akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 437 / 13.04.2000

Mit 120 beats per minute zur Rebellion

Give out but don`t give up" war der Titel der 1994 veröffentlichten CD von "Primal Screams", ein Mainstream-Album, dass von der Kritik verrissen wurde. Es war das erste, was ich von der Gruppe hörte - ich war begeistert. Rhythm&Blues der feinsten Art, nahe bei den Rolling Stones, nur viel besser als die damals schon vom Mythos zehrende aufgeblasene Alt-Herren Supergroup. Also, etwas originäres, was Menschen meiner Sozialisation so sehr lieben. Mir war nicht klar, dass "Primal Scream" schon damals für etwas vollkommen anderes standen, als diese Platte suggerierte.

Ursprünglich war die Band als Neben-Produkt des Drummers Bobby Gillespie von "Jesus and Mary Chain" gegründet worden. Er engagierte die Gitarristen Andrew Innes und Robert Young, die noch heute bei der "Scream Gang" sind und verließ Mitte der 80er Jahre "Jesus and the Mary Chain". Früh begann die englische Band erste Techno-Einflüsse einzubauen. Zusammen mit dem DJ Andrew Weatherall gelang ihnen ein in den angesagten Danceclubs oft gespielter Undergroundhit. Ihr Album "Screamadelica " nahm vieles vorweg, was sich heute The Prodigy, Underworld und andere auf ihre Fahne heften.

Ein erstes Crossover zwischen Acid, Dub und traditionellem Rock hatte die Technomusik mainstreamfähig gemacht. Davon unbelastet, lernte ich die Gruppe über die Rhythm&Blues-Ecke kennen und besorgte mir 1997 ihr nächstes Album "Vanashing Point". Der darauf enthaltene Song "Kowalski" brachte es in die britische Top 10. Kowalski ist auch ein Schlüssel zur inhaltlichen Sequenz des gesamten frühen "Scream Gang"-Projekts. Kowalski ist die Figur eines ehemaligen Rennfahrers aus dem Film "Vanashing Point" (Fluchtpunkt San Franzisko), der wegen permanenter Geschwindigkeitsübertretungen von der Polizei quer durch die Wüste von Nevada gejagt wird. Als er seine Ausweglosigkeit erkennt, entschließt er sich, in den Tod zu rasen. Diese Gesetzesübertretungen werden exemplarisch als individuelle Rebellion an der Figur des Kowalski festgemacht. Diese Rebellion des einzelnen gegen ein übermächtiges System, welches - wie es in den Texten der Band heißt - die "Seele raubt" bzw. "die Seele auf Eis legt" - ist durchgängiges Thema bei "Primal Scream". Musikalisch musste ich überbeißen und die Triphop- bzw. Acidelemente in mein gängiges Hörschema einarbeiten. Das gelang nicht ohne Probleme, war aber im Endergebnis ein Gewinn.

Bei der Sprunghaftigkeit, mit der "Primal Scream" die Genres wechselte, war nie klar, ob das Ausloten neuer musikalischer Grenzen primär dem exorbitantem Drogenkonsum von Gillespie oder einem künstlerischem Gesamtkonzept folgte.

Wie auch immer: Die neue CD "XTRMNTR" geht in der musikalischen und textlichen Umsetzung der Systemkritik über den nur individuellen Akt der Verweigerung weit hinaus. Mit 120 beats per minute wird der Imperialismus der USA und die Verrottetheit des Kapitalismus gegeißelt. "... Lookout Kid, they keep it all hid, you think you are free but you aint free, just free to be hit ..." heißt es da in einem Titel. England gilt der Band als "51th state of Amerika". Dies hat zwar schon von "New Model Army" getan, ist nicht sehr differenziert, aber doch eine Beschreibung von Realität. "Primal Scream" haben sich radikalisiert. Die etwas heuchlerische Kritik einiger Musikredaktionen wirft Gillespie vor, er betreibe in seinen politischen Texten einen volkshochschulhaften Belehrungsimpetus. Aber vermutlich hat diese Kritik eher damit zu tun, dass dem Kritiker die Sicht der Dinge nicht passt? Oder ist das lediglich die Ablehnung der einst mal eigenen Position? Denn auch im Musikgenre ist es durchaus normal, sich gegenüber alten (linksradikalen) Jugendsünden geläutert zu zeigen.

Musikalisch geht's in die Vollen. Die Disharmonien überwiegen, werden aber immer noch rechtzeitig aufgelöst. "Primal Scream" vollziehen eine Fusion von Funk-, Techno-, Hardrock-, Freejazz und Rapelementen. Nur "Keep your Dreams" auf "XTRMNTR" bringt all die wunderschönen Rhythm&Blues-Akkorde in brillanter Schönheit. Auf der Bühne ist die Band in Deutschland dieses Jahr wohl nicht mehr zu sehen. Eines der letzten Konzerte habe ich Anfang April im Hamburger "Grünspan" gesehen. Es brauchte Zeit, sich der Umsetzung der zivilisatorischen Kritik zu nähern. Es war laut, sehr rhythmisch und gut. Auf der Bühne standen neben Gillespie sieben weitere Musiker. Drei Gitarren, die eine enorme Akkordwand aufbauten; ein Bass, der mit dem Schlagzeug den Rhythmus in massiver Form, aber nie statisch in den Raum legte; zwei Blechinstrumente, die sowohl die Freejazzpassagen, als auch die Funkelemente der Musik ausformulierten und endlich ein Klavier, von einem der Gitarristen gespielt, das den Rock`n`Roll an Mann und Frau brachte. Die zweite Zugabe war der Klassiker "Kick out the Jam" von MC5, aufgelöst in einer absoluten Freejazzkakophonie. Mutig!

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Diskografie: 1987 Sonic Flower Groove; 1989 Primal Scream; 1991 Screammadelica; 1994 Give out but d'ont give up; 1997 Vanashing Point; 2000 EXTRMNTR, 1996 auf dem Soundtrack zu Trainspotting

Joseph Arthur -
der etwas besondere Singer/Songwriter

Die erste Platte von Joseph Arthur wurde von Peter Gabriels "Real World" Projekt ermöglicht. Die zweite "Come to where Im from" erscheint bei Virgin und Arthur darf sie als Vorgruppe von Ben Harper anbieten. Harper, der zur Zeit im Norden Italiens und der Schweiz tourt, ist eine der exzellentesten Adressen aus diesem Musikfeld, die neue CD wurde von niemand geringerem als T Bone Bunett produziert.

Wer so viel Zuspruch erfährt, muss schon über besondere Talente verfügen. Der Mann ist ein Multitalent: Nicht nur die Musik, sondern gleich auch noch das Cover der CD ist vollständig von ihm selbst gestaltet. Die Musik ist nie glatt, dennoch schön. Leicht gebrochen, behandelt er - wie sollte es anders sein - die Abseiten des Lebens. Manchmal rockt es, manchmal ist es eher relaxed. Halt wie im richtigen Leben. Bei seinen Konzerten spielt er mit Kenny Wollesen und Tony Scherr, beide aus New York.

Eine absolute Empfehlung für alle Fischgräten, denn Arthurs einziges Konzert in Deutschland findet am 18. April im Logo in Hamburg statt. Wer da nicht hingeht, hat sich den Abend versaut.

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