ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und PraxisNr. 448 / 15.03.2001

Der orbitale Blick

Stanley Kubricks Film "2001 - Odyssee im Weltraum"

1968 hatte Stanley Kubricks Film "2001 - Odyssee im Weltraum" Premiere, eine Science-Fiction Vision, die auch heute noch fasziniert durch Bilder und Sequenzen von außergewöhnlicher Schönheit. Der filmische Essay verknüpft den Aufbruch ins Weltall mit dem griechischen Mythos der Odyssee. Er reflektiert die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Technik. Welche Herausforderungen stellen die neuen Techniken an den Menschen und wie werden sie seine Welt verändern? Seit dem 22. Februar ist die "Space Odyssee" wieder bundesweit auf die Kinoleinwand zurückgekehrt.

Die Odyssee durch den Weltraum beginnt vor zwei bis drei Millionen Jahren mit dem Beginn der menschlichen Evolution. In der Nähe eines Wasserlochs kämpft eine Horde Affenmenschen ums Überleben.

Ein schwarzer Monolith versetzt die Affen in höchste Aufregung. Vordergründig betrachtet könnten die ZuschauerInnen ihn als den stummen Abgesandten einer außerirdischen Intelligenz betrachten, der den Impuls gibt für den wichtigen Schritt in der menschlichen Evolution. Der Führer der Affen "begreift", dass der Knochen eines toten Tieres zu seinem verlängerten Arm werden kann, zu einem Werkzeug - und einem Instrument zum Töten.

Im Triumph der Gewissheit, dass ihm die Keule Macht über andere Leben verleiht, schleudert der "Urmensch" die Keule in die Luft. Die Kamera folgt dem Flug des Knochens, verliert ihn, fängt ihn kurz vor der Abwärtsbewegung wieder ein. Durch einen weiteren Schnitt verwandelt sich der blaue Himmel, durch den der Knochen fliegt, in das schwarze Weltall.

"Konstruktive Montage" nannte der sowjetische Filmemacher Pudowkin dieses filmische Vorgehen, mit dem Stanley Kubrick ohne Überblendung Zeit, Raum und Geschehen rafft. "... 2,5 Millionen Jahre von der Vorzeit bis in die nahe Zukunft, tausende Kilometer von irgendeinem halbvertrockneten irdischen Wasserloch bis zu einem Hilton-Hotel in der Nähe des Mondes, unendlich viele technologische Entwicklungsschritte vom fliegenden Knochen zum Raumschiff - zusammengefasst in 20 Sekunden Filmzeit." (1)

Wenn man daran denkt, wie oft insbesondere im Fernsehen wenig aussagekräftige Bilder durch Musik "aufgepeppt" werden, so wird man die außergewöhnliche Fähigkeit Stanley Kubricks bewundern, Film und Musik miteinander zu verknüpfen. Wurden die Szenen der Bewusstwerdung der Urmenschen durch die ersten Takte der Tondichtung "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauss in ihrer Bedeutung dramatisch hervorgehoben, so wird der Blick ins Weltall mit seinen Flugobjekten und Gestirnen durch die der Sequenz unterlegten Walzertakte von Johann Strauß "An der schönen blauen Donau" zu einem atemberaubenden beglückenden Erlebnis.

Das Innere der Raumfähre Orion III ist eine technisch perfekte Welt, die mit ihrem aseptischen Weiß alles Sinnliche zu ersticken droht. Es ist die Welt, in der Top-Wissenschaftler, Diplomaten und Astronauten zwischen Raumstationen hin- und herpendeln. So ein Weltraumnomade ist auch Dr. Floyd, der sich in geheimer Mission auf dem Weg zum Mond befindet.

Am Mondkrater Tycho wurde bei Ausgrabungsarbeiten ein schwarzer Monolith gefunden, der nach Ansicht der Wissenschaftler ein Zeichen fremder Intelligenz aus dem Weltall sei. Die Begegnung mit dem schwarzen Monolithen verläuft allerdings anders als erwartet: Der Monolith sendet einen durchdringenden Ton aus, der die Schmerzgrenze überschreitet. Was für die Naturwissenschaftler nur eine "magnetische Anomalie" darstellt - sie nennen ihn T.M.A.-1 (Tycho Magnetic Anomaly - One), ist etwas Magisches, Ungeheuerliches, dass den Horizont des Erwartbaren durchbricht.

Vierzehn Monate nach der Entdeckung des Monolithen startet das Raumschiff Discovery zum Jupiter. Eine Expedition, die klären soll, warum der Monolith Funksignale in Richtung dieses Planeten zu senden scheint. An Bord sind die beiden Astronauten Dave Bowman und Frank Poole und drei Wissenschaftler, die bis zur Ankunft auf dem Jupiter in Kälteschlaf versetzt sind.

Die Discovery wird von einem Großrechner mit Namen HAL gesteuert. Der Raumflug verläuft unkompliziert. Als die beiden Astronauten jedoch beschließen den Großrechner HAL wegen einer Fehlfunktion abzuschalten, ermordet HAL die drei Wissenschaftler und den Astronauten Frank Poole.

In einem riskanten Manöver kann Dave Bowman sich in das Raumschiff katapultieren, in das Innere des Großrechners eindringen und die Speicherplatte aus dem Rechner ziehen. HAL, der vermeintlich allwissende Computer, der zum Mörder geworden ist, wirkt menschlich, wenn er sanft melancholisch sagt: "Ich verliere mein Gedächtnis". Dave hat - wie Odysseus im Kampf mit dem einäugigen Polyphem - keine andere Wahl. Es scheint, als würde er mit der Zerstörung des Großrechners die eigene Schöpfung, die ihn beherrschen wollte, rückgängig machen.

In einer der schönsten und zugleich rätselhaftesten Szenen des Films bittet der "sterbende" HAL Dave, ein Lied für ihn zu singen. Dave stimmt zu und HAL singt ein Lied, das aus seiner "Computerkindheit" zu stammen scheint: "Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein". Seine Stimme ist die Stimme eines Vereinsamten, der sich in der Tiefe des Weltraums verirrt hat.

Auf dem Weg zum Jupiter wird David Bowman von einer unbekannten Energie in die Tiefe des Alls gezogen. Es folgt eine furiose Kamerafahrt durch Sternentore, an Flammenmeeren und Lichtkorridoren vorbei. Lichtspuren rasen über Bowmans Helm und die weit geöffneten Augen. Am Ende der Fahrt durch das All landet er in einer Suite aus dem 18. Jahrhundert. Verwundert stellt er fest, dass er altert und zugleich wie ein Träumender diesem Alterungsprozess zusieht. Der schwarze Monolith erscheint noch einmal. Wie eine surrealistische Erfindung René Magrittes schwebt er vor dem Bett und erweist dem sterbenden Dave Bowman die Gnade, wiedergeboren zu werden. In die Augen des Embryos, der im Weltall schwebt und aus einer Fruchtblase heraus auf die Erde hinabblickt, ist die Fähigkeit zum Staunen zurückgekehrt, die dem früheren Leben Bowmans drohte, verloren zu gehen.

Gegen das Übermaß der technischen Rationalität, dass die Menschen bedroht, hat Stanley Kubrik eine "Weltall-Ästhetik gestaltet, die den menschlichen Geist erhöht und auf eine Odyssee ins Undarstellbare und Undenkbare mitnimmt. Wie in einem Raumschiff fliegen wir filmisch durch jenen unbegrenzten Raum, den Kant 1790 ästhetisch reflektiert hat, um die ,heiligen Schauer` des erhabenen Gefühls zu evozieren. Denn nur so können wir der Größe und Macht jener technischen Herausforderungen standhalten, die sich ständig potenzieren und ins Extreme steigern." (2)

ge., Hamburg

Anmerkungen:

1) Michael Esser, It`s so very lonely ...: 2001: A SPACE ODYSSEE; in: Andreas Kilb/Rainer Rotter u.a., Stanley Kubrick, Dieter Bertz Verlag, Berlin, 1999, 138f)

2) Manfred Geier, Die Botschaft des schwarzen Monolithen, FR, 30.12.2000


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