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18 Jahre und kein bisschen älter

MATTHIAS SEEBERG


Knapp zwei Jahrzehnte Punk und was daraus geworden ist: "Die Goldenen Zitronen" feiern am Freitag in der Fabrik mit etlichen GenossInnen die Volljährigkeit ihres wiederholt irritierenden Modells kritischer Wandlungsfähigkeit

von MATTHIAS SEEBERG


Nachdem die Zahl 18 in diesem Jahr eine eher bedauernswerte Konjunktur erlebt hat, ist es erfreulich, sie in einem bemerkenswert angenehmen Zusammenhang rehabilitiert zu sehen: Die Goldenen Zitronen begehen ihren 18. Geburtstag. Bei 18 Jahren Zitronen geht es um weit mehr als Volljährigkeit: um 18 Jahre bundesrepublikanische Historie, um 18 Jahre alter und neuer Widersprüche und um einen erheblichen Beitrag zur Geschichtsschreibung dessen, was nach wie vor unter dem Namen "Punk" gehandelt wird.

Vom Cover des zum Jubiläum auf Buback Tonträger erschienenen Best-of-Albums Aussage gegen Aussage schmunzelt das geradezu von verständnisvoller Ironie gezeichnete Antlitz Helmut Kohls, als würde er murmeln: "Da schau her, die haben's länger geschafft als ich." Und das haben sie auch. Die Zitronen haben den konservativen Dunst der so genannten "geistig moralischen Wende" überstanden, haben erfolgreich der Apathie verbürgerlichter Ökopaxe, für die mit der APO und den Grünen alles getan war, getrotzt und haben auch in der so genannten "Neuen Mitte" ihr Feld der Auseinandersetzung gefunden.

Ihre Verbindung zur Politik des Altkanzlers reicht noch tiefer. Markiert doch die von Kohl als sein persönlicher Beitrag zum Fortgang der Weltgeschichte erklärte Wiedervereinigung den Zeitpunkt, als die Zitronen sich vom Konzept Fun-Punk verabschiedeten und sich einer eigenen Ästhetik politischer Kritik bedienten. Plötzlich war von 80 Millionen Hooligans die Rede und die Bürger von Hoyerswerda ließen den Tag als Thomas Anders starb als absolut harmlos und vergessen erscheinen.

In Uwe Timms letzten Roman Rot ist der Protagonist vom engagierten 68er Revolutionär zum Leichenredner einstiger Idealisten geworden, der sich noch immer mit der Schwierigkeit, die Regierung zu stürzen, herumschlägt. Den Hang zu Nekrologen auf festgefahrene Mechanismen gab es auch bei den Goldies, erinnert sei an die Deadschool Hamburg-LP, aber diese waren meist mit der Aufforderung zur ständigen Selbsterneuerung verbunden. So muss man von heute aus gesehen die mit Porsche, Genscher, Hallo HSV vermeintlich entstandene Fun-Punk-Falle als methodischen Taschenspielertrick bewerten, mit dem sich die Zitronen dem Zwang zur ständigen Veränderung aussetzten. Stetes Sich-neu-Erfinden, dazu bei aller Wandlungsfähigkeit das Beharren an politischer Kritik der jeweiligen Situation aufrechtzuerhalten, das ist das dialektische Prinzip, das den Goldenen Zitronen zu ihrer Ausdauer verholfen hat.

Ob in Zusammensetzung oder Arbeitsweise: Die Aufmerksamkeit der projektorientierten und kosmopolitischen Assoziation um Schorsch Kamerun, Ted Gaier & Genossen galt und gilt den kulturpolitischen Veränderungen. Stilistisch gesehen haben sie sich mit ihren Versatzstücken aus Punk und Glamrock, Hip Hop und New Wave, Free Jazz und Elektronik zu wahren Meistern einer Referentialität ohne Grenzen entwickelt, die zwar die Fangemeinde wiederholt irritierte, gleichsam aber vor Vereinnahmung schützte.

Neben der musikalischen Mimikry sind es natürlich die Texte, die bei den Zitronen das Medium der Reflexion darstellen. Mit scharfsinnigen Kommentaren statt blinden Parolen haben sie dem seit anno 89 wieder oft und gern zum Größenwahn neigenden deutschen Volk zur Genüge auf's Maul geschaut und sich ihren Reim darauf gemacht. Dabei sind sie in einer an der Rhetorik Franz Josef Degenhardts geschulten Argumentationskunst so manchem Paradox in der Ideologie der Anständigen auf die Schliche gekommen; wie in der in dem Stück Flimmern so treffend formulierten Formulierung: "Wat soll'n die Nazis raus aus Deutschland, wat hätt' denn des für'n Sinn - die Nazis könne doch net naus, denn hier gehörn se hin."

Am Freitag, wohl kaum zufälligerweise der 18. des Monats, spielen Die Goldenen Zitronen in der Fabrik zur eigenen Geburtstagsparty. Zur Feier des Tages geben sich dabei die GenossInnen Manuel Muerte, Nixe, Bernadette la Hengst, Ale Sexfeind, Tobias Levin, Erobique, Spliff Richard, Jensen und der Inder von Oma Hans und Angie Reed ein Stelldichein. Ob auch die auf Schafott zum Fahrstuhl verwendete Topforgel - bestehend aus Töpfen, Deckel und Salatschüsseln - zum Einsatz kommt, in deren unterschiedlichen Tonalitäten erklärtermaßen das Wesen von fast zwei Jahrzehnten politischen Liedguts zu hören sind? Herzlichen Glückwunsch, auch wenn sich der erwähnte Altkanzler vermutlich entschuldigen lässt.

Freitag, 21 Uhr, Fabrik

taz Hamburg Nr. 6880 vom 17.10.2002, Seite IV, 152 Zeilen (Kommentar), MATTHIAS SEEBERG,

Quelle: www.taz.de