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Represented by Verdi

Gewerkschaften und die KollegInnen ohne Papiere. Von Respect Berlin

Freitagmorgen, 24. Oktober. 2003, auf dem ersten Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, im Foyer des Internationalen Congress Centers (ICC) Berlin wird mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden, verantwortlich für den Bereich Migration, verhandelt: Margret Mönig-Raane, im roten Kostüm. Ihr gegenüber stehen wir, die KollegInnen der »Verdi-Gesellschaft für Legalisierung«, in weißen Streikwesten.

Ungefähr tausend Delegierte strömen an diesem Morgen an uns vorbei ins ICC. Wir haben »sacs tati« aufgestellt, große Koffer, aus denen Tonbandstimmen zu hören sind. Stimmen, die Personen ohne Papiere gehören und die soziale und politische Rechte einfordern. Mit den Koffern und dem, was sie sagen, beanspruchen sie den Raum, den sie an diesem Tag wegen drohender Kriminalisierungen nicht direkt einnehmen wollten.

Unsere Streikwesten mit Verdi-Logo und Schriftzug »Gesellschaft für Legalisierung« zeigen Erfolg. Schnell gelten wir als KollegInnen. Unsere Flyer »Empfehlungen für den Bundeskongress« stoßen bei den Delegierten auf reges Interesse. Gegenüber dem aufgeregten Sicherheitsdienst setzen sich einige für uns ein: »Lasst doch die Kollegen hier demonstrieren.«

KollegInnen vom Verdi-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen versuchen, uns Rederecht vor den Delegierten zu verschaffen, aber Mönig-Raane will Bedingungen stellen: Keine Person ohne Papiere soll vor den Delegierten sprechen. »Es darf keine illegale Kollegin reden, weil das eine Provokation für die Legislative und auch für viele Delegierte hier wäre. Wir wollen nicht, dass die Polizei einen Anlass hätte, bei uns einzugreifen.«

»Die Frage nach der Staatsbürgerschaft spielt für einen Beitritt zu Verdi keine Rolle«, erklärt uns später der Bundesvorsitzende Frank Bsirske im Interview. Aber wozu braucht es eine Mitgliedschaft, wenn man nicht reden darf und diese Gewerkschaft nicht bereit ist, ihre Macht zu nutzen und KollegInnen ohne Aufenthaltsstatus eine politische Plattform zu bieten und so Schutz vor Kriminalisierung zu leisten?

Bei Verletzungen fundamentaler Arbeitsrechte wie zum Beispiel Lohnraub wenden sich ArbeitnehmerInnen ohne Papiere bisher nicht an Gewerkschaften, um rechtliche Beratung, finanzielle Unterstützung und Vertretung vor Arbeitsgerichten zu erhalten. Arbeitsrechte gelten jedoch für alle ArbeitnehmerInnen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Dazu gehört vor allem das Recht, gerichtlich gegen Lohnraub vorzugehen.

Damit alltäglicher und organisierter Widerstand gegen miese Arbeitsbedingungen undokumentierter ArbeiterInnen nicht länger jenseits gewerkschaftlicher Unterstützung stattfindet, ist eine grundlegende Veränderung im Verständnis der Kategorie Arbeit notwendig. In feministischen Analysen wird schon lange kritisiert, dass Beschäftigungsverhältnisse jenseits dessen, was gesellschaftlich als Normalarbeitsverhältnis gilt, politisch und ökonomisch übersehen werden.

Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungsbereich der bezahlten und unbezahlten Hausarbeit, der Pflege- oder Sexarbeit – bezahlt arbeiten hier meist Frauen ohne deutschen Pass – kommen in der gewerkschaftlichen Interessenvertretung nicht vor: Weil die Arbeit im so genannten Privaten stattfindet, meistens vereinzelt statt im Betrieb, geringfügig, irregulär, etc. Nur wenn Gewerkschaften ihre Fixierung auf die so genannten »Schlüsselindustrien«, betriebliche Organisierung und Streik als Mittel der Interessendurchsetzung aufgeben, lassen sich Arbeitsverhältnisse in diesen gesellschaftlich keineswegs marginalen Wirtschaftssektoren organisieren.

Ansätze, die es für Dienstleistungen im Privathaushalt weiterzuentwickeln gälte, liegen für den Baubereich bereits vor. »Unterstützen statt kontrollieren«, das Konzept der Zentralen Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa (Zapo) und des Polnischen Sozialrats, fordert von der IG Bau, papierlose ArbeitnehmerInnen bei der Durchsetzung von Arbeitsrechten, wie dem Recht auf Auszahlung von Lohnansprüchen, zu unterstützen, statt sich an Razzien und Kriminalisierung zu beteiligen.

Für den Arbeitsplatz Haushalt sind nicht so sehr Razzien und Kontrollen das Problem, sondern die Frage, wie ArbeitnehmerInnen in weitgehend abgeschotteten bürgerlichen Privaträumen geschützt werden können. Sexuelle Übergriffe der ArbeitgeberInnen, Lohnraub oder nicht existenzsichernde Löhne sind hier Bedingungen, die im öffentlichen Diskurs oft mit dem Begriff des Menschenhandels statt der Ausbeutung gefasst werden. Daraus ergeben sich Aufgaben, die sich an Nichtregierungsorganisationen und Beratungsstellen delegieren lassen, anstatt dass sich Gewerkschaften diesen Fragen stellen müssen.

Unsere Aktion interveniert bei Verdi, um neben einer politischen Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verfasstheit unterbezahlter haushalts- und personenbezogener Dienstleistungen konkrete Ansätze einzufordern, die an den Interessen der Arbeiternehmerinnen ohne Papiere ansetzen.

Im Foyer des ICC ist eine Entscheidung gefallen. Ein paar Minuten später gehen drinnen im Saal die Arme hoch. Der Versammlungsleiter hatte um eine Abstimmung gebeten, ob die KollegInnen von der »Verdi-Gesellschaft für Legalisierung« ein Rederecht erhalten. Unsere Vertreterinnen stellen sich aufs Podium und fordern, dass Verdi endlich Menschen ohne Papiere organisieren soll. Sie rufen die Delegierten auf, sich deren Interessen zum eigenen Anliegen zu machen. Es sei Zeit, dass die Gewerkschaft auf bezirklicher Ebene konkrete Rechtsberatung anbiete und Arbeitskämpfe vor Gericht unterstütze.

»Wir sind Arbeiterinnen und deswegen haben wir das Recht auf Rechte. Wir wollen nicht mehr bei der Arbeit sexuell missbraucht werden, wir wollen einen höheren Lohn und endlich in Würde arbeiten wie ihr alle auch!« Das kommt an und erhält jede Menge Beifall, entgegen den Befürchtungen der Kollegin Mönig-Raane.

Bsirske wird mit seiner Stellvertreterin, die sich, statt den Interessen der papierlosen Kolleginnen ein Redeforum zu gewähren, spontan die Sicht der Polizei zu Eigen machte, noch einiges zu diskutieren haben. Eine Aufgabe hat sich Bsirske nämlich bereits selbst gestellt: Konzepte zu entwickeln, wie papierlose KollegInnen, die Mitglied von Verdi werden, auch konkret geschützt und unterstützt werden können.