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taz


Kampf mit der Monsterbox

Schwierigkeiten, die Regierung zu stürzen: Die Goldenen Zitronen machten sich beim Konzert im Bastard schwer an die Verschmelzung von Rock und elektronischer Musik


Die Zitronen leiden. Wenig scheint an diesem Abend im Bastard zu funktionieren: Das Licht ist zu dunkel, Mikrofone schalten sich wie von Zauberhand an und aus, und permanent machen Keyboards oder Gitarrenverstärker schlapp. Am schlimmsten hat es Enno Palluca, den Schlagzeuger, erwischt. Direkt neben ihm steht eine monströse Monitorbox, die ihm mit trommelfellgefährdender Lautstärke derart ins Ohr bläst, dass er sein eigenes Getrommel nicht mehr hört. Trotz dieser widrigen Umstände lässt sich die Band nicht beirren. Sie sind hier, um ihren Job zu erledigen. Und sie erledigen ihn gut.

Man sollte versuchen, sich einem Zitronen-Konzert möglichst unbelastet zu nähern. Keine Gedanken an längst vergangene Zeiten und Diskurse verschwenden. Sind die Zitronen nun eine Punkband, Hamburger Schule oder Rock mit Elektronik-Versatzstücken? Sind sie linksradikal oder nicht? Am Sound kann man es nicht erkennen.

Die Goldenen Zitronen 2001, das sind Schorsch Kamerun, Ted Gaier, Justus Block und Enno Palluca. Neu dabei ist Mense Reents (Stella/Egoexpress), der nun als Eratz für Hans "Dampf in allen Gassen" Platzgumer die elektronische Komponente der Band verkörpert. Ein Wechsel, der den Zitronen zu mehr Power verhilft, steht doch Reents mit seinem House-Projekt Egoexpress für geradezu schon konservative Tanzbarkeit, im Gegensatz zum Österreicher Platzgumer, der eher dem Experiment verpflichtet ist. Auf der neuen Platte "Schafott zum Fahrstuhl", die im September zur Veröffentlichung ansteht, krachen die elektronischen Sounds und Beats folglich mindestens genauso wie Bass und Gitarre.

Feste Rollenverteilungen gibt es für die Band keine, weder im Studio noch auf der Bühne. Zwei Ausnahmen hat das Rotationsprinzip im Bastard jedoch: Schorsch Kamerun beschränkt sich aufs Singen und Bandleadersein und nimmt höchstens mal ein Percussionsinstrument in die Hand. Und Enno Palluca kämpft an den Drums das ganze Konzert über mit der Monsterbox an seiner Seite. Bass, Gitarre und Keyboards jedoch tauschen unter den drei Übrigen fröhlich den Besitzer.

Einen wichtigen Platz auf der Bühne nimmt auch eine etwa Laptop-große, graue Maschine mit dem Namen MPC 2000 ein, welche die Funktionen von mehreren elektronischen Instrumenten vereint. Es gelingt (ausgerechnet) den Goldenen Zitronen, die viel beschworene Verschmelzung von Rock und Elektronik überzeugend umzusetzen. Gut eingespielt legen sie mit Songs aus dem neuen Album los, die "Auf dem Platz der leeren Versprechen" heißen oder von den Schwierigkeiten erzählen, die Regierung zu stürzen.

Engagiert schmeißt Schorsch Kamerun beim Herumspringen beinahe das Schlagzeug um, und Mense Reents macht es sichtlich Spaß, mal den Rockbassisten raushängen zu lassen. Da nimmt es dann aus dem Publikum auch niemand den Musikern auf Dauer krumm, wenn einer kurz vom Takt abweicht.

Es braucht zwei Stücke, bis das Publikum seine anfängliche Reserviertheit ablegt. Dann kennt die Mischung aus Turnschuh tragenden Tocotronic-Lookalikes, langhaarigen Rocktypen und den paar schicken Mitte-Menschen, die sich hierher verirrt haben, kein Halten mehr. Es folgt heftiges Pogo-Tanzen. Nur ein einzelner verzweifelter Rufer gibt sich nicht zufrieden. Seine Forderung nach "Punkrock" kontert Kamerun mit einem trockenem "dann geh doch zu Offsprig!" DANIEL FERSCH

taz Berlin lokal Nr. 6515 vom 6.8.2001, Seite 22, 121 Zeilen (Kommentar), DANIEL FERSCH, Rezension