akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 439 / 08.06.2000

Sound des Hasses - Nazi-Musik in Europa

Die Ausstrahlungskraft der neonazistischen und rassistischen Organisationen, Gruppen, Vereine und Parteien ist ohne eine erhebliche Kulturarbeit kaum vorstellbar. Ihr Einfluss und ihr Rekrutierungsfeld erschließen sie über ein Netz von Unternehmen und Einrichtungen, die sich mit dem Vertrieb von Rechtsrock-Musik befassen. Darüber werden nicht nur viele Jugendliche erreicht, auch für die Finanzlage rechter Organisationen ist das Engagement von Nutzen. Einen umfassenden und äußerst detaillierten Bericht über die Aktivitäten von Neonazis im Bereich des Rechts-Rocks verschafft das vor kurzem erschienene Buch White Noise, das in Zusammenarbeit mit der britischen Zeitung Searchlight, dem Berliner Antifaschistischen Infoblatt und anderen entstanden ist. Dabei handelt es sich um eine teilweise aktualisierte und ergänzte Ausgabe, der bereits 1998 in England unter gleichem Titel veröffentlichten Aufsatzsammlung.

Das Buch liefert durchaus mehr als nur einen Einblick in die internationale Neonazi-Musik-Szene. Dargestellt wird nicht nur, wer wo und mit wem an der Herstellung und dem Vertrieb von Blood & Honour und White-Power-Musik beteiligt ist. In den verschiedenen Aufsätzen wird auch auf die inneren Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Strömungen eingegangen und deutlich gemacht, welches ökonomische Potenzial die Verkaufs-Erlöse für Nazi-Organisationen darstellen. "Neonazi-Musik konnte schon Mitte der 90er Jahre Hundertausende von Mark erwirtschaften, heute dürften es allein in Deutschland Millionen sein. Der Doppeleffekt könnte dabei zu einer enormen Dynamik führen: Einerseits werden Zigtausende an Musikträgern mit rassistischer, neonazistischer Musik überwiegend an Jugendliche gestreut; andererseits fließen große Mengen Geld direkt in die Hände neonazistischer Funktionäre und Organisationen", stellen die Herausgeber im Vorwort fest.

Rechte Musik bringt Geld und Einfluss

In der Tat ist die Bedeutung der Rechts-Musik für die ideologische Ausrichtung von Jugendlichen nicht zu unterschätzen. Zwar muss man nicht gleich unterstellen, dass der Besuch solcher Konzerte von Bands wie Combat 18 und anderen automatisch zur Organisierung der Leute führt. Aber in jedem Fall dürfte das Umfeld, in dem man sich zu solchen Anlässen bewegt, eindeutig die Bereitschaft, die Botschaften von Nazigruppen und Organisationen aufzunehmen, deutlich verbessern. Rassistische und neonazistische Propaganda kann so erheblich einfacher in den öffentlichen Raum und die Köpfe ganzer Szenen eingeschleust werden. Das hilft alle mal, um für Hetzjagden gegen Flüchtlinge und Anschläge auf Wohnheime für ausreichende Akzeptanz zu sorgen.

Dass diese Nazi-Musik-Kultur nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Entwicklung gesehen werden kann, ist den Autoren und Herausgebern ebenso klar, wie die Begrenztheit der staatlichen Maßnahmen gegen diese Bewegung. Ein massiveres staatliches Vorgehen gegen die Vertriebswege und die Verbreitung von Nazi-Musik ist jedoch nur dann zu haben, wenn der politische Druck auf die entsprechenden staatlichen Institutionen erhöht wird. Schon zu diesem Zweck ist antifaschistische Recherche und Aufklärung erforderlich, - und genau das leistet White Noise.

Doch allein staatlicher Druck reicht nicht aus. Die Herausgeber verweisen ausdrücklich darauf, wie wichtig es ist, Jugendliche gegen den rechten Mainstream zu unterstützen und ihnen zu helfen, (Frei-)Räume zu schaffen. "Denn neonazistischer Ideologie kann der Boden nur durch eine breite solidarische und vor allem für Jugendliche attraktive Gegenbewegung entzogen werden." Wie das allerdings aussehen könnte und was unter einer attraktiven Gegenbewegung zu verstehen wäre, darüber werden in dem Buch leider keine weitere Überlegungen angestellt. Ein solcher Beitrag wäre ganz schön gewesen. Denn die Herausgeber gehen zurecht auch davon aus, dass die dargelegten Fakten und Entwicklungen einigermaßen "erschlagend wirken". Der Hinweis, dass mit der Vorlage des Buches eine in Anlehnung an die in England laufende Kampagne "Turning down the sound of hate" nun auch in Deutschland laufen soll, ist etwas kurz geraten.

Dennoch: als Grundlage für jede und für jeden, sich mit der Nazi-Musik und Propaganda näher beschäftigen will, der/die hat mit White Noise eine exzellente Informationsquelle zur Verfügung. Und dies nicht nur über die deutsche Szene. Umfassend wird auf die jeweiligen Nazi-Bands, Vertriebswege und politischen Strukturen und deren Zusammenarbeit in Europa und den USA eingegangen. Aufsätze über die Neonazi-Musik in Polen, über die White-Power-Skins in den USA, die Strukturen und Entwicklung in Schweden und natürlich in England und Deutschland machen deutlich, dass es sich hier nicht einfach um ein isoliertes Problem in einigen ländlichen Gebieten handelt, sondern dass die Neo-Nazi-Szene und ihre Musik sich inzwischen international organisiert haben und engstes zusammenarbeiten. Der rechte Kultur-Austausch ist intensiv entwickelt.

Nazi-Musik hetzt auch im Internet

Wer über die rassistischen und faschistischen Texte und die Präsens der Nazi-Bands einen eigenen Eindruck bekommen möchte, braucht heutzutage nicht mehr in die entsprechenden Veranstaltungsorte wie dem Club 88 (was in der Szene "Heil Hitler" bedeutet, die acht steht für den achten Buchstaben im Alphabet) im schleswig-holsteinischen Neumünster reisen. Ein vorzüglicher Artikel von Stefan Jacoby folgt den Spuren der Nazi-Szene-Bands im Internet. Auszüge von Musiktexten unterstreichen die brutalen Gewaltfantasien der Nazi-Szene, in denen zu Mord und Totschlag an Juden und Flüchtlingen aufgerufen wird. Auch die Musik lässt sich hier finden: über das Datei-Format mp3 ist es inzwischen bequem möglich geworden, Musikdateien über das Internet zu vertreiben. Aufgezeigt wird, wie die Kommunikation der Neo-Nazis funktioniert, wie über elektronischen Gästebücher legaler Seiten die NutzerInnen über andere, zutiefst nazistische Homepages informiert werden, die wegen immer neuer Verbote durch die Provider ihre Adresse immer wieder ändern müssen. "Wenn man der White-Power-Szene das Rückrat brechen kann, würde das erhebliche Auswirkungen auf die Neonazi-Organisationen haben, die von ihr finanziert werden. Der rassistischen Musikszene der Saft abdrehen, ist heute eine der wichtigsten Aufgaben für AntirassistInnen und AntifaschistInnen", heißt es in den bereits 1998 verfassten Schlussfolgerungen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

DSe

White Noise, Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour - Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene, Herausgegeben von Searchlight, Antifaschtisches Infoblatt, Enough is enough und rat. Das 152 seitige Buch ist erschienen bei: UNRAST-Verlag, reihe antifaschistischer Texte, Hamburg/Münster 2000 und kostet 19,80 DM,
ISBN 3-89771-803-0


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