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Neue Wacht am Rhein

Walter Moßmann und Cornelius Schwehr, Die Störung, Tonstück und Texte zur Anti-AKW-Bewegung

Quelle: ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis

Wenn man von Wyhl und dem Widerstand Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts im Kaiserstuhl spricht (und von der erfolgreichen Verhinderung dieses AKW-Standortes schwärmt), ist der Name Walter Moßmann nicht weit. Das nicht etwa, weil die gesamte Linke von den auf akustischer Gitarre vorgetragenen Widerstandsliedern zwischen Die andere Wacht am Rhein über den KKW-Nein-Rag hin zum Lebensvogel in seltener Eintracht begeistert war, sondern weil die Anti-AKW-Bewegung auch als liedermachende soziale Bewegung mit diesem Namen aufs engste verbunden ist. Der Verlag die brotsuppe hat jetzt in einem kleinen Buch (96 Seiten) plus beigefügter CD Die Störung, Tonstücke und Texte zur Anti-AKW-Bewegung veröffentlich, die Walter Moßmann mit Cornelius Schwehr gemeinsam gemacht hat. Die enthaltenen vier Texte sind in der Zeit von 1974/75 bis 1991 entstanden und werden in dem Band neu veröffentlich. Insofern stellt das Buch auch einen Beitrag zur Geschichte der Anti-AKW-Bewegung in einer Region da, von der aus sich diese bis heute lebendige Bewegung über das ganze Land, über Brokdorf, Grohnde, Kalkar bis hin nach Gorleben und heute gegen Castortransporte ausbreitete.
Der Text Die Störung entstand bereits 1990 anlässlich der Verleihung des Reinhold-Schneider-Preises für Musik durch die Stadt Freiburg (Schneider erhielt 1956 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: „Das Wort Nation ist mir jeden Sinnes bar ...“). Das damit verbundene Stipendium wurde in einem Festakt im November 1990 an Moßmann vergeben. Moßmann selbst sagt, dass ihm dieser Preis zwar eine Ehre gewesen sei und er vor allem das Geld gut brauchen konnte, dass er aber dennoch äußerst misstrauisch war, dass man den alten Frontkämpfer am Bauzaun 15 Jahre später auszeichnete. Deshalb entstand die Störung, in der er sich auf vielschichtige Weise mit der Natur auseinandersetzt, dem Objekt der Ökologiebewegung der 70er Bewegung und die er mit Schwehr bei der Preisverleihung aufführte. Moßmann sucht vor allem nach dem Nationalismus, räumt auf mit einer Vorstellung, dass es sich hier per se um eine emanzipatorische Betrachtung bzw. Bewegung handelt. Er erzählt (auf der CD), untermalt von Geräuschen, Tönen und szenischen Klangbildern zunächst eine scheinbar harmlose Geschichte von einem Mann, der sich in einem Naturschutzgebiet aufhält, Haubentaucher und Eisvogel betrachtet und sich von einigen zivilisatorischen Geschehnissen gestört zeigt. Ein Flamingo, der hier nicht hingehört, wird von dem Naturschützer vertrieben.
Von hier aus gräbt Moßmann weiter, tiefer, nach links und rechts und holt auf diese Weise eine überaus komplizierte Realität hervor. Vom Naturschutzgebiet über den Gesang der Buckelwale zum Bauzaun und zur türkischen Moschee: „Noch ist diese Raumschaft ja intakt. Aber kommt das Atom, kommt auch die Industrie. Und kommt die Industrie, kommt auch der Türke. Und kommt der Türke, kommt auch die Moschee. Mitten in diese Raumschaft. (S.65) Die Wurzeln zum deutschen Faschismus findet Moßmann leicht: „Und wer Unterschiede unterstellt zwischen Sprüchen von 1938 und 1983 täuscht sich süß.“ (S.67)
Zu dem Text „Ein Pfahl im Löss“ (1991), der als Reaktion auf die Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof in Ihringen geschrieben wurde, stellt Mossmann fest: „Das Thema Nationalismus hatte sich keineswegs erledigt. Die Grenze, das Eigene und das Fremde – ein furchtbarer Dauerbrenner.“ (S.9) In dem Text selbst, in dem berichtet wird, dass 177 von 200 Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof umgeworfen worden sind, lässt Moßmann einen älteren Herrn „mit großen Verdiensten aus den Kämpfen gegen das AKW Wyhl“ über die Frage nach den Tätern zu Worte kommen: „Wahrscheinlich waren es die Juden selber, das sie noch mehr aus uns herauspressen können!“ Spätestens hier erübrigt sich die Frage, warum der Verlag diese Textsammlung herausgibt, obwohl der jüngste Text immerhin 10 Jahre alt ist. Mindestens die AtomgegnerInnen um Anna Liese, die seit rund zwei Jahren bemüht sind, innerhalb der Anti-AKW-Bewegung (und darüber hinaus) über Grenze und Nation eine Debatte zu initiieren, dürften an der Störung von Moßmann gefallen finden. Wenn ein Jürgen Trittin als Bundesumweltminister den Widerstand gegen die Castortransporte ins Wendland damit rechtfertigt, dass „wir Deutschen unseren Atommüll“ eben aus Frankreich zurücknehmen müssen (siehe nebenstehenden Artikel), dann hat das nicht so sehr mit internationaler Solidarität zu tun, sondern macht deutlich, warum es sich über Nationalismus zu diskutieren lohnt. Moßmann regt dazu auf interessante Weise an.

DSe

Walter Moßmann und Cornelius Schwehr, Die Störung, Tonstück und Texte zur Anti-AKW-Bewegung, erschienen im Verlag die brotsuppe, Postfach 1317, 79303 Emmendingen, 96 Seiten plus CD,