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akLogo   ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 453 / 30.08.2001

Next estación Hoffnung

Manu Chao auf dem Gurten. Andere auch.

Die Welt ist in Ordnung, von ein bisschen Regen abgesehen. Auf dem Gurten, dem Hausberg von Bern, findet ein Festival statt, das Gurtenfestival eben, zum achtzehnten Mal. Aber es liegt was in der Luft an diesem 15. Juli, das wissen auch die JournalistInnen: Genua. Auf spanisch, französisch und englisch, alle fragen sie Manu Chao auf der Pressekonferenz dasselbe: "Warum gehst du nach Genua?" Der viel Befragte antwortet bereitwillig, zuerst auf spanisch, dann auf französisch und schließlich, halb belustigt, halb genervt auf englisch: "Es gehen Hunderttausende dorthin; ich werde einer von ihnen sein, nicht mehr, nicht weniger. Ich werde als menschliches Wesen dort sein, das seine politische Meinung äußert, nicht als Musiker." Während im Hintergrund P.J. Harvey bereits mit dem Soundcheck beginnt, betont Manu Chao nochmal, dass Europas Zukunft den Illegalen gehört. Als wäre er nicht einer der Top Acts dieses Festivals, plaudert er darüber, wie schön die Zeit mit Mano Negra war und darüber, wie unwahrscheinlich eine "reunión", eine Wiedervereinigung der Band ist. Die jungle world hatte seine zweite Solo-Produktion "Próxima Estación Esperanza" zur Ausrüstung eines jeden Globalisierungsgegners erklärt, aber er selbst bleibt beim Understatement.

Dass ein Festival zu spüren scheint, was in der politischen Luft liegt, lässt das Herz einer/s jeden Poplinken höher schlagen. Dabei ist das Gurtenfestival eines der unzähligen Events, die in diesem Sommer überall in Europa eigentlich nur für gute Laune sorgen sollen - eine Aufgabe, der es mit einem Budget von 3,5 Millionen Franken leicht gerecht wird. Um eine "Gratwanderung zwischen Kommerz und Kultur" geht es, so einer der Organisatoren, Philippe Cornu, und die ist zweifellos geglückt.

Aber schon als Jan Delay als Festival-Opener startet, ist klar, die Stimmung der 15.000 BesucherInnen erträgt mehr als Sonnenbank-Funk, Talkshow-Soul und Kaufhaus-Punk. Es sind gerade die politischen Texte, die am besten ankommen, was nicht heißt, dass man anschließend nicht massenhaft zu Liebesliedern von Morcheeba hinschmilzt - um dann allerdings bei "Part of the Process" wieder aufzuwachen. Danach präsentiert sich Erykah Badu, im Festival-Programm angekündigt als "Sängerin mit der schönsten Stimme seit Billie Holiday". Sie kommt mit erhobener Faust auf die Bühne und trifft damit die Stimmung des Festivals so unmittelbar, wie man es normalerweise einem Star nicht zutraut. (Was übrigens die Eindringlichkeit ihrer Stimme betrifft, braucht später Skye Edwards den Vergleich mit Badu nicht fürchten).

transnationaler Musiker understatet

Ska P jedenfalls, die Band mit der klarsten politischen Message des Festivals, feiert man richtig fett ab. Die sechs stammen fast alle aus dem Madrider Vallecas-Viertel, das für den anarchosyndikalistischen Widerstand gegen Franco berühmt war, und Ska P beruft sich bewusst auf diese Herkunft. Seit 1994 kämpft die Band mit Ska-Punk gegen Imperialismus, Sexismus und immer wieder für die Legalisierung von Cannabis. Sie hätten nicht unbedingt als dollarprotzende Yankees verkleidet auf die Bühne steigen brauchen, um zu verdeutlichen, gegen wen es geht. Als sie später in Sturmhaube auftreten, gilt der Zusatzapplaus nicht ihnen selbst: Chiapas ist ganz nah und GlobalisierungsgegnerInnen in Wirklichkeit TransnationalistInnen.

Den Wechsel vom frisch spritzigen Ska-Punk zum schweren Rock von Motörhead macht das Publikum freudig mit; auch Lemmy braucht seit "Eat the Rich" nicht mehr extra zu betonen, wo er steht. Nicht begriffen, was angesagt ist, haben vor allem Die Ärzte, die eifrig Fishing-for-compliments betreiben und am Ende das Publikum beschimpfen, weil es zu wenig applaudierte.

poplinke Herzen hüpfen hoch

Als endlich Manu Chao und seine elf Musiker auf die Bühne kommen, treten sie vor ein Publikum, das seit zwei Tagen abtanzt. Bloß das Wetter hat inzwischen von Sonnenschein komplett auf Regen umgestellt. Manu Chao spielt in einer Wolke. Weiter als fünfzehn Meter von der Bühne entfernt, sieht man gar nix, und klitschnass sind sowie so alle. Wer erwartet hat, dass die Regentropfen nun von seichtem Bongo-Bong begleitet werden, liegt glücklicherweise völlig daneben. Das anfängliche Plaudern über Manus Vergangenheit Mano Negra macht plötzlich Sinn, denn wer eben nicht unmittelbar vor der Bühne steht und sieht, könnte meinen, es ist Mano Negra, die Band, die nicht umsonst einmal als beste Live-Band der Welt betitelt wurde. Schon bald ziehen die Leute ihre Regenjacken aus, es regnet weiter, aber Party ist angesagt, und schließlich vergisst man die Reinlichkeitserziehung und badet im Schlamm. Wozu es letztes Jahr auf dem Gurten anderthalb Tage Regen und etliche Bands brauchte, reichen heuer Manu Chao und eine Wolke. "Meine Musik ist doch gar nicht politisch", hatte er gesagt, und richtig, diese Musik lässt die Leute tanzen und befreit die Köpfe von Alltagssorgen ebenso wie gegebenenfalls von Analysen der Weltwirtschaft. Aber es ist eine Musik, die um Sorgen und Analysen weiß. Deswegen ist sie, bei aller Naivität, politisch. Und darum können wir uns hoffentlich noch auf viele Konzerte mit Manu Chao freuen.

Tommy Schroedter

Weitere Infos: www.gurtenfestival.ch


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