Heute nacht töten wir euch...

Hannes Loh
...gröhlt ein junger Neonazi im Vorbeigehen den Graffiti-Writern zu, die gerade dabei sind eine Mauer im Rahmen der Aktion Mut gegen rechte Gewalt zu besprühen. An der nächsten Ecke grüßt er freundlich die örtliche Polizeistreife, die eigentlich zum Schutze der HipHop-Aktivisten abgestellt wurden, die heute hier im ostdeutschen Wurzen gegen Rechte rappen, breaken und sprühen wollen. Wurzen ist eine "National Befreite Zone". Hier gibt es keine Ausländer. Stattdessen aber eine sehr aktive Szene jugendlicher Neonazis, die vom Großteil der anständigen Bürger und Behörden toleriert wird.
Wurzen ist nicht die große deutsche Ausnahme, und Wurzen ist auch nicht das typisch ostdeutsche Schmuddelnazi-Phänomen. In Nordrhein-Westfalen bekennen sich 8% der Jugendlichen zu rassistischen Ideen, in Hagen marschieren wieder Stiefelnazis, und in Bayern gibt es Kleinstädte, die sich hinsichtlich des politischen Klimas nur wenig von Wurzen unterscheiden.

Parallel zu dieser Entwicklung rappt der "deutsche" HipHop über Ausverkauf, Party und Style. Der "deutsche" Soul und R'n'B singt fast ausnahmslos von Liebe und nur von Liebe. Der kommerzielle Erfolg "schwarzer" Musik in diesem Land vollzieht sich paradoxerweise vor einem gesellschaftlichen Hintergrund, da Nichtweiße sich in Lebensgefahr begeben, wenn sie in Deutschland zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

Im Juli erscheint die Single "Adriano (Letzte Warnung)" des Kölner Labels Nitty Gritty Music in Zusammenarbeit mit der WEA. Im Juni 2000 wurde Alberto Adriano von deutschen Neonazis ermordet wurde. Das Projekt nennt sich Brothers Keepers und wurde von den Nitty Gritty-Aktivisten Adegoke Odukoya und Thomas Hürtgen ins Leben gerufen. Die Idee war, Afrodeutsche HipHop-, Reggae- und Soul-Künstler zusammenzubringen und endlich das überfällige Statement zu rassistischer Gewalt und den persönlichen Erfahrungen mit Deutschland abzugeben. Adé und Thomas rannten offene Türen ein. Viele hatten lange auf eine solche Initiative gewartet. Schließlich haben sich dem Projekt viele namenhafte Künstler angeschlossen, unter anderem D-Flame, Torch, Afrob, Ebony Prince, Xavier Naidoo, Ono, Bantu, Tyron Ricketts, Denyo77, Sékou, Chima, Da Germ, Dj Desue und Samy Deluxe. Die Gewinne aus dem Release werden zur finanziellen Unterstützung von Opfern rechter Gewalt verwendet. Brothers Keepers hat bereits weitere Anfragen von Künstlern bekommen, die zu diesem Projekt ihren Teil beitragen möchten, so wird es bald einen Song der Sisters Keepers, sowie ein Album im Herbst geben.

Brothers Keepers bringt HipHop jenen Spirit zurück, der in diesem Land seit 1994, seit dem Aufstieg von "Deutschrap", zunehmend verloren ging. HipHop hatte auch mal in Deutschland ein Selbstbewußtsein, dass sich sehen lassen konnte. Brothers Keepers tragen ihren Teil dazu bei, dass sich etwas verändert. Reicht uns eurer Hände!

Hannes Loh