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die tageszeitung, taz


Edutainment ohne Reue

Der Hamburger Golden Pudel Klub und seine Freunde wollen vor allem eins: den Abend in der Volksbühne mit vor "Bodyekstase schreiendem" Publikum feiern - und Elefanten füttern


Zu Vielreisenden in Sachen Unterhaltung zählen seit einiger Zeit Institutionen des Nacht- und Tanzlebens: die Clubs. Mit ihren besten Zugpferden umschwärmen die Reiseveranstalter dann fremde Läden in anderen Städten und Ländern, so wie vor ein paar Jahren noch die Galerie berlintokyo oder im letzten Jahr das Kasseler Stammheim. Man zeigt, was man kann und wer man ist, und entkommt, eingeflauscht in kuschelige Peergroupwärme, für ein paar Wochen den eigenen vier Clubwänden. Schön.
Das haben sich wohl auch die Betreiber des Hamburger Golden Pudel Klubs gedacht. Als festes Sechsergespann, mit einer eigens zu diesem Anlass gegründeten Space-Pop-Punk-Band und von Stadt zu Stadt wechselnden Gästen "mit Lokalkolorit", reisen Dr. Norbert Kahl (Rektor des Pudelklubs), Schorsch Kamerun (Goldene Zitronen), Justus Köhnke (Whirlpool Productions), Erobique (Houseorgelspieler), Rocko Schamoni (Lebemann und Autor) und Jacques Palminger (Ex-Dackelblut-Schlagzeuger) quer durch Deutschland, um Lernwillige einen Abend lang in Sachen Glamour, Posen und "Edutainment als Waffe" nachhaltig zu unterweisen.
Den Pudel Klub gibt es in zwei Versionen schon seit 1988. Angesichts eines durchschnittlich eher kurzen Berliner Club- oder Barlebens könnte man da beinahe wehleidig nach Hamburg schauen. Oder neidisch: Selbst das WMF ist ja ein Kind der Neunziger. Der "Urpudel", gegründet von Kaiser Walter, Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun, war ein aus dem Geiste von Punkrock geborener, konspirativer Ort - eine Bar eigentlich, in der sich viele damals noch unbekannte Stars wie Helge Schneider, Funny van Dannen oder die Lassie Singers trafen. Gemeinsam arbeitete man hart daran, die Differenzen von Hoch- und Subkultur niederzureißen, indem man ihre Elemente möglichst wüst vermengte. Man betrank sich ohne Rücksicht und sorgte liebevoll für ein regelmäßiges Ausufern der Partys.
Zusammen mit Dr. Norbert Kahl, dem ominösen Unbekannten, kam es 1994 zu einer Neugründung und Umbenennung in "Golden Pudel Klub". Schorsch Kamerun bezeichnet ihn respektvoll als "ultramodernen Zeitgeistladen, der jeden noch so winzigen Trend aufspürt, um ihn dann [. . .] zu zerstören. Alles ist erlaubt, sonst wird es von uns verboten." Ein Prinzip der Brüche, der Uneindeutigkeiten und der bewussten Schlampigkeit, das punk-trashige Artwork der Flyer und Plakate und die auf Außenstehende manchmal etwas logenhaft wirkende Hamburger Kerngemeinschaft definieren bis heute den Charakter der Pudelveranstaltungen.
Jacques Palminger meint dazu: "Angeberisch gesagt: Da wird eine gewisse Art von Style vermittelt. Da gibts dann so was wie eine Country-Techno-Party, auf der dann gleichzeitig den ganzen Abend Country und Techno aufgelegt wird, alles voll aufgedreht." Und mehr noch wird täglich geboten in Hamburg: Live-Disko, lustige Lesungen zu ernsten Themen und umgekehrt, Achsenbildungen, Konzerte, Pogo, Verbrüderungen, gediegene DJ-Sets und bizarre Streitereien. Das alles und noch mehr bringen sie nun auf die Bühne.
Das Wichtigste aber: Endlich wird er da sein, der Zeitpunkt, Dr. Norbert Kahl, den Herrscher über das Pudel-Imperium, kennen zu lernen. Er wird aber nicht nur einfach auf der Bühne erscheinen, nein: Er wird für alle Besucher, für jeden einzelnen, ein Essen zubereiten und dabei gleichzeitig lebende Elefanten füttern. MICHAEL SAAGER
Operation Pudel 2001: Dr. Norbert Kahl, Schorsch Kamerun und Sylvester Boy, Justus Köhnke, Erobique, Rocko Schamoni, Jacques Palminger + Superstars: Jan Delay, Hanayo, DJ Phono, Barbara Morgenstern, Commercial Breakup, heute, 20 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
taz Berlin lokal Nr. 6385 vom 1.3.2001, Seite 28, 167 Kommentar, MICHAEL SAAGER, Rezension