Aua, au. Eine neue Goldene
Zitronen-Platte, auf der kluge Musik und Texte voller Hysterie ein Tänzchen
mit einander wagen. Sie tanzen auf dem „Platz der leeren Versprechungen",
suchen die „Party, die gerade nicht ist" und treffen dabei auf ihre Sidekicks
Wut, Ohnmacht und Revolution. Zusammen ziehen sie durch saubere deutsche
Städte in einem fauligen Staat. Wie die Bremer Stadtmusikanten. Sie
finden einen, der mit der Luft schimpft. Eine, die ihnen ihren Sex ins
Gesicht hält. Und drei Schwestern, die nur teilweise Rockstars sind.
Ihr greift auf „Schafott
zum Fahrstuhl" ein älteres Zitronenstück wieder auf: „Von den
Schwierigkeiten, die Regierung stürzen zu wollen", ursprünglich
zu Zeiten vom „FuckYou"-Album um 1990 veröffentlicht. Warum ist jetzt
die Zeit wieder reif dafür?
Schorsch: Weil es eigentlich
immer die richtige Zeit ist, um die Regierung zu stürzen, oder? Und
es war die ganze Strecke über richtig. Der Titel mit der „Schwierigkeit"
ist ja so etwas wie eine Interpretation, die besagt, dass man mit dieser
Maximalforderung – also auch Köpfe kürzen und so – zur Zeit nicht
weiterkommt. Man kann das gar nicht einhalten und so viele Köpfe kürzen;
so 'ne Vorstellung ist vielleicht sogar ein bisschen kindlich, aber die
Forderung selbst bleibt bestehen. Außerdem wollten wir das Stück
noch mal anders aufnehmen, glamrockiger.
Wie kam der Titel „Schafott
zum Fahrstuhl" zustande? Was für ein Bild schwebte euch dabei vor?
Als Wortspiel wirkt das wie eine umgedrehte und entleerte Damenhandtasche:
es entrümpelt den Begriff und dreht ihn auf links.
Ted: Das ist schön,
das werd ich mir merken. Genau so soll es sein.
Schorsch: Die Idee dazu
hatte Ted, glaube ich. Nee, Mense.
Mense: Das Bild dazu...
hm, das war eher ein Gag. Als wir mit den Sessions für die Platte
anfingen, hatten wir ein sehr düsteres Stück, das sehr nach Miles
Davis klang, nach „Fahrstuhl zum Schafott", getragen mit Piano, richtig
Jazz. Im Übungsraum haben wir es mit ironischem Unterton einfach „Fahrstuhl
zum Schafott" genannt und wollten den Titel eigentlich auch so beibehalten,
aber dann...
Schorsch: Haben uns unsere
Anwälte anders beraten, weil dieser Film und der Soundtrack ein etabliertes
Label sind. Wir wollten einfach mal einen Titel, der nicht so festgelegt
ist wie etwa „Das bisschen Totschlag" oder „Deadschool Hamburg" – die waren
aus unserer Sicht nicht so gemeint, wie sie am Ende verstanden wurden.
Also zum Beispiel als das Ende der Hamburger Schule – mit dem Begriff können
wir eh nicht viel anfangen. Aber vielleicht waren wir auch ein bisschen
naiv; denn so ein Name weist halt doch in eine Richtung.
Das Line Up der Zitronen
verändert sich laufend; mindestens von Platte zu Platte. Im Nebenprojekt-Meteoritenhagel
kreisen ständig andere im Orbit Schorsch Kamerun/Ted Gaier – und eine
Auswahl der üblichen Verdächtigen taucht in immer neuen Konstellationen
auf. Bei „Schafott zum Fahrstuhl" sind es Enno Palluca und Stephan Rath,
Thomas Wenzel (Die Sterne), Mense Reents (Stella, Egoexpress), Jens Rachut
(Dackelblut), Peaches und die Schwestern Logan (Melissa L. ist sonst ein
Chick On Speed), die beispringen. Elektroniker Hans Platzgumer nimmt zur
Zeit die „Auslandsvertretung" wahr – sprich: er ist auf Sabbatical. Ein
Wechsel, der auch durch den Kollektivgedanken bedingt ist. Wie haben sich
dadurch die Arbeitsbedingungen verändert?
Ted: Die Arbeitsbedingungen
sind nach wie vor schlecht. Die Bezahlung ist miserabel. Die Nachtschichten
werden nicht extra vergütet. Und die Reisen gehen mehr in so drittklassige
Länder. Zum Beispiel nach Rumänien, da haben wir einen Teil der
Platte aufgenommen, in Bukarest. Das war zwar nur so ein Gag, aber wir
haben uns da ganz wohlgefühlt.
Warum ausgerechnet da?
Ted: Also, die Arbeitsbedingungen,
wie schon gesagt.
Schorsch: Wir suchen schlechte
Arbeitsbedingungen. Dabei haben wir im besten Studio von ganz Rumänien
aufgenommen. Hat man uns jedenfalls gesagt.
Enno: Ursprünglich
ging es aber auch um Geld, oder?
Ted: Nee, wir wussten von
vornherein, dass es genau so teuer würde wie in Hamburg.
Enno: Wir wollten ein ganz
traditionelles, akustisches, mit Neumann-Mikrophonen bestücktes Mittelklassestudio
haben.
Schorsch: Und haben dann
aber in Rumänien die totale Oberklasse abgegriffen. Wir wollten endlich
mal ungestört im Studio sein, ohne dass uns was dazwischen kommt;
in Hamburg funken oft unsere Nebenprojekte rein. Dazu waren verschiedene
Orte im Gespräch, Norwegen, Chile, Tessin. Die haben wir uns aber
nicht leisten können, während wir nach Rumänien freundschaftliche
Beziehungen haben.
Als ihr die letzte Platte
„Deadschool Hamburg" über Cooking Vinyl rausgebracht habt, habt ihr
euch davon auch einen besseren internationalen Vertrieb versprochen. Scheint
aber nicht so toll geklappt zu haben. „Schafott zum Fahrstuhl" erscheint
nun bei Buback Tonträger (einer Gründung von Ted Gaier und dem
ehemaligen Zitronen-Drummer Ale Sexfeind). Warum seid ihr weg vom Kochvinyl?
Schorsch: Da ging nicht
viel. Wir hatten mit dem Label Cooking Vinyl Deutschland zu tun, die das
auch angeschoben hatten. Das ist eine Abteilung von Public Propaganda,
was so ziemlich der größte Promotionbetrieb in Deutschland ist.
Und da gab es nur eine Figur, die sich ein bisschen mit uns befaßt
hat. Wir waren die einzige Band auf Cooking Vinyl Deutschland und sind
wohl in deren Alltag untergegangen. Aus England kamen ab und zu Meldungen,
ihr habt in Australien so und so viel verkauft, oder in Tschechien, Hongkong.
Das ist ja gut und schön, aber wir hatten uns eigentlich erhofft,
dass wir dann auch mal mit Labelmates von Cooking Vinyl auf Tour gehen
können, aber die Engländer haben sich da nicht weiter gekümmert.
Zum Beispiel David Thomas
oder Frank Black – das wären feine Paarungen gewesen.
Schorsch: Oder XTC. Die
haben schöne Sachen auf dem Label. Ansonsten gab es mit ihnen keine
größeren Probleme, so vom Ablauf und Offiziellen her. Buback
bot sich an, weil da die Leute sitzen, mit denen wir sowieso immer rumhängen.
Zumal die es sich jetzt auch leisten können, mal eine Platte rauszubringen,
die ökonomisch gesehen nicht so viel einbringt – dafür haben
sie ja andere Leute, die Beginner zum Beispiel.
Im Vorstellen von Unsympathen,
Kotzbrocken und faschistoiden Trinkhallenstehern in Jogginghosen sind die
Goldenen Zitronen seit langem King. Dem Volk aufs Maul geschaut – da fällt
so manches Essensbröckchen raus. Und Sprüche, die man ihren Klopfern
wieder in die Fresse würgen möchte. Worin besteht der Reiz, in
seinen Texten in eklige Rollen zu schlüpfen?
Ted: Weiß ich gar
nicht - vielleicht ist das eine gute Möglichkeit, bestimmte Sachen
deutlich zu machen. Das fing mit einem Stück wie „80 Millionen Hooligans"
an, wo es darum ging, eine politische Sache aufs Tableau zu bringen, ohne
Parolen zu dreschen, und dazu bot sich eine Methode wie die von Degenhardt
an, wo die stärksten Stücke genau auf diese Weise funktionieren.
Aber das war eher intuitiv und hat sich so herausgebildet. Damit kann man
mehr erreichen, als wenn man plakativ sagt, „die und die sind Schweine".
Schorsch: Man hat es auch
beim Singen leichter, wenn man in eine Rolle schlüpfen kann.
Ted: So entkommst du dieser
Rockmühle, wo man so oder so singen und Rockstrukturen bedienen muss,
die an der Melodie festgehakt sind. Dieses Stück „0:30 Uhr, gleiches
Ambiente" (auf „Economy Class", 1996), das eine Art Hörspiel ist,
ist theoretisch gesehen, vom Riff und vom Schlagzeug her, ein ganz konventionelles
Rockding. Dass es in dem Sinne keinen Refrain oder Gesang gibt, erweitert
die Sache. Aber vielleicht gibt es für diese Haltung auch psychoanalytische
Gründe. Bestimmt.
Die gibt es ganz sicher.
Und diese Texte schlagen auf Kerben ein, die eh schon völlig durch
und wund sind. Da bemüht man sich, den ganzen Scheiß auf Armeslänge
zu halten, und dann treibt einem die sperrige Momentaufnahmenlyrik der
Zitronen die Zähne in die Tischplatte. Ich muss bei euren Texten immer
schreien.
Schorsch: In welche Richtung,
so „Ach du scheiße, ihr verdammten Schweine"?
Ted: Oder mehr so „Halt
doch mal das Maul!?"
Nee, mir ist das oft zu
nah; das sind Szenarien, wegen denen man eigentlich zur RAF stoßen
möchte, es am Ende aber noch nicht mal mehr vor die Tür packt.
„Müde im Käfig aufwachen", wie es bei Razzia heißt.
Ted: Wir sind gar nicht
so richtig Razzia-geschult.
Ja, ich weiß, dass
ihr keine großen Razzia-Fans seid, aber die Poetik finde ich schon
vergleichbar. Was jetzt als Kompliment gemeint ist, weil mir diese Band
sauviel bedeutet! It hurts but it feels so good.
Ted: Eigentlich haben wir
nie individuell psychologische Sachen, sondern nehmen eher einen soziologischen
Blickwinkel ein. Es gibt ja durchaus Bands und Stücke, bei denen es
fast intim wird und man involviert ist und leicht das Gefühl kriegt,
das geht mir zu nah. Bei uns dreht es sich doch mehr um gesellschaftliche
und tagespolitische Relevanz. Auf der anderen Seite stehen da wohl Blumfeld
oder so.
Also Blumfeldtexte berühren
mich jetzt nicht so.
Schorsch: Bist du nicht
sensibel oder was?
Ich denke meist, ach Bub,
das ist jetzt ja wirklich schlimm für dich, aber eigentlich klingt
das alles arg nach...
Ted: Heulsuse.
Schorsch: Geht mir bei Blumfeldtexten
tatsächlich auch manchmal so.
Das Cover ist in bewährter
Collagenmanier mit wirren Bildern bestückt; absolute Renner in diesem
Kaleidoskop sind „Killer Chicken" und „Angst"-Bräu (oder was auch
immer das ist). Erinnert an ein groteskes Plakat in Leipzig, das ich dort
in schwarz-rot-gold für eine Imbissstube werben sah: „Bratwurst-und-mehr".
Die Texte sind ähnliche Irrsinns-Schnappschüsse. Haben Schorsch
und Ted Notizblöcke in der Tasche, um so was festzuhalten?
Ted: Ganz verschieden. Bei
dieser Platte stammen die Texte weitgehend von Schorsch und mir. Seit vier
Platten haben wir mehr oder weniger einen Autor – das heißt, Musik
und Texte eines Stücks macht ein und dieselbe Person. Und die Methode
ist dann noch mal von Lied zu Lied verschieden. Bei „Flimmern" zum Beispiel
habe ich Zeitungsausschnitte gesammelt und die große Abrechnung am
Schreibtisch gemacht. Bei „Die Axt" ist mir der Text so zugefallen, und
erst denkt man, daraus ist kein Stück zu machen, und dann klappt es
aber doch. Oder wie ist das bei dir?
Schorsch: „Ich habe schon
manchmal so Sätze - mir geht das oft so, dass ich über etwas
stolpere, aus dem ich dann etwas mache. Auf der letzten Platte war das
so bei „Einverstanden" – da wusste ich, das stimmt einfach. Die Leute erkennen,
wie beschissen es ihnen geht und was alles grausiges passiert, wählen
es aber trotzdem, und sind – von außen betrachtet – auch noch einverstanden
mit ihrer grausigen Situation. Sonst würden sie sich ja anders verhalten.
Das konnte ich zu einer Art Oberbegriff verdichten. Sammeln ist halt eine
andere Methode.
Ted: Dann gibt es auch Texte
wie „L'Avance du Millénaire" auf der letzten oder „Fin du Millénaire"
auf der vorletzten Platte – diese Endlostexte, die der Versuch waren, die
Welt und den ganzen Neoliberalismus, der am Ende des Jahrtausends herrschte,
aus der Sicht der Zukunft zu erklären. Diese Texte wurden schnell
viel zu sperrig und unfunktional. Wir mussten einfach im Stück irgendwann
aufhören – der ganze Text ist zwar im Booklet abgedruckt, war aber
nicht mehr auf die CD zu kriegen.
Den Kreis der ZuträgerInnen
zieren diesmal auch die fulminante Peaches und Münchens best, Chicks
on Speed –
Ted: Auf dieser CD sind
das nicht die Chicks On Speed, sondern Melissa Logan von den Chicks und
ihre echten Schwestern! Die haben andere Beruf als Rockstars. Eine ist
Heilpraktikerin und Masseurin in Woodstock, die andere ist Stylistin
in New York.
Ist aber auch irgendwie
Rockumfeld. :-) Wie findet ihr, was Peaches sonst macht?
Ted: Ich finde das eigentlich
super. Aber ich habe bemerkt, dass es stark auf den Kontext ankommt. Es
kann ätzend wie bei 'ner Peepshow oder ein richtig starkes Genderstatement
sein; kommt darauf an, auf welcher Bühne und vor welchen Leuten sie
steht. Ich habe eine Show im Schauspielhaus in Hamburg bei einem Pudelabend
gesehen - die Bühne war wie ein Laufsteg, also von beiden Seiten einsehbar,
und es waren komische Typen da, die sich aufgegeilt und eine eklige Unruhe
reingebracht haben. Später habe ich sie noch mal in Basel auf einer
normalen Bühne erlebt, wo sie ihren kanadischen Schulkumpel Savvy
dabei hatte, und da war es gleich etwas völlig anderes. Wenn zwei
Frauen agieren, hat es leider automatisch was von Peepshow.
Mense: Also, ich habe sie
zuvor in Göttingen gesehen, da war das total in Ordnung, weil sie
von der Bühne herunter ganz offensiv agieren konnte. Es hängt
vom Umfeld ab. Im Schauspielhaus war es wirklich scheiße.
Ted: Da werden Gender-Beziehungen
theatral und stilisiert aufgeführt, auch gerade, wenn sie mit diesem
Savvy auftritt. Zum Beispiel, wenn die so tun, als würden sie sich
mit dem Mikro einen blasen.
Mense: Oder mit Gonzales,
das war auch super.
Ted: Das hat etwas von Hyperrealismus
im Film, sagen wir aus Frankreich oder auch bei den Dogma-Sachen, wo sämtliche
Grenzen einer Konvention verschoben werden; man hantiert plötzlich
mit einem Genre, das sonst nur in der Sexindustrie verwendet wird. Das
ist dann wirklich Performancekunst. Kann aber auch nach hinten losgehen.
Auf „Schafott zum Fahrstuhl"
wirkt sie aber eher entschärft. Beziehungsweise verhalten, zurückgenommen,
zynisch, leise.
Schorsch: Wieso?
Mense: Sie klingt einfach
unheimlich jung.
Ted: Es ist nicht
ihr Tempo, es ist nicht ihr Song, und es ist nicht ihre Tonlage.
Schorsch: Und es ist nicht
ihr Text, denn der ist von mir.
Mense: Aber der passt schon
zu ihr, der Text.
Der Pudelclub ist mittlerweile
so was wie ein Synonym für den Hamburgklüngel. Jetzt auch exterritorial.
Wie darf man sich das vorstellen, wenn der Pudelclub auf Tour geht??
Schorsch: Naja, das Pudelding
hat den Vorteil, dass man mit immer wieder neuen Künstlern zusammenkommt.
Denn auf Tour sitzt du ja jeden Tag mit den selben Vögeln im Bus und
stehst mit ihnen auf der Bühne, und da war es ganz angenehm, stattdessen
etwas mit lokalen Künstlern zu machen. Das habe ich ziemlich genossen.
Ansonsten war das natürlich ein Unterhaltungsding.
Wie befruchtet das die Zitronen?
Inspirationen durch neue Kontakte, beim Auflegen?
Schorsch: Also, keiner von
uns legt da auf. Mense hat mal mit Egoexpress auf einer Veranstaltung gespielt;
ich glaube, das ist gar nicht genau nachzuprüfen, wie unsere verschiedenen
Aktivitäten in die Zitronen einfließen. Ich habe in dem Rahmen
die Sylvesterboy-Performance gemacht, aus der eine der Coverversionen auf
dem Zitronen-Album stammt. Aber das gab es ja schon vor dem Pudel.
Ted: In gewisser Weise vermarktet
der Pudel die Szene, die in diesem Dunstkreis entstanden ist, und er ist
der etablierte Ort, aus dem sich dieser Zirkel gespeist hat. Ich bin damit
gar nicht so d'accord, weil das zu einer Aufwertung führt, die ich
nicht legitim finde. Wobei man zwischen dem Markenzeichen Pudel, dem Hipness-Faktor
und dem Programm unterscheiden muss, das zum Teil immer noch gut ist. Das
ist alles so postmodern verwoben, dass es kaum noch aus einander zu klauben
ist. Bei so integren Läden wie der Flora oder dem Exzess
hier in Frankfurt ist das natürlich anders. Da konnte man vielleicht
sagen, das sind lausige Hippies, die keinen Style haben; andererseits ermöglichen
sie durch ihren radikalen Ansatz das Abbild einer anderen Vorstellung davon,
wie Zusammenleben stattfinden kann. Ohne dass der Marktwert die Hauptrolle
spielt.
Schorsch: Dass der Marktwert
beim Pudel die Hauptrolle spielt, stimmt nun aber weiß Gott auch
nicht! Im Zusammenspiel ergibt sich von allein, dass an diesem Ort mit
seiner wirklich weichen Politik jeder kommen und auflegen und sein Ding
machen kann. Er ist einfach ein Raum, den man nutzen kann.
Ted: Ja, aber da vermischen
sich verschiedene Dimensionen. Man kann sagen, es ist ein Undergroundladen,
in dem interessante Sachen laufen und ungewöhnliche Leute verkehren.
Man kann wiederum sagen, damit bietet er den ganzen Werbefirmen in Hamburg,
die dort ein- und ausgehen, eine Anregung als Hipness-Markenzeichen, und
man kann auch sagen, es ist eine Kneipe wie jede andere mit einem Chef,
der Bier bestellt und Leute einstellt und eine Idee von Kneipe verwirklicht,
die ihm genehm ist. Und auch schon Leute rausgeekelt hat, die eine andere
Vorstellung von Kneipemachen hatten. Das sind drei Ebenen, und man kann
nun nicht sagen, der Pudel ist scheiße oder gut; aber ich kann mich
jedenfalls nicht damit identifizieren.
Schorsch: Bestimmte Leute
sehen das sicher so, wie du beschreibst, aber es gibt da auch eine Party-Ebene,
auf der sich viele bewegen. Und die hinterfragen gar nicht so weit.
Ted: Nein, klar, wenn ich
in eine Techno-Disco gehe, frage ich auch nicht zuerst, welche Politik
der Chef intern mit seinen Angestellten fährt und wie devot er sie
aussucht. Ich mag nur nicht, wenn über den Pudel geredet wird, als
ob er intern organisatorisch links geführt würde. Natürlich
wird dort linke Politik unterstützt, aber es ist ein ganz normaler
Laden.
Mense: Das eigentliche „Pudelding"
findet doch viel mehr außerhalb von Hamburg statt – wenn die Pudelveranstaltungen
mit verschiedenen Leuten über die Bühne gehen. In Hamburg selbst
passiert da gar nicht mehr viel.
Ted: Aber dann liest du
einen Spexartikel, und da benutzen sie zur Beschreibung von etwas den Begriff
„Pudel", als wäre es eine Marke.
Schorsch: Das finde ich
genauso ärgerlich wie Hamburger Schule.
Ihr habt für euch die
Unkündbarkeit ausgerufen; wie war das noch gleich? Das klingt unermüdlich
kämpferisch, aber ich glaube, es bezog sich darauf, dass die Goldenen
Zitronen den Kollektivgedanken hochhalten, oder?
Schorsch: Die Idee war,
man darf nicht kündigen, so halten wir das seit der Platte davor.
Ted: Es wird niemand rausgeworfen.
Und es gab keinen Augenblick,
wo ihr gesagt hättet, ach nö, ist gut jetzt, wir ziehen uns zurück,
ob jetzt aufs Altenteil oder in andere Projekte?
Ted: Das erzählen wir
dir doch jetzt nicht...
Schorsch: Ach, kann man
doch schon. Es gab zumindest nie einen Augenblick, wo wir alle zusammen
gesessen und gesagt hätten, jetzt geht es nicht mehr.
Enno: Intern wird aber schon
einiges in Frage gestellt, auch auf krasse Weise. Irgendwie geht es zwar
immer weiter, aber darüber wird auch knallhart gestritten. Dann rennt
man halt weg, weil man sauer ist oder keine Argumente mehr hat, aber am
Ende muss man sich dem doch wieder stellen.
Schorsch: Wir sind ja auch
nicht ganze Zeit Goldene Zitronen; in Wirklichkeit nimmt die Band gar nicht
so viel Zeit in Anspruch. Diese Band ist einfach Teil von unserem Leben
und eine wunderbare Möglichkeit sich auszudrücken. Eigentlich
die beste. Ich denke schon, dass wir mit den Zitronen noch am ehesten unsere
Inhalte rüberbringen können.
Was ich noch unbedingt loswerden
muss, ist die Frage nach der beeindruckenden Modestrecke, die Schorsch
und Rocko Schamoni im Intro bestritten haben: In Damenbadeanzügen,
mit Tennisröckchen und auf dem Golfplatz in Girlie-Caddy-Schick. Mit
Zigarren und Bierseideln als Accessoires. Habt ihr die Klamotten wenigstens
als Honorar behalten dürfen?
Schorsch: Honorar? Keins,
das war alles geliehenes Zeug. Als Intro angefragt hat, habe ich erst abgelehnt,
aber dann haben wir uns überlegt, das mit den Frauenklamotten aufzuziehen,
und ich bin nach wie vor total froh über diese Bilder. Die Frauensachen
drehen das Modeding so ein bisschen um. Gut, sie stellen es nicht wirklich
in Frage, aber als Produkt passt das halt nicht: Ich gehe jetzt nicht in
den Laden und kaufe mir einen Rock, weil Rocko so einen getragen hat. An
einem unflexiblen Ort wie dem Intro kam das gerade recht; in einer Zeitung
wie Max hätte es hingegen überhaupt nicht funktioniert.
Mense: Damals fing das mit
den ganzen Modestrecken auch erst an; die Spex hat dann ja auch welche
reingenommen.
Ted: Ich finde am köstlichsten,
welche Typen die Ideen zu diesen Modestrecken haben. Graue Indiemenschen
mit Saufnasen.
Schorsch: Nicht gerade die
ästhetischen Vorreiter.
Zuletzt... was zur Hölle
ist die Topforgel, die Mense und Ted laut Booklet spielen??
Schorsch: Endlich fragt
mal jemand! Ted hat die erfunden.
Ted: Das sind verschiedene
Töpfe und Deckel und Salatschüsseln...
Mit verschiedenen Tonalitäten,
klar. Deren Klang und die Zahnschmerz-Botschaften der Goldenen Zitronen
sind zu hören auf „Schafott zum Fahrstuhl". Enjoy.
Melanie Aschenbrenner
Discographie
Doris ist in der Gang (EP)
Am Tag als Thomas Anders
starb (7")
Porsche, Genscher, Hallo
HSV (LP)
Das ist Rock – live in Japan
(MLP)
Kampfstern Mallorca dockt
an (LP/CD)
1990 Fuck You (LP/CD)
Alles was ich will (ist
nur die Regierung stürzen) (7")
Punkrock (LP/CD)
80.000.000 Hooligans (12"/MCD)
Das bisschen Totschlag
(LP/CD)
1996 Economy Class
(LP/CD)
Deadschool Hamburg (LP/CD)
Weil wir einverstanden sind
(Remixe, 12")
2001 Schafott zum Fahrstuhl