agitpropkomponisten oder den Schönbergschüler oder den Filmkomponisten.

Diese Vielfältigkeit läßt sich auch in Schaffensperioden unterteilen. Georg Knepler (1) unterscheidet vier Phasen: Die Schönbergphase, die klassenkämpferische Phase, die Exilphase und dann die DDR-Phase.

Ja und nein. Ich würde diese Abgrenzung so nicht vornehmen, weil es in jeder biographischen Phase mehr oder weniger stark unterschiedliche Arten zu komponieren, unterschiedliche Formen des Umgangs mit Musik gegeben hat. Diese biographischen Daten gibt es, eng verbunden mit historischen Daten. 1926 der Bruch mit Schönberg, 1933 der Beginn der Exilzeit, 1948 die erzwungene Ausreise aus den USA. Was das Werk selbst anbelangt, sollte das Schubladendenken aufgegeben werden. In der Exilzeit in den USA war Eisler nicht nur Filmkomponist, sondern schrieb auch politische Lieder, die er unter Pseudonym veröffentlichen mußte, denn es war seit Ende der dreißiger Jahren für politische Immigranten problematisch, unter eigenem Namen aufzutreten. Es entstanden aber in dieser Zeit auch experimentelle Formen der Filmmusik. So erprobte Eisler mit Adorno zusammen die Möglichkeiten moderner Zwölftonkompositionen in der Kombination mit experimentellen Filmen.

Wird diese Vielschichtigkeit - bleibt man bei dem Phasenmodell - auch in seiner klassenkämpferischen Phase deutlich?

Die heiße Phase der klassenkämpferischen Musik dauerte nur von 1928/29 bis 1932. Es gibt, insbesondere in der Übergangszeit zu dieser sogenannten Kampfmusik, Kompositionen, die sehr stark die Schönbergschule spüren lassen. Es gibt Versuche, politische und sozialkritische Texte mit viel Atonalität zu vertonen. Aus der Zeit gibt es ein leider unvollendetes Opernprojekt: die 150-Mark-Oper. Eisler versuchte immer, den politischen Willen und seinen künstlerischen Anspruch zusammenzubringen.

Der Reiz des Unvereinbaren

Vieles deutet aber doch darauf hin, daß Eisler zwar diesen Anspruch mit sich herumtrug, an der konkreten Umsetzung aber immer wieder scheiterte.

Ich würde das nicht Scheitern nennen. Der Reiz Eislers resultiert gerade aus dieser Reibung und der teilweisen Unvereinbarkeit. Mit dem Anspruch, massenhaft verstanden zu werden, massenhaft verbreitete politische Kunst zu schreiben, konnte er natürlich nicht die avanciertesten Kunstformen verbinden. Trotzdem wollte er sich immer an den höchsten musikalischen Ansprüchen messen lassen. Dieses Wechselspiel zwischen den kompliziertesten und den einfachsten Formen macht den Eisler so spannend. Die Musik lebt aus der Widersprüchlichkeit, daß es gerade eben nicht aufgeht. Eisler schrieb keine glatte, schlichte, eindeutige Musik.

Hat Eisler es denn geschafft, die Bevölkerung der DDR an die neue Musik heranzuführen? Vieles war sehr leicht eingängig, teilweise kann man den Eindruck gewinnen, es ließe sich in diesen Stücken die Dummheit in der Musik wiederfinden, gegen die Eisler immer vehement argumentierte.

Manche Lieder sind sehr banal, ja. Manche Lieder sind schlichtweg Gelegenheitslieder, die für die Tagesaktualität geschrieben wurden und auch nichts anderes erfüllen sollten. Am ehesten ließ sich der Anspruch bei Film- und Bühnenmusik verbinden. Offenbar ist in der Verbindung mit Bildern im Film eine komplizierte musikalische Struktur viel leichter aufzunehmen. Da wird zwölftönige Musik problemlos rezipiert, ohne überhaupt als moderne Musik wahrgenommen zu werden. Eisler hat sich in bestimmte Medien hinein begeben, die solche komplizierten musikalischen Strukturen auffangen konnten. Das Experimentieren mit dem Medium Rundfunk gehörte in den zwanziger Jahren auch dazu. Andererseits hat er sehr bewußt für konkrete Situationen, für ein konkretes Publikum, für konkrete Musiker geschrieben. Eisler hatte keine Probleme damit, völlig gegensätzliche Stile jeweils dort anzubringen, wo sie ihm sinnvoll erschienen, und sie so anzuwenden, wie sie ihm sinnvoll erschienen.

Eisler landete 1948 mehr oder weniger freiwillig in Ostberlin. Er stand zwar als Kommunist zur SBZ/DDR, wäre aber nach seiner Quasi-Ausweisung aus den USA lieber nach Wien gegangen.

Ich denke, es ist kein Widerspruch, eher weniger freiwillig nach Ostberlin gekommen zu sein und sich trotzdem nach außen hin loyal zu verhalten. Seine Hoffnung auf fundamentale gesellschaftliche Veränderungen sah er nur im Osten als erfüllbar an. Er wäre aber sicher noch gerne eine Zeitlang in den USA geblieben, was ja nicht mehr möglich war wegen der Verfolgung politischer Künstler. Eisler war der erste Künstler, der so massiv angegriffen wurde. Dadurch war ihm im Westen die Möglichkeit verbaut, eine etablierte Stelle zu bekommen. Ostberlin bot ihm diese Möglichkeiten.

Lieder für die FDJ und Streit um die Faustus-Oper

In der ersten Zeit in der DDR komponierte er die "Neuen Deutschen Volkslieder" (2). Wie beurteilst du deren Bedeutung und Stellenwert?

Ich weiß, daß es besonders in der westdeutschen Linken nicht gerne gehört wird, überhaupt nur ein positives Wort über die "Neuen Deutschen Volkslieder" zu sagen. Ich möchte es trotzdem versuchen. Sie sind ein wichtiges historisches Dokument. Sie sagen etwas aus über die Situation in diesem Ruinendeutschland. Sie stellen den Versuch dar, für diese Leute mit ihren Nazi-Erfahrungen, mit ihren Kriegserfahrungen etwas ganz leicht Verständliches zu schreiben. Etwas Singbares für die deutschen Jugendlichen, die davor Hitlerjugend waren. Es war der Versuch, Lieder zu finden, die wirklich funktionierten nach dem ganzen Nazikram. Und diese Lieder haben funktioniert; sie sind massenhaft gesungen worden, und nicht nur innerhalb der FDJ. Sie waren auf alle Fälle besser als die Lieder zuvor. Eisler hat einen Ton gefunden, der funktionierte, der angenommen wurde. Es geht mir nicht darum diese Lieder in den Konzertsaal zurückzuholen oder sie gar selbst zu singen. Zum Kennenlernen eines Zeitgefühls sind die Lieder sehr aussagekräftig.

Das nationale Pathos in den Texten dieser Lieder hat Eisler, den Komponisten der DDR-Nationalhymne, letztendlich auch nicht vor dem Vorwurf bewahrt, er sei Kosmopolit und antinational; Vorwürfe, die gegen Eisler wegen seines Faustus-Librettos erhoben wurden.

Das mit dem Kosmopolitismusvorwurf aus der Faustusdebatte (3) ist typisch für diese Zeit. Innerhalb von kurzen Zeitspannen konnten Einschätzungen, konnten Vorwürfe umkippen. Im Falle von Eisler sollte der kritische Intellektuelle diszipliniert werden. Zu Beginn der DDR gab es noch viele Spielräume. Das kippte, es begann der massive Druck, der Anspruch an die Künstler, sozialistischen Realismus zu schreiben, nicht mehr dieses unverständliche moderne Zeug abzuliefern. Es sollte für den sozialistischen Aufbau und für nichts anderes geschrieben werden. 1952/53 war die schärfste Phase der Disziplinierungsversuche gegen Künstler und gegen allzu quer denkende Intellektuelle.

Eisler wollte den Faustus als Oper schreiben. Dazu kam es nicht mehr. Meistens wird behauptet, Eisler hätte sein Werk aufgrund der Auseinandersetzung um sein Libretto nicht mehr zu Ende gebracht.

Eisler hat mit seinem Faustustext eine literarische Arbeit sehr erfolgreich beendet. Er war über dieses 1952 beendete Werk sehr glücklich; er hatte ein richtiges Erfolgsgefühl. Überall hat Eisler seinen Text gezeigt, ihn an Thomas Mann geschickt, an Feuchtwanger, an Brecht sowieso. Ich vertrete die These, daß diese literarische Arbeit nicht mit seinem sonstigen kunstpolitischen Anspruch "belastet" war. In diesem seinen nicht ureigenen Bereich konnte er unbefangen ausprobieren. Kompositionsnotizen gibt es fast gar keine zu dieser Faust-Oper. Es gibt ein paar Gedanken, was diese Oper alles leisten soll; daraus wird ersichtlich, daß es ein monströses Projekt war. Eislers Text Johann Faustus wurde Ende 1952 zum Teil in Sinn und Form vorabgedruckt und erschien als schön gemachtes, in Leinen gebundenes Buch im Aufbau-Verlag. Erst danach fand die Faustusdebatte statt. Ich glaube, daß es nicht nur die Debatte um den Faustus war, die ihn vor allem sehr deprimiert hat, sondern weil sein Ansatz nicht verstanden worden ist. Ich glaube, daß Eisler auf der Suche war nach neuen musikalischen Formen für diese veränderte gesellschaftliche Situation und daß er für ein solches Großprojekt mit solch überhöhten Ansprüchen die musikalischen Lösungen nicht hatte. Er hat dieses Projekt wohl nie endgültig weggelegt, sondern hoffte immer auf die Lösung. Insofern glaube ich, daß die Faustusdebatte ihn sicher deprimiert und behindert hat, aber nicht der alleinige Grund ist, daß die Oper nicht komponiert wurde.

Mich würde doch noch interessieren, warum behauptet wird, Eisler habe nach der Faustusdebatte kaum noch etwas Brauchbares komponiert.

Einen Grund sehe ich darin, daß man sich den Eisler von jeglichem Stalinismus freihalten möchte und es von daher gut ins Bild paßt, daß Eisler unterdrückt wurde vom Politbüro; das wurde er auch. Eisler ist aber keine Repräsentationsfigur des Antistalinismus. Er hat den Versuch in der DDR mit getragen und mit gewollt. Den zweiten Grund sehe ich in der Musikgeschichtsschreibung, die musikgeschichtsfähige Stücke etwa an einer Moderne im Sinne von Adornos Philosophie der neuen Musik mißt. Eislers Versuch, Musik zu schreiben, die auf die besonderen Bedingungen der Gesellschaft der Nachkriegszeit reagierte, wurde nicht als Experiment, nicht als gute Musik akzeptiert. Der Rückgriff auf traditionelles Material und auf einfache Formen, auf Formen des 18. und 19. Jahrhunderts, wird aus einer Avantgardeperspektive, die nur gelten läßt, was musikalischen Avantgardeformen folgt, natürlich nicht ernst genommen.

Eislers Deutsche Sinfonie, die ja durchaus diesen avantgardistischen Ansprüchen genügte, ist nach dem Krieg zunächst nicht aufgeführt worden, sondern erst 1959. Als Grund für diese verspätete Uraufführung wird zumeist genannt, daß das Werk weitgehend zwölftönig sei und deshalb in den fünfziger Jahren in der DDR als formalistisch abgelehnt wurde. Ich glaube, daß Eisler selbst sie zunächst unmittelbar nach Ende des Faschismus und des Krieges in Deutschland nicht aufführen wollte, weil er tastend suchte, wie man mit diesen neuen Bedingungen umgehen konnte, wie man komponieren mußte. Viele Stücke in dieser Zeit sind brüchig. Man merkt die Unschlüssigkeit Eislers. Und in dem Sinne sind selbst die traditionellsten Ansätze mit ihrer Brüchigkeit und ihrer Unsicherheit musikalische Experimente. Eine solche Sichtweise zu akzeptieren, erfordert ein musikgeschichtliches Umdenken, indem man nicht nur gelten läßt, was Avantgardeströmungen folgt, sondern man Musik im gesellschaftlichen Kontext verfolgt.

Lob der Partei, Zweifel und Ernste Gesänge

Das Eislersche Spätwerk wiederum, die "Ernsten Gesänge", werden allseits gelobt. In der von dir konzipierten Ausstellung wird in den Hörbeispielen Eisler mit sich selbst konfrontiert, in dem "Du großes Wir" und Auszüge aus den "Ernsten Gesängen" direkt aufeinander folgend gespielt werden.

Eisler ist eine Persönlichkeit, an der deutlich wird, daß das Schwarz-Weiß-Denken nicht aufgeht. Es überzeugt nicht, weil es eine Vielschichtigkeit, eine Widersprüchlichkeit gibt und eine Widersprüchlichkeit, die sich in einer Person verbindet. Du großes Wir ist ein Choral für den 3. Parteitag der SED 1950. Ein Lob auf die Partei die "alles gegeben hat", ein Lob auf "Marx, Engels, Lenin, Stalin" (1956 geändert in "Marx, Engels Le-he-ni-hin"). Die Musik wurde 1950 entsetzlich langsam gespielt und bekam dadurch ein scheußliches Pathos. Das muß Eisler alles selbst schrecklich gefunden haben, obwohl er ein paar Tonpeitschen mit eingebaut hatte. Das Gegenstück hat Eisler in den Ernsten Gesängen komponiert in dem Lied über den XX. Parteitag der KPdSU. Ein stilles Stück, in dem die Frage offen bleibt: "Wird sich nun der Traum erfüllen/ derer die ihr Leben gaben/ für ein kaum erträumtes Glück/ Leben ohne Angst zu haben?" Auch Zweifel und die Verzweiflung angesichts der politischen Entwicklung in der ganzen kommunistischen Bewegung sind bei Eisler komponiert.

Diese Problematik greift er in seinen Gesprächen mit Bunge (4) gar nicht auf. Eisler äußert sich dazu nur in diesem musikalischen Endwerk, in den "Ernsten Gesängen".

Das ist ein interessanter Aspekt. Er sagt in den Gesprächen mit Bunge zu den Ernsten Gesängen, er wisse überhaupt nicht, warum er "das verdammte Zeug geschrieben" hat. Und er läßt es offen. Vielleicht ist es wirklich so, daß vieles, was er darin komponiert hat, mit historischem Abstand eine größere Deutlichkeit gewinnt als 1962. Heute wissen wir natürlich viel genauer, welche Dimensionen die Repression in der Sowjetunion hatte. Wir wissen viel mehr über das Ausmaß, als Eisler wohl überhaupt zu ahnen sich traute. Seine Lebensgefährtin Hedi Gutmann, mit der er vor 1933 zusammen war, emigrierte in die SU und ist dort geblieben. 1938 ist sie verhaftet worden und war dann zehn Jahre im Gulag und anschließend in der Verbannung. Sie konnte erst 1957 in die DDR zurückkehren, unter anderem mit Eislers Hilfe. Sie lebte dann anfangs bei Eisler, und er hat dafür gesorgt, daß sie wieder zu Kräften kam. Eisler wußte also aus seinem ganz persönlichem Umfeld, was in den sowjetischen Gulags passiert war.

Eisler hat sich insgesamt in dieser Frage nicht eindeutig zu Wort gemeldet. Auch als Dessau angegriffen wurde - in der Lukullus-Debatte (5) - hat er sich zurückgehalten und nicht Position ergriffen.

Wenn Eisler noch viele Jahre älter geworden wäre, hätte er zu vielen Dingen wahrscheinlich deutlichere Worte gefunden. Nun ist er aber 1962 gestorben, und es gibt letztendlich nur die Äußerungen aus den fünfziger Jahren, wo alle sehr sehr vorsichtig waren mit ihren Aussagen. Daß Eisler in die Lukullus-Debatte nicht eingegriffen hat, könnte damit zusammen hängen, daß er damals diese Musik gar nicht so geeignet fand für die Oper. Das ist aber nur eine der denkbaren Erklärungsmöglichkeiten. Erst im nachhinein wird der enorme Stellenwert der Lukullus- und der Faustusdebatte deutlich. Georg Knepler sagte mir, daß er während der Faustusdebatte gar nicht die historische Dimension erkannt habe, weil es so viele verrückte Angriffe gegeben habe. Es sei bis zu Verhaftungen von Intellektuellen gegangen; es gab die Versuche der Vereinheitlichung in der Kulturpolitik.

Wenn Bezug auf Eisler genommen wird, wird immer gerne auf seine Positionen im Kampf gegen die Dummheit in der Musik verwiesen. Eine Aussage, die sehr schwammig ist, die auch negativ besetzt ist, nämlich als Kampf gegen den ganzen Dreck und Schmutz in der Musik.

Der Begriff Dummheit in der Musik ist genauso beliebig wie der Vorwurf des Formalismus in der Musik. Das macht auch die Beliebtheit des Begriffs aus, daß er für jeden, der Eisler zitieren möchte, zu füllen ist mit dem jeweiligen Bedarf, was als dumm erklärt wird. Man muß sich den Eisler vorstellen, mit all seiner Impulsivität, diese wirbelnde Kugel, die er nun mal war, wenn der sich ereifert hat über Dummheit in der Musik, dann hat er das in der einen konkreten Situation so, in der anderen konkreten Situation anders gesagt, dann kann man das dem Eisler so abnehmen. Aber als immer wieder aufgewärmtes Zitat: "Wir schließen uns Eislers Kampf gegen die Dummheit in der Musik an" - das kann nicht zu vernünftigen Ergebnissen führen. Das führt immer auf Wege, daß man die eine Musik verdammt, die andere nicht. Vielmehr wäre im jeweiligen Fall zu fragen, wie eine Musik gebaut ist und wie sie sich anhört? Wie ist ein Text gebaut; wie wird die Musik verstanden? Das sind viel eher die Fragen die gestellt werden sollten. Die Pauschalurteile bringen in der kulturpolitischen Diskussion nicht weiter. So könnte man dem Eisler die Neuen Deutschen Volkslieder als Dummheit in der Musik vorwerfen, eben weil man den politischen und den historischen Kontext der komponierten Musik vergessen möchte.

Eisler neu entdecken!

Mit der Ausstellung "'s müßt dem Himmel Höllenangst werden" wurde der, wie ich finde, gelungene Versuch unternommen, Eisler dem heutigen Publikum lebendig werden zu lassen.

Ich habe versucht, einen Schritt weiter auf das Glatteis Eisler zu gehen. Ich habe versucht, das vielerorts falsch eingeschätzte Spätwerk Eislers anzugehen, und gefragt: Was passiert nach seiner Rückkehr aus der Emigration? Ich wollte ein Terrain bearbeiten, das bisher in der Eislerforschung keine besondere Rolle gespielt hat. Es war eine Möglichkeit, unbekannte Dinge zu zeigen, ohne das andere völlig weg zu lassen, denn die Situation der Remigranten ist nicht zu verstehen, wenn man sich nicht mit der Zeit davor beschäftigt.

In dem von dir herausgegebenen Sammelband befindet sich ein Beitrag von Eckard John, der darauf hinweist, daß sich heute mit Eisler nicht gegen rechte Gruppen wie Störkraft agieren läßt. Damit wird die Schwierigkeit benannt, daß, so wie Eisler heute rezipiert wird, er musikalisch tot ist. Oder er wird, wie auch von John gefordert, neu entdeckt und anders dargestellt.

Das würde ich genauso scharf formulieren wie John. Eisler muß vor den Heiligtumswächtern in Schutz genommen werden, wenn man Eisler neu entdecken will.

Gibt es die Möglichkeit der Herausbildung einer neuen Szene, die Eisler weiterentwickeln kann? Wer kann, wer wird Eisler in seinem 101. Lebensjahr noch anwenden?

Eisler anzuwenden heißt natürlich zu fragen: von wem, für wen? Diejenigen die ihn aus momentanen "Modegründen" gespielt haben, werden ihn im Plattenschrank hin und her stellen, den einen oder anderen Liederabend machen. Danach wird wieder vieles vergessen sein. Sobald der nächste Jubilar ansteht, und der könnte im Jahr 2000 Kurt Weill sein, wird Eisler ersetzt. Mit Eisler produktiv umzugehen - John wirft das auf und fragt, ob politische Musik nicht längst ganz andere Wege geht als Eislers Ansatz. Und da würde ich ihm zustimmen, weil auch die Zeit völlig anders ist als fünfziger Jahre oder gar die noch frühere Zeit.

Diese Frage ist sicherlich nicht von Musikwissenschaftlern zu lösen, sondern die Antwort könnte in erster Linie aus einer musikalischen Praxis kommen. Auf der "Hochkulturebene" gibt es ein sehr spannendes Projekt von Heiner Goebbels, der mit Tonbandausschnitten und einem Schauspieler eine Art Collage mit Eislermaterialien gemacht hat. Außerdem gibt es ein ganz spannendes Programm von Hans-Eckardt Wenzel, der auch mit einer Musiktheatercollage arbeitet. Diese Weiterentwicklungen von zwei Leuten ganz unterschiedlicher Richtung sind mir bekannt. Beide verwenden Eisler als Material für eine Collage, die sich mit Kulturgeschichte, Musikgeschichte und der Frage nach heutiger Aktualität auseinandersetzt, indem sie "respektlos" Eisler montieren und dadurch wiederum Eisler gerecht werden durch die Herstellung von neuen Bezügen. Das aber sind Ansätze, die sicher nicht für das von Eisler immer so sehr gesuchte Massenpublikum geeignet sind.

John stellt ja die provokante Frage, ob Eisler nicht im Rapdickicht zu suchen sei.

Wenn das Rapdickicht den Eisler findet und aus dem Eisler was macht, kann sein, daß sich da etwas Spannendes ergibt. Aber ich weiß nicht, ob der Rap den Eisler braucht oder der Eisler den Rap.

Anmerkungen:

1) Georg Knepler wurde 1906 in Wien geboren, lebte von 1934 bis 1946 im Exil in England. Von 1949 bis 1960 war er Rektor der Hochschule für Musik in Ostberlin, bis 1970 Direktor des Musikwissenschaftlichen Institutes an der Humboldt-Universität, bis 1982 Chefredakteur der "Beiträge zur Musikwissenschaft". "Schwierigkeiten mit dem Kennenlernen von Eislers Lebenswerk" heißt sein Beitrag in "'s müßt dem Himmel Höllenangst werden".

2) Im Gesang vom Lernen in den "Neuen Deutschen Volksliedern" lauten einige Zeilen: "Wir wollen das Schöne/ Uns machen zu eigen/ Und dienen dem Wahren/ Mit ganzer Kraft".

3) In insgesamt drei längeren ak-Artikeln von Knut Mellenthin wurde die DDR-Kulturpolitik der Jahre 1952/53 analysiert und beschrieben.: "Ein wahrhaffte und erschröckliche Geschicht" - Der Streit um Eislers Faust-Entwurf 1953 (ak 340 vom 11. März 1992, S. 32ff.); "Entartete Kunst" und "Heimatloser Kosmopolitismus" - Ein Kapitel DDR-Kulturpolitik (ak 341 vom 8. April 1992, S. 37f.) und "Paul Merker und die Juden" (ak 343 vom 3. Juni 1992, S. 27ff.). In der Auseinandersetzung um die Ausrichtung der DDR-Kulturpolitik spielten antijüdische Argumente eine Rolle. In der DDR wurde der Höhepunkt dieser Kampagne mit der Verurteilung der "Merker-Gruppe" 1952 erreicht.

4) "Hanns Eisler - Fragen Sie mehr über Brecht; Gespräche mit Hans Bunge" erschienen in der Sammlung Luchterhand, 1986; eigentlich waren diese Gespräche gedacht, um Zeitzeugen zu Brecht zu befragen. Hans Bunge war Dramaturgie- und Regieassistent bei Brecht am Berliner Ensemble. Die 14 im Zeitraum 1958 bis kurz vor Eislers Tod 1962 aufgezeichneten Gespräche zwischen Bunge und Eisler hatten längst nicht mehr nur Brecht zum Thema. Sie geben einen wunderbaren Blick auf die Persönlichkeit und das Denken Eislers.

5) Die Oper von Paul Dessau (Text von Brecht) "Das Verhör des Lukullus" war 1951 in die Kritik des ZK der SED geraten. Die Oper wurde als Musterfall des Formalismus angesehen. In ak 340 wird Formalismus wie folgt definiert: "Sammelbegriff für künstlerische Stile und Arbeitsformen, die im Gegensatz zum ,sozialistischen Realismus` stehen, beispielsweise abstrakte oder expressionistische Malerei. Der ,Formalismus` wurde als Ausdruck spätbürgerlicher Dekadenz und als Instrument des Imperialismus zur Unterwanderung der sozialistischen Länder interpretiert." In einer Stellungnahme des ND vom 19. Dezember 1952 hieß es zu Dessaus Lukullus-Musik: "Es ist einleuchtend, daß eine solche Musik den Charakter der Deutschen Staatsoper als der führenden deutschen Musikinstitution zerstören muß, da sie in ihrer Tendenz volksfeindlich und antinational ist. Was ist der Erfolg eines solchen ,musikalischen` Schaffens: Die Werktätigen haben kein Interesse daran und verspüren nicht die geringste Lust, sich so etwas anzuhören."


Zeitgleich zur Ausstellung gab Maren Köster einen sehr lesenswerten Sammelband in der Reihe Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts heraus ("'s müßt dem Himmel Höllenangst werden"), der kontroverse und zur Diskussion anregende Beiträge umschließt. Das 304 Seiten starke Werk umfaßt schwerpunktmäßig musikwissenschaftliche Texte, die gut verständlich geschrieben sind und auch musikalischen Laien neue Blickwinkel auf Hanns Eisler ermöglichen. Erschienen ist der Band im Wolke Verlag, Hofheim und kostet im Buchhandel 48 DM. Zum Preis von 25 DM kann das Buch auch direkt bei der Akademie der Künste; Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, Tel: 030-39076-172, Fax: 030-39076-175 oder e-mail: info@adk.de bestellt werden.
Ausstellungstermine:
6. September bis 10. Oktober Frankfurt/Oder Konzerthalle "Carl Philipp Emanuel Bach", Collegienstr. 8;
20. Oktober bis 20. November; Leipzig; Neues Gewandhaus
11. Dezember 1998 bis 2. Februar 1999 Wien; Literaturhaus


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