ACHTUNG: Diese Seite wird erneuert. Einige Links sind daher möglicherweise vorübergend nicht verfügbar.

20 Fragen an TINO EISBRENNER
Interview zum 20 jährigen Bühnenjubiläum
1. Ihrer Biographie entnehmen wir, dass sie die Aufnahmeprüfungen zum Schauspielstudium bestanden hatten, als Sie plötzlich Ihre musikalische Karriere mit der Band JESSICA begannen. Wie kam dieser Gesinnungswechsel?
Eigentlich hätte ich gern beides getan. Aber der damalige Rektor der Schauspielschule Ost-Berlins nötigte mich zu einer Entscheidung. Da entschied ich mich für Teamwork in einer Band. Ich war 19 Jahre jung, im New-Wave-Fieber und ein euphorischer POLICE-Fan. Und ich hatte das Gefühl, diese neue Weltsprache selbst auch sprechen können.
2. Und? Konnten Sie's?   
Das englische Fernsehen entdeckte uns in den Straßen von Ostberlin. Wir produzierten einen Song, dann ein Video. Waren sofort in aller Munde. Produzierten dann den zweiten Song „Ich beobachte Dich" und hatten den Durchbruch. Schon nach 4 Monaten konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass ich gerade noch Student werden wollte. Wir spielten jeden Tag Konzerte und gingen nachts und vormittags ins Studio. Jeder kannte uns. Die Mädchen rissen sich in den Konzerten die Klamotten kaputt oder belagerten die Hotels. Wir schrieben unsere eigenen Lieder und durchlebten einen Höhenrausch. Zwei Jahre lang.
3. Dann wurde Ihre Band von den DDR-Behörden mittels Grundwehrdienst demontiert. Ihnen wurde eine Solokarriere schmackhaft gemacht. Was glauben Sie, warum das geschah?

Wir hatten wie die netten Jungs ausgesehen aber wir waren unbequem für die Kulturmacher, denn wir hielten uns an keine Regeln. Wir kannten sie nicht mal. Schon, dass wir die Engländer mit in unseren Proberaum genommen hatten, war Regelbruch. Und so ging das weiter. Es wurde zum Zauberlehrlingssyndrom und da wir eine geschlossene Gang waren, musste man uns alle gemeinsam „auf den Teppich holen". Sie gaben sich dann große Mühe mit dem Solisten EISBRENNER bis sie merkten, dass auch der kein Konformist war. Aber da fiel schon die Mauer und das ganze komische System ging den Bach runter.

4. Ein System, zu dem auch Sie gehörten?
Sehr wohl. Ich hatte als Jahrgang 62 meine Kindheit in einem erstarkenden Sozialismus verlebt, drei Jahre davon in Bulgarien. Als ich zu denken anfing, begannen sich die Schwächen des Systems zu zeigen. Aber ich liebte mein Land. Ich stand immer auf der Seite derer, die es von innen verbessern wollten. Ich brach die Regeln aber ich gehörte dazu.
5. Was glauben Sie war gut in der DDR – vielleicht besser als heute im geeinten Deutschland?

Für die Allgemeinheit in erster Linie das Sozialsystem. Niemand sorgte sich um sein Auskommen. Jeder wurde gebraucht und hatte seinen Platz in der Gesellschaft. Wir konnten uns nicht einmal vorstellen, was Arbeitslosigkeit und soziales Elend bedeuten. Es schien uns ein reines Propagandamittel unserer Politiker zu sein. Diesbezüglich mussten wir bis heute alle gründlich dazulernen. Speziell für die Kunst war diese soziale Sicherheit natürlich auch ein fruchtbarer Boden. Man war nicht um des Überlebens willen gezwungen, seine Kunst zu verkaufen. Es geschah, wenn man ein gutes Lied hatte oder ein Bild etc. Und jeder konnte sich Kunst und Bildung auch leisten. Das ist heute nicht mehr so.

6. Und was halten Sie für einen Gewinn durch den Mauerfall?
Da würde ich die erweiterten Möglichkeiten vorn anstellen. Du kannst Dich heute mit einer Idee und etwas Glück auf der ganzen Welt verwirklichen und Deinen Weg finden. Warum das in vielen Fällen nur Theorie bleibt, ist uns allen klar. Aber die Möglichkeit an sich fördert den kreativen Geist. Außerdem hoffe ich immer noch, dass die Reiselust der Deutschen uns auch weltoffener macht. Hier allerdings habe ich oft das Gefühl, dass wir reisehungrigen Ossis mehr über die Welt wussten als unsere Verwandten hinter dem eisernen Vorhang. Oder fragen sie heute mal einen Jugendlichen, wer Dostojewski und Hemingway waren, was Bertold Brecht geschrieben hat und wo das Kap der guten Hoffnung liegt.
7. Stichwort Brecht. Sie singen auch immer wieder eigene Brechtabende. Kommt das noch aus Ihrer alten Schauspielerleidenschaft?
Im Ursprung sicher. Aber Brecht war und ist damals wie heute ein scharfer Kritiker der kapitalistischen Ordnung. Er war Humanist und Dialektiker. Die meisten seiner Werke haben nicht die Bohne an Aktualität verloren. Brecht hat mir geholfen, Dinge zu erkennen und auf den Punkt zu formulieren. Brecht hat einen gesunden Zweifel in mir gesät, der mir hilft, mich in der Welt zurechtzufinden.
8. Es heißt, Sie gehen den „indianischen Weg". Was darf man sich darunter vorstellen?
Nun, diese Formulierung ist eine Mediengeburt und ich weiß nicht, ob sie auf mich wirklich zutrifft. Die Welt der Indianer hat mich von Kindesalter an stark in ihren Bann gezogen und deshalb habe ich ab 1989 immer wieder Kontakt zu Indianern gesucht, um bei ihnen zu lernen. Aber auch um ihnen in ihrem Kampf, der oft auch ein Kampf um die letzten heiligen Güter der Erde ist, zu helfen. Ich leite den BIG CIRCLE int. (Verein zur Unterstützung indigener Kulturen). Ich habe viel gelernt in der Zeit und in manchem einen neuen Blick bekommen. Ich glaube an die Kräfte der Natur und setze mich zu ihnen ins Verhältnis. Ich achte das Sichtbare und Unsichtbare des Universums und suche nach der Gemeinsamkeit zwischen mir und jedweder Ausdrucksform des Geistes. Dies sind Bestandteile des indianischen Weges.
9. Dann mögen Sie sicher auch Kinder?
Ich habe 4 davon. Ist das Antwort genug?
10. Sie leben als Urberliner auf einem Bauernhof in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Flucht? Wovor?
Lärm, kulturelle Vielfalt und Zerstreuung, Massen von Menschen, Kontakte, Anonymität – all das habe ich auf den Tourneen. Wozu also Berlin? Der Landhof und die Natur halten mir das Gleichgewicht in meinem Zigeunerdasein. Außerdem wachsen die Kinder auf dem Lande behüteter auf. Sie sollen Natur kennen lernen, bevor sie sich ins Getümmel der Großstädte werfen.
11. Sind Sie ein Mensch, der sich von seinen Leidenschaften leiten lässt?
Leidenschaft und Lust sind immer gute Motoren für den Weg durchs Leben. Natürlich sollten sich zu ihnen Verstand, Verantwortungsgefühl und Gelassenheit gesellen, um das Errungene auch pflegen und erhalten zu können.
12. Wie wichtig ist die Liebe für Ihre Kreativität als Sänger, Komponist und Autor?
Es gibt verschiedene Arten der Liebe. Sie zu entdecken und sogar leben zu können, ist ein großes Abenteuer. Jeder Mensch und besonders Künstler sollten in diesem Sinne Abenteurer sein. Ein Künstler schon deswegen, weil er der Botschafter zwischen dem pragmatischen alltäglichen Sein und den Gefühlswelten dahinter ist. Wir können vieles erforschen und sehen, aber manches nur, wenn wir es auch fühlen. Künstler sind die Fährtenleser dieser Gefühle und sie können uns so den Blick für die verborgensten Geheimnisse öffnen.
13. Sie feiern nun auch schon 20 Jahre Bühne. Unter welchen Umständen könnten Sie sich eine Re-Union von JESSICA vorstellen? 
Eigentlich gar nicht oder vielleicht wegen Geld? Aber das wäre mir kein ausreichendes Motiv. Es müsste sich um eine neue Idee handeln und nicht um den Aufguss des Alten. Wir waren ein sehr starkes Team und könnten es sicher auch wieder sein. Aber ich selbst wüsste jetzt eigentlich nichts, was ich nicht auch ohne diese Band tun könnte. Im Gegenteil, es würde mich einschränken. Und was könnte dafür ein Motiv sein. Sicher nur kreative Arbeit, die etwas eigenes Neues hervorbringt, was dann auch wieder den alten Namen tragen kann. Und zu dieser Arbeit müssten einleitend alle Lust und den Willen haben. Vielleicht ist das eines Tages so. 
14. Was glauben Sie ist Ihr größter Fehler?

Schöne charismatische Frauen.

15. Und Ihre größte Stärke?
Schöne charismatische Frauen.
16. Was denken Sie über George W. Bush?
Es ist nie ein einzelner Mann, der die Geschichte bewegt. Wir sollten uns besser fragen, inwiefern wir die Basis für das „Prinzip Bush" bilden. Sein Problem ist, dass er die Welt nicht kennt. Er sagt er führe Krieg gegen die Achse des Bösen. Das Gegenteil ist der Fall: Er wird dem Terrorismus noch mehr Zunder geben. Der Amerikaner hat noch nicht begriffen – der Amerikaner muss weitere Lektionen erhalten.
17. Was meinen Sie zur Politik der Bundesregierung in Fragen Irakkonflikt?
Ich rechne Schröder seine bisherige Konsequenz in der Antikriegsaussage hoch an. Wir müssen in den Frieden investieren. Auch wenn es mit Krieg mehr zu verdienen gibt. Wir alle wohnen auf der gleichen Mutter Erde.
18. Was will Eisbrenner tun, um die Welt besser zu machen?
Das ist eine sehr globale Frage. Ich versuche mit meiner Musik, den Texten und der Erfahrung von 3 Gesellschaftsordnungen (wenn man die Zeit bei den Indianern mitrechnet) den Menschen Inseln und Brücken zu bauen. Ich versuche auch ihnen Geschichten zu erzählen und sie sensibel zu machen für das was um uns geschieht. Aber ich erzähle auch viele Alltagsgeschichten und ich suche immer nach der Magie des Lachens. Und ich bin mir sicher: Wer Eisbrenner mag, der mag auch andere Rassen und Kulturen, mag die Natur, mag die Welt.
19. Sind Sie froh ein Deutscher zu sein?
Ich bin in Deutschland geboren und ich liebe meine Heimat. Ich liebe meine Sprache und ehre die Kunst, die auf deutschem Boden entstanden ist und entsteht. Aber als Deutscher fühle ich mich als Teil des Ganzen, als Weltenbürger und Kosmopolit. Und ich glaube jeder gute Deutsche fühlt ebenso.
20. Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Ich bin mit einem „Best of 20 years"-Programm unterwegs und arbeite parallel dazu an meinem nächsten Studioalbum, das im Januar 2004 erscheinen soll.

Außerdem stehen einige Projekte in Lateinamerika zur Unterstützung der dortigen Ureinwohner an. Und ich unterstütze einige Antikriegsprojekte mit Konzertauftritten. Zum Beispiel am 15.02. in Berlin vor dem Brandenburger Tor. Alles in allem ein wieder viel zu kurzes Jahr.