ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und PraxisNr. 453 / 30.08.2001

"Die wird wie ein Blitz einschlagen..."

Wochenschau im "Dritten Reich"

Die ZuschauerInnen, die im Sommer 1939 zu Millionen in den deutschen Kinos diese Bilder sehen, verstehen die Botschaft. Nichts könnte in dieser Zeit voller Gerüchte über einen möglichen Krieg den Friedenswillen des "Führers" mehr bezeugen als die Bilder dieser bloß defensiven Bauwerke. Jedoch - nichts an diesem Film ist wahr: Nazi-Deutschland selbst plant längst den Krieg im Osten. Der Westwall, in Wirklichkeit kaum mehr als eine Anhäufung kleinerer Sperrwerke und schwach bewaffneter Bunker, ist vor allem ein großes propagandistisches Ablenkungsmanöver. Ein Panzerwerk Scharnhorst gibt es ebenso wenig wie das ausgedehnte und perfekte unterirdische Transportsystem. Gedreht wird in Bunkern auf einem ausgedienten Truppenübungsplatz, die eigens für diesen Film zu einem Filmstudio hergerichtet wurden. "Kümmerlich und eng", so Fritz Hippler, Regisseur des Spektakels und Vertrauter von Reichspropagandaminister Goebbels, seien die realen Räumlichkeiten gewesen. Aber, "mit einigem guten Willen und durch ein paar Tricks" habe sich das "optisch steigern lassen."

"Mit gutem Willen und ein paar Tricks"

Die Manipulation der öffentlichen Meinung durch das Medium Film hat die NS-Diktatur zu diesem Zeitpunkt längst perfektioniert. Allwöchentlich präsentiert man dem Kinopublikum mit der "Wochenschau" die nationalsozialistische Sicht der Welt. Formal ein dokumentarischer Überblick über aktuelle Ereignisse, ist die Wochenschau das Kernstück nationalsozialistischer Filmpropaganda. Hier wird Führerkult inszeniert und gegen "fremde Völker", politische Gegner und Juden aufgehetzt. Bewegte Bilder, das hatte der oberste Herr der Wochenschau, Propagandaminister Goebbels, schon 1933 erkannt, sind ein weit effizienteres Propagandainstrument als selbst die gleichgeschaltete Presse. Während diese immer mit einer kritischen Leserin rechnen muss, die Aussagen intellektuell prüft und vielleicht sogar ablehnt, erzeugt der Film vor allem Stimmungen und überwältigt den Zuschauer emotional.

Krieg ist anstrengend, aber nicht mörderisch

Die rund 5000 Kinos im Reich werden per Gesetz gezwungen, vor jedem Spielfilm die aktuelle NS-Wochenschau zu zeigen. Zu allen möglichen Anlässen, von Olympischen Spielen über Staatsbegräbnisse und Empfänge bis hin zu militärischen Ereignissen zeigt man Zusammenschnitte aus Wochenschauberichten und Dokumentationen. Außerdem fahren im ganzen Reich die roten Filmwagen der "Gaufilmstellen" über Land und spielen in Gasthäusern und Gemeindesälen die aktuellen Wochenschauen und Nachrichtenfilme ab. Bei Großereignissen wie dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland organisiert man Freilichtaufführungen, auf Marktplätzen platziert man bei einbrechender Dunkelheit und Hakenkreuzbeflaggung riesige Leinwände und führt Nachrichtenfilme vor. In den Städten gibt es spezielle Wochenschaukinos, die beinahe rund um die Uhr die aktuelle Wochenschau zu ermäßigten Eintrittspreisen zeigen. Jahrzehnte vor der flächendeckenden Verbreitung des Fernsehens gelingt es der NS-Propaganda so, ein Massenpublikum zu erreichen.

Rund 40 Millionen Deutsche sehen die Wochenschau zu Hitlers 50. Geburtstag: Alles ist in einem filmischen Spannungsbogen auf den "Führer" zugeschnitten; symbolträchtig wird zunächst die Berliner Siegessäule in Szene gesetzt, um dann den Blick auf die große Straße freizugeben, auf der die angekündigte Militärparade stattfinden soll. Wagner-Musik erhöht die Spannung. Diese wird nochmals gesteigert, als in Großaufnahme der Wechsel des Kalenderblattes vom 19. zum 20. April gezeigt wird - "Führers" Geburtstag. Der Kommentartext beschränkt sich auf belanglose Schlagworte. Vom "Führerwetter" ist die Rede, davon, dass dem "Schöpfer des Großdeutschen Reiches Dank und Glückseligkeit gelten" und dass "Formationen aller Waffengattungen an ihrem Obersten Befehlshaber vorbeiziehen." Hitler selbst spricht in dieser Wochenschau kein Wort, auch in Großaufnahme ist er nicht zu sehen. Man filmt ihn unter einem weißen Baldachin, von wo aus er die Militärparade abnimmt: distanziert und beinahe gottgleich, den menschlichen Dingen enthoben.

Reichspropagandaminister Goebbels persönlich sorgt für eine stets NS-konforme Inszenierung. Bis hin zur Schnitttechnik, Kameraperspektive, Musik und Sprecherauswahl beeinflusst der Propagandachef die Wochenschauproduktion. Persönlich lässt er sich jeden Rohschnitt vorführen und oft auch die Endfassung, bevor die 2.500 Kopien jeder Ausgabe produziert werden. Viele Texte, besonders der Kriegswochenschauen stammen bis in die letzte Formulierung hinein von ihm. Über eine aus seiner Sicht besonders wirkungsvolle Wochenschau aus dem Jahr 1939 notiert Goebbels befriedigt in seinem Tagebuch: "Hinreißend in Aufbau, Tempo, Musik und Textierung. Die wird wie ein Blitz einschlagen." Auch Hitler lässt sich viele Wochenschauen persönlich vorführen und greift häufig in die Gestaltung ein: "Es darf keine Woche vergehen, in der nicht Aufnahmen der Marine, des Heeres erscheinen", ordnet er 1938 in der Phase der psychologischen Mobilmachung für den Krieg an. Die Manipulation funktioniert umso besser, je authentischer das Bildmaterial wirkt. Nicht die distanzierende Kameraperspektive wünscht Goebbels, sondern eine, bei der der Zuschauer sich ins Geschehen selbst versetzt fühlen sollte. Bei dem in Friedenszeiten beliebten Sujet der Reichsparteitage und Aufmärsche wechselt die Kamera oft in kurzer Folge die Perspektive. Sie filmt aus Sicht der Untertanen den "Führer" von unten gegen den Himmel und vergrößert ihn so künstlich. Der Zuschauerin im Kinosessel wird so der bewundernde Blick zum "Führer" nach oben aufgezwungen. Dann wiederum nimmt die Kamera die Position Hitlers selbst ein und blickt von erhöhter Perspektive auf die Bevölkerung, eine uniforme Masse von entgegengestreckten Händen und begeisterten Gesichtern.

Aufstehen und spontan "Heil" rufen

Im Krieg erfährt diese Kameraperspektive der Wochenschaufilme ihre Vollendung. Man dreht Angriffsfahrten von Panzern aus, montiert Wochenschaukameras neben den Maschinengewehren und neben den Bombenschächten von Flugzeugen, um aus dem Blickwinkel des Angriffs zu filmen. Die Vernichtung ganzer Städte wird aus der Pilotenkanzel tieffliegender Stukas abgefilmt, und der Zuschauer wird zum Angreifer. Um die "Authentizität" der Wochenschauen noch zu erhöhen, versieht man die Namen der Wochenschaumänner, die bei ihrem "Einsatz" gefallen waren, im Vorspann mit einem Kreuz. Die Kameraperspektive aus der Sicht der Akteure inszeniert die Wochenschau als nationalsozialistisches Gemeinschaftserlebnis. Selbst die kleinsten Kinos im Deutschen Reich verfügen über 200 Sitzplätze, die größeren weit über 1.000. Im Halbdunkel des Kinosaals entsteht eine Atmosphäre, die Parteikundgebungen ähnelt. Immer wieder erheben sich die Menschen im Kino zu spontanen "Heil"-Rufen.

Die Wochenschau vom 27. Februar 1943 zeigt die berüchtigte Rede von Joseph Goebbels, in der er die aufgeputschten Massen nach der Niederlage von Stalingrad zum "totalen Krieg" auffordert. Die Kameraperspektive wechselt ständig zwischen dem Redner Goebbels und dem fanatisch jubelnden Sportpalastpublikum. Wenn die Kamera dann über die Reihen der ZuschauerInnen hinauf zu Goebbels schwenkt, verschmelzen die Sitzreihen vor der Zuschauerin im dunklen Kino mit den Sitzreihen auf der Leinwand. Sie wird zur Teilnehmerin der Sportpalastveranstaltung gemacht. Optisch betont wird Goebbels Ankündigung, die Kriegsanstrengungen zu steigern und verstärkt Frauen für die Rüstungsproduktion zu gewinnen. Unmittelbar danach zeigt die Wochenschau Bilder von Frauen, die sich in optimistischer Stimmung zum Einsatz in der Kriegsindustrie melden sowie Szenen aus den Rüstungsbetrieben. Die Botschaft: Goebbels Aufruf zum "totalen Krieg" wird sofort allüberall Folge geleistet, das ganze Volk steht nach wie vor hinter der NS-Führung. Tatsächlich hat Goebbels Sportpalastrede und ihre mediale Inszenierung in Rundfunk und Wochenschau für kurze Zeit die Siegeshoffnungen in der Bevölkerung gesteigert.

Der Krieg stellt die Propagandisten der Wochenschau vor eine besondere Herausforderung. Es kommt darauf an, die vermeintliche deutsche Überlegenheit zu zeigen und den Krieg selbst als anstrengend, aber doch nicht als derart mörderisch zu zeigen, wie er wirklich ist. Die Wochenschaudramaturgie hat daher ihre eigenen, teilweise direkt von Goebbels stammenden Richtlinien. So sollen, der höheren Dynamik wegen, die deutschen Angriffe grundsätzlich von links erfolgen. Auch wählt man wieder gerne die erhöhende Kameraperspektive von unten. Wo die Dynamik der Bilder nicht ausreicht, wird mit Kartenanimationen gearbeitet: Das Vorrücken der Front zeigen bewegte Pfeilen und Linien auf Landkarten. Gefallene Soldaten werden praktisch überhaupt nicht gezeigt. Dies gilt selbst für die feindlichen Soldaten, denn Goebbels fürchtet ungewollte Mitleidseffekte. Statt dessen ordnet er Auflockerung an. Zwischen den Kampfszenen streut man bunte Episoden aus dem Soldatenleben ein. Soldaten, die essen, die Sport treiben, ihre Uniformen waschen und vor allem: Soldaten mit Tieren. So entsteht der Eindruck, dass der Krieg an der Front gar nicht so schlimm ist.

Freilich kann die Wochenschau spätestens ab 1943 nur den Durchhaltewillen der Bevölkerung propagieren. Statt Vormarsch wird jetzt das "Toben der großen Abwehrschlacht" inszeniert, wie eine Wochenschau titelte. 1943 konstatiert Goebbels: "Während wir bisher durch unsere Siege wirkten, müssen wir jetzt versuchen, durch unsere Niederlagen zu wirken." Dazu kommen in der Endphase des Krieges weitere Schwierigkeiten. Kopieranstalten sind zerstört, Filmmaterial fehlt, und der Flugtransport des Wochenschaumaterials ist kaum noch möglich. Vor allem in Großstädten sind Kinos und Vorführanlagen zerbombt. Am 27. März 1945 erscheint die letzte "Deutsche Wochenschau" mit den letzten Aufnahmen Hitlers. Der zitternde und gebückte Mann dekoriert 13-jährige Kinder, "Pimpfe" im NS-Jargon, mit dem Eisernen Kreuz, bevor sie wieder in die Schlacht um Berlin geschickt werden.

Der Kinosaal als Sportpalast

Die NS-Propaganda ist bis heute auf eine gespenstische Weise erfolgreich geblieben. Was wir auch immer wissen über Lüge und Manipulation - die Bilder, die uns aus dieser Zeit überliefert sind, sind meistens die der NS-Propaganda selbst. Immer noch sieht man in Fernsehsendungen über Nazi-Deutschland deutsche Soldaten aufrecht und mit entschlossenem Gesicht vorwärts stürmen, während Franzosen, Engländer und vor allem die in der Logik der NS-Ideologie so genannten slawischen und jüdischen "Untermenschen" in entwürdigenden Situationen gezeigt werden, zerlumpt, geschlagen und erschöpft. Auch die filmische Inszenierung Hitlers zum gottgleichen "Führer" kann heute noch faszinierende Effekte hervorrufen. Es nützt wenig, wenn etwa derartige Inszenierungen aus Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" einerseits gezeigt werden und Hitler andererseits als "größenwahnsinnig" tituliert wird: Die Bilder zeigen eben nur die Größe, nicht aber den Wahnsinn. Und Bilder, das war das Prinzip der Goebbelschen Propaganda, sind immer stärker als Worte.

Bernd Kleinhans


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