ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und PraxisNr. 456 / 22.11.2001

Zu viel Harmonie

Deutsch-jüdische Geschichte, museal geglättet

Mitte September eröffnete das Jüdische Museum seine Dauerausstellung über "2000 Jahre deutsch-jüdische Geschichte". Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 350.000 BesucherInnen das von Daniel Libeskind gestaltete (leere) Gebäude besichtigt, das weltweit Bewunderung hervorrief. Entsprechend wurde auch die Ausstellung mit Spannung erwartet, doch präsentiert sie sich leider zwiespältig.

Zum einen erwartet die BesucherInnen eine große Fülle von interessanten Exponaten, die das jüdische Leben seit dem frühen Mittelalter illustrieren und die sich teilweise auch mit Hilfe moderner Medien leicht und museumspädagogisch auf dem neusten Stand erschließen lassen. Andererseits vermisst man aber auch einen gewissen "roten Faden", denn das architektonisch sehr verwinkelt gestaltete Gebäude lässt die BesucherInnen mitunter verwirrt im Raum stehen.

Dieser Umstand ließe sich auf die Absicht zurückführen, die sehr uneinheitlichen und einer steten Wandlung unterworfenen Beziehungen zwischen der jüdischen Minderheit und der Restbevölkerung zu symbolisieren - eine Erklärung, die allerdings bei der nicht immer nachvollziehbaren Auswahl der Ausstellungsobjekte nicht überzeugt. Das Konzept besteht aus der Präsentation ausgewählter Biografien, an Hand derer Geschichte exemplarisch entfaltet werden soll. Dabei haben die Ausstellungsmacher aber wichtige Aspekte der jüdischen Geschichte unter den Tisch fallen lassen oder nur gestreift.

Durchaus gerechtfertigt ist die Ausführlichkeit, mit der die im 17. Jahrhundert tätige jüdische Unternehmerin Glikl bas Judah Leib behandelt wird. Denn zum einen sind Frauen generell in historischen Ausstellungen sonst eher unterrepräsentiert; zum anderen kann an ihr exemplarisch die damalige Lebensweise gezeigt werden. Auch die Erläuterung zum "Hofjuden" Joseph Süß-Oppenheimer und seiner Geschichte als Finanzrat des württembergischen Herzogs Karl Alexander verdient den zugestandenen Raum - weist sie doch auf historische Kontinuitäten in der antisemitischen Propaganda hin (besonders berüchtigt ist die Verfilmung "Jud Süß" von Veit Harlan während der NS-Zeit). Mit ausführlichen Informationen zum historischen und ökonomischen Hintergrund werden die Zusammenhänge zwischen religiösen und ökonomischen Ursachen antisemitischer Ausbrüche plausibel aufgezeigt.

Dennoch stellt sich die Frage, warum gerade für die Zeit des 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts hauptsächlich erfolgreiche Wirtschaftsführer und Kulturschaffende (Regisseure, SchauspielerInnen, SängerInnen etc.) und Wissenschaftler auf breitestem Raum präsentiert werden. Die Masse der aufgeführten Namen erschlägt die BetrachterInnen eher als sie zu informieren. Leider weicht man nämlich hier vom Konzept der ausgewählten Biografien ab - offenbar, um nach dem Motto "Nicht kleckern, sondern klotzen" auf die immensen Leistungen von Jüdinnen und Juden in Wissenschaft, Kultur und Unternehmertum aufmerksam zu machen.

Die Fülle auf diesem Sektor fällt umso mehr auf, als der Arbeiterbewegung nur ein äußerst kleiner Raum eingeräumt wird. So fehlt unerklärlicherweise der Name Karl Marx vollständig, obwohl gerade er als "nicht-jüdischer Jude" exemplarisch für eine immer größer werdende Zahl von Menschen in Deutschland stand, die nicht in ihrem Glauben oder ihrer Abstammung, sondern in ihrer ökonomischen Situation den entscheidenden Faktor für ihr Leben sahen. Dieses Identitätsproblem wird auch bei den zwei angeführten Vertretern der Sozialdemokratie, Eduard Bernstein und Ferdinand Lassalle, nur gestreift. Dabei engagierten sich auffallend viele jüdische Intellektuelle in der Arbeiterbewegung, was sich schließlich im Zerrbild des "jüdischen Bolschewismus" spiegelte, mit dem nicht erst die Nationalsozialisten ihre Vernichtungsstrategien begründeten.

Doch damit setzt sich die Ausstellung ebenso wenig auseinander wie mit den Revolutionsjahren 1918/19. Kurt Eisner, der Präsident der Münchner Räterepublik, wird gar nicht erwähnt und auch Erich Mühsam taucht nur als Künstler (mit sehr kurzem Hinweis auf seine politische Rolle) in der Ausstellung auf. Überhaupt wird der Weimarer Republik unverhältnismäßig wenig Raum zugestanden. Zu Walter Rathenaus Ermordung fehlen so ausführliche Kommentare, wie sie zu Glikl bas Judah Leib oder Süß-Oppenheimer geliefert werden. Das ist ärgerlich, weil gerade an der Person Rathenaus die Schwierigkeiten und Möglichkeiten deutscher Juden zu Beginn des 20. Jahrhunderts hätten gezeigt werden können, die sich nach Erlangung der fast vollständigen Emanzipation sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik hervortaten, um "ihrem" Land zu dienen - was ihnen von Antisemiten im nationalistischen und reaktionären Lager wiederum vorgeworfen wurde.

Äußerst knapp werden auch die sogenannten "Ostjuden" abgehandelt. Deren vermehrter Zuzug löste nicht nur innerhalb der jüdischen Gemeinden Auseinandersetzungen aus über Glaubensfragen und Verhaltensweisen; er lieferte auch Material für zusätzliche antisemitische Stereotype der Mehrheitsbevölkerung. Andererseits besaß die orthodoxe Welt des Ostjudentums auch immer eine gewisse Anziehungskraft, die vor allem bei Intellektuellen ausgeprägt war.

Die Ausstellungsmacher wollten von vornherein die deutsch-jüdische Geschichte nicht auf den Holocaust beschränken bzw. zuspitzen. Dieses Anliegen ist nachzuvollziehen und historisch gesehen auch richtig. Doch die auf wenige Tafeln reduzierte Geschichte der Judenverfolgung und -ermordung durch den Nationalsozialismus fällt dann doch zu dürftig aus. Auch eine differenzierte und ausführliche Schilderung der verschiedenen Etappen von der Diskriminierung über die Entrechtung bis hin zur Ermordung fehlt. Immerhin werden auch bisher vernachlässigte Themen wie der jüdische Widerstand aufgegriffen, doch vermisst man auch hier exemplarische Biografien. Denn die Verfolgten reagierten sehr unterschiedlich auf die Bedrohung: mit Flucht, Exil, Untergrundtätigkeiten, aber auch Abwarten und Sich-Fügen; all diese Verhaltensmuster lassen sich teilweise sogar innerhalb einer Familie feststellen.

Das Fehlen bzw. die mangelhafte Berücksichtigung dieser wichtigen Abschnitte ist bedauerlich - gerade angesichts des universellen Anspruchs der Ausstellung. Das Beispiel Oppenheimer beweist die Möglichkeit, in einer Ausstellung auch konfliktreiche Themenfelder den BesucherInnen feinfühlig zu vermitteln. Besonders verwunderlich erscheinen die historischen Lücken, wenn man sich den hochkarätig besetzten Wissenschaftlichen Beirat ansieht. Ihm gehören u.a. die anerkannten Historiker Wolfgang Benz (Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin), Saul Friedländer (University of California, Los Angeles) und Fritz Stern (Columbia University) an.

Generell wird die Reaktion der deutschen Mehrheitsbevölkerung auf die Juden vernachlässigt, so dass die deutsch-jüdische Geschichte trotz des Holocaust im Ganzen als Erfolgsgeschichte dargestellt wird. Und war das Deutsche Reich Anfang des 20. Jahrhunderts tatsächlich ein Land, in dem sich der jüdische Bevölkerungsanteil integriert gefühlt hat, so darf man die ständige Gegenbewegung des Antisemitismus in Deutschland nicht vergessen, die alle Integrationsbemühungen sofort bekämpfte und häufig auch wieder zurückdrehte. Erinnert sei hier nur an den Streit über die Leistung der jüdischen Männer im Ersten Weltkrieg, von denen viele genauso patriotisch auf die Schlachtfelder zogen wie ihre nicht-jüdischen Kameraden, sich aber später dem Vorwurf der Drückebergerei und der Feigheit ausgesetzt sahen. Dieses äußerst ambivalente Verhältnis wurde in den letzten Jahren vergleichsweise gut erforscht, so dass es doppelt ärgerlich ist, wenn dies in der Ausstellung zu wenig Berücksichtigung findet.

Alexander Neumann


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