ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Zeitung für linkeDebatte und Praxis / Nr. 453 / 30.08.2001

Kritik der unternehmerischen Stadt

Aussichten auf eine "Stadt der guten Hoffnung"?

Jochen Becker ist Herausgeber des Buches "bignes?", das sich mit der unternehmerischen Stadt und neuen Formen städtischer Image-Politik beschäftigt. Volker Eick sprach mit ihm über Großprojekte in postfordistischen Städten und über mögliche Widerstandsformen gegen diesen Größenwahnsinn.

Jochen Becker: Ausgangspunkt war eine Einladung zu den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen 1999. Ich wurde gefragt, ob ich zum Thema Stadt Vorträge und ein Kurzfilmprogramm organisieren könnte. Das Kurzfilmprogramm entstand zusammen mit der Filmkuratorin Madeleine Bernstorff. Mir schien das Thema zu Oberhausen vor der Tür zu liegen, nämlich die "Neue Mitte Oberhausen". Also die CentrO Shopping Mall, die Mehrzweckhalle Arena Oberhausen mit Fußball-, Eishockey-, aber auch RTL2-The Dome-Chartshow, einem Strip aus Themengastronomie, einem Planet Hollywood, einem Musicaltheater, einem Multiplex, also was landläufig heute als Urban Entertainment Center verkauft wird. Wenn ich Leuten von Oberhausen erzählt habe, war es - auch bei mir selbst - so, dass man früher an die Kurzfilmtage gedacht hat. Jetzt verbinden die meisten allerdings mit Oberhausen die "Neue Mitte" oder das CentrO. Es hat also auf der mentalen Landkarte eine deutliche Verschiebung gegeben. Insofern tat es dem Festival auch gut, darüber nachzudenken.

Modellcity Oberhausen

Die Idee dabei war zu schauen, was großmaßstäbliche Stadtentwicklungsprojekte in zentraler Lage, die es nicht nur in Oberhausen gibt, bedeuten; also: Potsdamer Platz, das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, der Space Park in Bremen oder dann so etwas wie EuroLille, der Bahnknotenpunkt im nordfranzösischen Lille von Rem Koolhaas. Der niederländische Architekt hat den Begriff bigness geprägt. Er skizziert bigness eher positiv. Bigness sei das "Regime der Komplexität", das man nicht mehr steuern könne, so dass ein gewisses produktives Chaos ausbräche. Das wurde Anfang der 90er Jahre in Berlin beim Potsdamer Platz "den Tiger reiten" genannt. Also: die Marktkräfte als etwas Positives zu akzeptieren und sich derer zu bedienen.

Das war unser Ausgangspunkt: Oberhausen sich als ein Spezifikum anzuschauen, aber doch einzubinden in eine Entwicklung, die breiter ist und über Oberhausen hinausgeht. Das zweite "s" im Titel ist durch ein Fragezeichen ersetzt, da es uns einerseits um die Analyse, aber dann auch um die Frage nach Formen von Widerstand dagegen geht.

Ja, das ist so. Das kann man ja auch hier am Potsdamer Platz sehen. Alle offiziellen Befürchtungen, dass das Potsdamer Platz Projekt nahe an Kreuzberg liege und dass da, wer weiß was passiert - nichts - keine großen Aktionen, so weit ich weiß. Offensichtlich federn neuartige Marketingstrategien solche Dinge ab. Dies führt auch zum zweiten Teil des Titels, Image/Politik: Es gibt also eine neue Art, solche Projekte zu vermarkten und zu lancieren.

Ich fand an der "Neuen Mitte Oberhausen" interessant, dass es früher ein geschlossenes Terrain war. Es war ein Stahlwerk, wo die männliche Arbeitsbevölkerung temporär Aufenthalt hatte und sonst nicht. Rein von der Begehbarkeit desOrtes her war die Umwidmung also eine Öffnung. Das sollte man nicht unterschätzen. Die jetzt aufgeräumten Hafen- und Industrieareale waren ja geschlossene, vom Werkschutz abgeschottete Bereiche. Das hat sich jetzt verschoben. Heute ist es so, dass diejenigen, die konsumieren können und wollen, dort zugelassen sind. Aber du hast weiterhin Wachschutz, der aus dem Werkschutz hervorgegangen ist, und weiterhin ist es ein kontrolliertes Terrain im privatwirtschaftlichen Besitz.

Das war beim Potsdamer Platz anderes, der war ja mal normaler Stadtraum undwurde jetzt zu einem teilweise privatwirtschaftliche kontrollierten Terrain. Wie es ein Kameramann in dem sehenswerten Film "Dritte Generation des Wohlfühlens" erzählt, dass er gar nicht mehr weiß, wo jetzt Privatgelände ist und wo nicht, wo er nach einer Filmgenehmigung fragen muss oder nicht. Der Senatsbaudirektor Stimmann hat gesagt, man würde es an den Laternen erkennen, wo Privat- und öffentliches Land sei.

Wir beobachten die Ausweitung des privat kontrollierten Terrains, wo aber meine Schlussfolgerung nicht so sehr wäre, denVerlust des öffentlichen Raum zu bejammern, sondern endlich mal zu überlegen, was denn der privatwirtschaftlich kontrollierte Raum bedeutet: Muss man da nicht viel stärker ansetzen und da die politische, gewerkschaftliche Betätigung, das Demonstrationsrecht und so weiter einfordern, anstatt den Verlust zu bejammern. Die Reste öffentlichen Raums werden ja schließlich auch kontrolliert und bewirtschaftet. Gewisse Debatten scheinen mir eher rückwärts gewandt - vielleicht muss man da auch stärker darauf beharren, schon alleinestrategisch. Aber ich kann mich dafür nicht mehr so begeistern.

Es sind zumeist Akteure mit Kultur-Hintergrund, die versuchen, städtische Themen und Konflikte zusammenzuführen. Genau so wie das Buch versucht, dies zusammenzuführen. Aber nicht nur aus dem Kulturbereich: Mogniss H. Abdallah und andere, die beschreiben was in Frankreich in den Banlieue passiert, oder die "Mission" in Hamburg, ein Projekt, das von obdachlosen Leuten gemacht wird.

In der Frage, wie die verschiedenen, doch recht zersplitternden Interessen und Konflikte wieder zusammengeführt werden können, und wer das überhaupt versucht, da ist vielleicht das Kunst- und Kulturmilieu das eher Offenste, Weichste und damit auch mit mehr Möglichkeiten des Zugangs nicht nur zur Fachöffentlichkeit ausgestattet. Vielleicht sind es auch die, die immer noch die meiste Zeit haben. Andererseits beobachtet man ja verstärkt, dass der Widerstand relativ selten von den Betroffenen selbst ausgeht - aus verschiedenen Gründen. Das ist jetzt etwas anderes als die Bewegungen der 80er Jahre.

Sie sind zum Teil selbst zentrale Akteure der Stadtentwicklung. Zumindest im kritischeren Kulturbereich hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass man - Ted Gaier von den Goldenen Zitronen nennt das "trocken wohnen" - eine Funktion hat in der Stadtentwicklung. Zumindest sollte darüber reflektiert werden, dass man im Rahmen von gentrification eine Pionierrolle spielt, dass man die Funktion hat, den Standort attraktiv zu machen. Ich glaube, es gibt in der Kulturszene durchaus ein Bewusstsein, welche Rolle man selbst spielt. Offensichtlich ist Kultur zudem ein Terrain, auf dem sicherlich viel symbolische Politik, aber auch viel konkrete Politik verhandelt wird. Da muss man aufpassen, in wie weit man sich blenden lässt. Für mich ist das ein reales Kampfterrain.

Die "NoOlympics"-Kampagne in Berlin hatte massive reale stadtpolitische Effekte. Sicherlich gab es auch andere Gründe, warum die Olympischen Spiele an Berlin vorbei gegangen sind. Meiner Kenntnis nach war "NoOlympics" die Pionierdebatte um Imagebeschmutzung in der Bundesrepublik. Die Frage, welche Effekte "RTS" realpolitisch hat, ist schwer einzuschätzen. Ich denke, es ist die Menge an diversen Projekten, die dann aber auch strategisch gebündelt werden müssen, um Effekte zu erzielen. Es ist so, dass die Stadtpolitik selbst sehr stark auf Symbole und Images setzt. Vom computeranimierten Film, der den Potsdamer Platz - schon bevor irgendeine Baugrube ausgehoben ist - als real existierend zeigt. Ich glaube, das hat auch was an Widerstand und Protest weggenommen. So ein Gefühl, das Ding steht schon, obwohl zum Teil noch gar nicht die Baugenehmigungen da waren. Es gab wenig Protest. Bis auf kleine Initiativen und Gruppen, die genau auf dieser Symbolebene das Gefühl hatten, ansetzen zu können, die Bilder anzugreifen bzw. Gegenbilder zu entwickeln.

Und natürlich Kunzelmanns legendärer Eierwurf auf den regierenden Bürgermeister Diepgen. Da kann man lange drüber reden, welche Effekte das real hat. Aber ich denke, es hat schon allein den Effekt, dass es viele Debatten darum gab, die das dann auch noch einmal verlängert und verstärkt haben.

Das sind Erfahrungen auch der "InnenStadtAktion". Man sieht, dass die Leute, die man mantra-artig immer als Junkies, Obdachlose, Illegalisierte auflistet, dass das Leute sind, die wegen hoher Alltagsorganisationsanforderungen, wegen nun weiß Gott anderer alltäglicher Probleme, aber auch wegen der juristischen und polizeilichen Notwendigkeit, nicht sichtbar zu werden, im Grunde genommen keine Politik im linken klassischen Sinne machen. Höchstens als Notwehr. Das alles sind Sachen, die bislang nicht sehr als politisches Handeln gelesen worden sind. Ich habe den Begriff des städtischen Handelns übernommen, der diese anderen Formen zu beschreiben versucht, was andererseits auch die kulturelle Praxis einschließt, die oftmals auch nicht klassischer Protest und Widerstand ist. Diese Anekdote, die ich vom dem Typen an der Champs Elisées erzähle, fand ich persönlich sehr beeindruckend. Eine klitzekleine Sache. Dieser Mann macht Liegstütze und hält sich fit. Dann sieht man ihn in seinem Appartement, und er lächelt und sagt: "Ja, ich bin der letzte hier, um mich herum sind überall Büros, und wenn ich sterbe, dann wird meine Wohnung für das Vierfache vermietet werden können." Und man versteht, warum sich der Mann fit hält.

Großprojekt gleich große Rendite?

Das ist wahrscheinlich ähnlich wie bei "KanakAttak". Ob sich jetzt die authentischen sog. Straßenkanacken wirklich so organisieren würden, das ist natürlich etwas anderes, das glaube ich auch nicht. Eher ist das Buch der Versuch zu beschreiben, was auch Franziska Roller beschäftigt: wie sieht "Politik nach der Politik" aus, nach der großen Politik. Es gibt noch das Andere neben der großen Politik, aber man muss auch aufpassen, dies nicht über zu bewerten. Aber dennoch finde ich wichtig, ein Auge darauf zu haben. Letztendlich haben die "InnenStadtAktions"-Gruppen es nicht geschafft, mit denen, die ich vorhin aufgezählt habe, wirklich direkte große Koalitionen einzugehen. Sie sind darin aus verschiedenen Gründen gescheitert, und es braucht sicherlich ein anderes Vorgehen. Der große Schritt war, überhaupt über die direkte Betroffenheit hinwegzugehen, und zu sagen, da sind ganz andere betroffen oder werden verfolgt bzw. ausgegrenzt und dagegen muss man etwas tun. Man muss die Waage zwischen diesen sehr konkreten, lokalen Perspektiven und einer strukturellen Analyse suchen und vor allem, Sachen zusammenführen, bündeln und ihnen dadurch Gewicht verleihen. Das ist vielleicht auch der Versuch des Buches - nicht als Bewegung, sondern als Einzelperson mit ihren Kontakten.

Richtig, ich bin nicht darauf gekommen, zu überlegen, wie sähe das aus dieser Perspektive aus. Andererseits ist das allerdings auch eine Form von Protest und Widerstand, die besser organisiert scheint. Ich erwähne zwar gewerkschaftlichen Protest etwa im Dienstleistungs- und IT-Bereich, aber eben als Neu-Formulierung, wobei versucht wird, auf neue Verschiebungen im beruflichen Bereich einzugehen und damit die eigene Politik neu zu entwickeln. Die MieterInnenvertretungen erscheinen mir jedenfalls relativ organisiert, aber sie stehen kaum in Kontakt zu Leuten, die nicht einmal mehr Miete zahlen können. Im Kern ging es mir eher um Sachen, die nicht so repräsentiert und noch nicht so sichtbar sind.

Kulturmilieu hat Pionierrolle

Der Ausgangspunkt war das Projekt von Marc Pataut, das ich erstmals auf der letzten documenta gesehen hatte. Der hat die Erstehung des Stade de France in Saint Denis - ein Vorort von Paris -, das zur WM 98 errichtet worden ist, in einem Kunstprojekt fotografisch beobachtet. Vorher war dort eine große Brache zwischen verschiedenen Verkehrsinfrastrukturen. Dort sollte das Stadion der Franzosen und für Frankreich entstehen, in dem das Eröffnungs- und Endspiel stattfand. Gleichzeitig war das aber auch ein riesiges Stadtentwicklungsprojekt für Saint Denis. Die Stadt war mal eine kommunistische Hochburg, wo Le Hummanité ihre Redaktion hat - die Stadt gehört zum roten Gürtel von Paris.

Marc Pataut hatte sich als Fotograf gesagt, ich schau' mir diese Brache an und hat dann gemerkt, da wohnen Leute: WagenburgbewohnerInnen, Obdachlose sowie Leute, die irgendwie das Landleben in der Stadt mögen. Deren sehr unterschiedliche Lebenspraxis hat er dort bis zur Räumung beobachtet. Die Leute haben keinen klassischen Protest und Widerstand organisieren können und sind dann irgendwann einfach von dannen gezogen und zum Teil in traurige Wohnungen umgesiedelt worden, wodurch der gesamte soziale Zusammenhang auseinander gerissen wurde. Das zeigt er in sehr nüchternen Fotos. Gunnar Ulbrich schrieb dazu dann einen Text, wie die Lokalpolitik das Stadion begleitet hat und welche Phantasmen von "Wir bringen den Bewohnern Sport, Spaß, Spannung" entstanden.

Es ist eigentlich ein groß angelegtes Stadtentwicklungsprojekt, doch außer einem sehr traurigen Sportkaufhaus und wenigen Wohnungsansätzen ist dort nichts entstanden. Letztendlich ist das Stade des France ein Flop. Und weil das teuer ist, sucht man neue Finanzierungsmodelle, und das ist das Vermarkten - die mediale Verwertung, der Fanshop bis hin zur shopping mall. Weil die Gagen der Fußballer und die Ablöse-Summen zunehmend steigen, versuchen die Vereine, marktfähig zu werden und sich in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Diese Verzahnung zwischen Stadtpolitik, Sport, Freizeit und unternehmerischen Aktivitäten, die aus Fußballclubs Unternehmen macht, hat uns interessiert. Es war der Versuch, sich anzuschauen, was das für die Stadt und die Stadtpolitik an Effekten zeitigt. Da ich kein großer Sportfan bin, war es mir relativ egal, welche Veränderungen damit für den Sport verbunden sind, aber es gibt da natürlich auch Auswirkungen.

Linke Politik als Notwehr

Du spielst auf das Logen-Prinzip an. Es gab eine hoch interessante Ausstellung über Stadienbau im niederländischen Architektur-Institut. Da sagen Verantwortliche, dass sie im Grunde genommen mit den Fernsehübertragungen das meiste Geld machen. Sie könnten also eigentlich eine black box bauen, mit ganz vielen Kamerapositionen, und darin machen sie ihr Spiel. Aber das würde natürlich nicht funktionieren. Die Stimmung, die Life-Aktionen, das Life-Publikum ist wie bei Talk-Shows und den großen Samstagabendshows wichtig. Der Hooliganism und die Laola-Welle sind offensichtlich Marketingargumente. Und das wollen sie, aber gleichzeitig wollen sie auch neue Kundschaft anziehen. Also darf andererseits nicht zu viel Gewalt sein, Hooliganism ist dann doch Scheiße. Denn sie wollen familienfreundlicher werden, noch das Museum und den Shop angliedern. Und sie wollen neue Schichten erschließen, die sich in Glasvitrinen abgeschottet für viel Geld ihre Kundenbeziehungen abends noch durch einen netten Fußballspielbesuch unterfüttern. Das sind die Klassenaufteilungen in den Stadien.

So läuft das "auf Schalke" aber nicht.

Richtig, meines Wissens unterläuft das nur Schalke, in dem sie zwar feste Sitze, die für die WM notwendig sind, temporär installieren, aber sonst weiterhin fangerechte Stehplätze haben. Alle anderen Stadien haben sich dem unterworfen und warfen die Stehplätze komplett raus: gepflegtes Fußballspielen ist jetzt angesagt.

Was mich auch interessiert hat, und das zeigt sich ja jetzt auch an der Göteborg-Debatte, dass sich das Vorgehen gegen Hooligans - also die polizeilichen Kontrollmaßnahmen, die man während der letzten Europameisterschaft mitbekommen hat - jetzt auf alle "gewaltbereiten" Milieus überträgt. Die Pionierfunktion, die Faschos und Hools hatten, sind jetzt auch auf das linke Milieu und linke Aktionsformen zu übertragen: Grenzen dichtmachen, Passkontrollen, Dateien anlegen. Um das Thema Fußball kristallisiert sich sehr viel an neuen Politikformen.

Durch das Ende der Großindustrie - sprich die Verlagerung der Produktion in so genannte Billiglohnländer - sind plötzlich innerstädtische Brachen entstanden, Militärareale, Werftgelände, Bahnanlagen, die zum Teil auch mehr Profit abwerfen, wenn man sie als Immobilie entwickelt, anstatt zu versuchen, sie als Rest-Industrie-Areal zu verwerten. Der Potsdamer Platz ist da sicherlich ein Spezialfall, der war eine Brache durch Krieg und Mauer. Grundsätzlich sind im Innern der Städte durch Restrukturierungsprozesse erstmals solch große Areale überhaupt verfügbar geworden. So konnte die ganze Politik der 90er Jahre - die Stärkung der Innenstadt wurde propagiert - also auch weg von der "grünen Wiese" und hin zur "Wiederbelebung der Innenstädte" weisen. Nur wenn man groß baut, so die These, ist überhaupt die entsprechende Rendite zu machen - so scheint es zumindest.

Ein kleines Beispiel: Mein Vater hat das Häuschen meiner Oma geerbt und das Grundstück war zu klein, um eine Tiefgarage anzulegen. Da ist mir ganz klar geworden, dass auf der Parzelle nichts mehr zu holen ist, weil allein die Ein- und Ausfahrt für die Tiefgarage das komplette Erdgeschoss zerstört hätte. Diese Bedürfnisse von Parken, ab wann sich solche Geschäfte also lohnen, welche Größe ein "Saturn"-Markt haben muss, um entsprechende KonsumentInnen-Schichten anzuziehen, wie ein Multiplex Cinema organisiert sein muss - diese scheinbare Eigendynamik fordert den Großmaßstab ein. Um überhaupt Kundschaft anzuziehen und zu halten, muss man offensichtlich auf dieser Ebene konkurrieren. Nur ganz wenige Projekte, beispielsweise die "Hackeschen Höfe" in Berlin-Mitte, funktionieren anders. Zwar haben auch sie den gleichen Effekt, sie sind aber anders gebaut worden, und sie fungieren noch mehr im klassischeren Sinne wie Stadt.

Es ist, während ich mich im Rahmen des Buchprojekts damit beschäftig habe, zur Standard-Annahme geworden, dass große privatwirtschaftlich kontrollierte Terrains ein neues Phänomen seien. Da herrscht dann oft so ein allgemeiner kulturpessimistischer Ton vor, der sich in Begriffen wie "Amerikanisierung", "Konsumtrottel", "alles aus Plastik" und so niederschlägt. Diese Ebene nervt mich total, die will ich nicht. Ich schau mir solche Sachen ja durchaus selbst an, und zwar nicht nur zu Studienzwecken, sondern weil diese Mechanismen auch bei mir funktionieren.

Festivalisierung von Stadtpolitik

In unserem Buch findet sich auch ein Text über "Christiania" in Kopenhagen - ein vormaliges Kasernengelände, was sich anders organisiert hat -, weil es zeigt, es ginge auch anders. Es geht also eher darum, wie so ein Projekt organisiert wird, und welche Kräfte da zum Zuge kommen. Die Art wie "Christiana" entwickelt worden ist, diese Zeit ist offensichtlich nicht mehr da. Das Rad lässt sich so schnell nicht mehr dahin drehen. Was an diese Stelle getreten ist, ist eine Stadtpolitik, eine Stadtentwicklung, die sich nicht verabschiedet, die aber gewisse Dinge, die sie vorher selbst gemacht hat, an die Privatwirtschaft outsourced.

Die Stadt Oberhausen ist da das beste Beispiel, weil da der damalige Stadtdirektor und jetzige Oberbürgermeister zusammen mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalens an der Stadtverwaltung und dem Kommunalparlament vorbei die "Neue Mitte Oberhausen" bis zur Entscheidungsreife durchgeboxt hat. Da wurden zum Teil Gutachten, die normalerweise stadtintern gemacht werden an die Privatwirtschaft abgegeben - aus Geheimhaltungsgründen, aber auch weil er meinte, der wahre Sachverstand läge außerhalb. Das ging dann so weit, dass die gesamte Stadtverwaltung Oberhausen in GmbHen umgewandelt wurde, die sich gegenseitig Rechnungen stellen können. Die einzigen, die nicht in GmbHen umgewandelt werden konnten, weil sie sich nicht rentierten, waren bezeichnenderweise das Altenheim und das Stadttheater.

Ja, diese Art des serviceorientierten, unternehmerischen Handelns fand ich interessant - auf Kosten einer wie auch immer gearteten Innenstadtentwicklung; die ist jetzt eine ghost town, das Arbeitsamt ist das größte kommunale Gebäude usw. Es hat also keinerlei Arbeitsmarkteffekte gehabt. All der Hype, der darum passierte - die Innenstadt wird weiterhin existieren können, ja, es werden viele beschäftigt sein - das hat sich alles nicht eingestellt.

Es ist ein neues Regierungshandeln entstanden, das sicherlich auch reagiert auf das, was als Ende des Einflusses von Kommunalpolitik verhandelt wird. Sie sagen, wir werden hier von Unternehmen unter Druck gesetzt, wir müssen jetzt selbst überlegen, wie wir wieder handlungsfähig werden. Sie erfinden neues Regierungshandeln - das, was Foucault "Gouvernementalität" genannt hat, was ich für einen sehr hilfreichen Begriff halte. Was nicht auf diese billige Formulierung "Der Staat wird durch das Kapital abgelöst" abhebt. Der Staat, die Kommunalregierungen formulieren sich neu. Das war auch der Versuch, am konkreten Beispiel Oberhausen diese Riesenprojekte, die vielleicht eine klassische Kommunalverwaltung wirklich überfordern würden, in einen Kontext zu stellen: Die Größe bringt bereits eine andere Form des Sich-Organisierens mit sich.

Das ist eine schwierige Debatte, weil sie einerseits das aufnimmt, was mal gefordert worden ist, nämlich lokale Politik vor Ort zu debattieren und zu diskutieren. Ganz offensichtlich gibt es zumindest ein Problem - ohne jetzt Experte für Quartiersmanagement und deren Kritik zu sein -, dass es eine Mangelverwaltung ist bzw. sich eher an Trikont-Selbsthilfeprojekten orientiert, wo letztendlich auf der Ebene von Glasperlen und ein bisschen Ermutigungsgeld operiert wird. Es ist ganz sicherlich eine Aktionsebene, wo man Teil der Stadtverwaltung wird, so wie Leute in Gruppenarbeit Teil des Unternehmens werden. Aber man ist dadurch nicht Eigentümer von VW, obwohl man da Gruppenarbeit macht, und genau so entscheidet die Einzelnen nicht wirklich über das Stadtgeschehen, nur weil sie aktiv im Quartiersmanagement sind. Es auf jeden Fall auch so ein Teil des neuen Regierungshandeln auf lokaler Ebene, das ganz sicher.

Ich finde auch, dass das, was Festivalisierung genannt wird, ja einerseits die Durchsetzung von Großprojekten ist, aber andererseits ist es auch etwas - und das funktioniert ja gerade in Berlin extrem -, dass es die Leute per Kanzlerfest oder "Schaustellen" zur neuen Identifikation mit der Stadt bringen soll: Sich als Stadtbürger selbst erfahren und identifizieren. Dieses Interesse muss man auch als Teil des verwaltungsinternen Regierungshandelns jenseits der Durchsetzung von Großprojekten sehen -, verwaltungsintern werden Images und Events produziert, die in die Bevölkerung hinein wirken sollen.

Jochen Becker (Hrsg.): bignes? Size does matter. Image/Politik. Städtisches Handeln. Kritik der unternehmerischen Stadt, b_books Verlag, Berlin, 269 Seiten, zahlr. Abb., DM 32,-, 2001 www.bbooksz.de


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