Die Erben der Scherben
Keine Macht für Niemand ist kein Familientreffen, aber ....?!
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Darf man das? Sich an Idole wagen, die quasi in Stein gemeißelt für die bewegte Jugend und Protestkultur der 70er stehen, deren Songs, wie`s im Beiheft so schön heisst, immer noch „Demoburner" sind? Natürlich sind die Originale unerreichbar, steht und fällt das Konzept Protest meets Pathos, aber wie! mit Rio Reiser das hat nicht zuletzt die künstlerische umstrittene „Nachfolgeband" Neues Glas aus alten Scherben" gezeigt. Sicher mag auch diese „Neufassung" des legendären Ton Steine Scherben-Albums „Keine Macht für Niemand" als wenig originell erscheinen, im schlechtesten Fall gar als Sakrileg. Nachspielen oder Dekonstruieren, Modernisieren oder was? DJ Koze, mit einem Beitrag eingeplant, hat sein Scheitern per Anrufbeantworter bekanntgegeben: „Weil, das schockt alles nicht. ... Das Lied selber finden wir schon geil, aber wir haben das total verkackt mit der Mucke." Und dann muss man das eben nicht veröffentlichen. Aber mal abgesehen von der gerade aktuellen 68-Joseph-Fischer-Mescalero-und-die Folgen-Aufarbeitung (gähn), die dem ganzen Projekt nochmal eine ungeahnte Aktualität verleiht - vielleicht habt ihr ja auch erlebt, wie Scherben-Songs bei jedwedem halbwegs passenden linken Thema aus dem Druckkammerlautsprecher schallten oder auf dem Plattenteller der alternativen Radiostation landeten.

Irgendwann habe ich es nicht mehr ertragen und meine Liebe zu dieser Band, die vom ansatzweise richtigen Leben im Falschen mit soviel Leidenschaft wie Gefühl sang, in irgendeiner symbolischen Ecke versteckt. Die Erben fordern nun die Konfrontation. Auch wenn musikalisch nichts allzu überraschendes geschieht, werden die Lieder in einen anderen Rahmen gerückt. Was sagen uns die Texte, die versuchten, persönliches und politisches zusammenzudenken, Paarbezihungen ansatzweise mal nicht als herrschaftverhältnisse zu sehen, Texte, die von Feierabend und Zahltag sprechen, von Fabriken, von Enteignung des Kapitals in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit, der aufweichenden Flächentarife, Diskussionen über betreibliche Mitbestimmung, des schnellen Reichtums durch Börsenspekulationen, gelbe Aktien für angeblich alle und der Online-Jobs mit Firmenbeteiligung am neuen Markt? Wie wenig (wieviel?) hat sich geändert? Wie wirkt das dreissig Jahre alte Wort, wenn es in modernste Technik gekleidet, fast unverändert von zumeist viel Jüngeren weitergetragen wird? In brachialen Gitarrenriffs daherkommt wie Gunjahs Version von „Paul Panzers Blues"?

Was sagt uns EX-DDR Bürgerin Nina Hagen zehn Jahre nach dem Mauerfall, wenn sie eine gerade auch für ihre Verhältnisse höchst nüchterne Version von „Der Traum ist aus" abliefert? (Schön im Vergleich zu hören ist dasselbe Lied von Rio Reiser 1988 live in der Seelenbinderhalle...) Schorsch Kamerun hat sich mit „Menschenjäger" ein seiner Ansicht nach zeitloses Stück gewählt. Dafür hat er in der musikalischen Umsetzung konsequent Strukturen gesprengt, die das Stück problemlos ins Jahr 2000 tragen, in dem immer noch Krieg geführt, gefoltert, Menschenrecht missachtet wird. Blixa Bargeld mutiert wohl endgültig zum Zitator und ersetzt entsprechend seinem Dandy-Habitus bei „Allein machen sie dich" ein das nicht mehr so richtig slanggemäße „Das is aber ´n ganz schöner Hammer, ey, Mann" durch Geräusche. Am besten aber finde ich, wenn SBT feat. Ziska bei „Die letzte Schlacht gewinnen wir" Frauenstimmen mit dem Refrain anfangen: „Wir brauchen keinen starken Mann, wir sind selber stark genug. Wir wissen selber was zu tun ist, unser Kopf ist gross genug." Verfremdung, Irritation von Gender-Grenzen und: zusammenfügen, was wirklich zusammengehört und was auch linke Kampfgeister anno 72 und später so gern übersehen haben: Die letzte Schlacht können wir nur zusammen gewinnen, Jungs und Madels! Eine ZN-Platte: zuhören und nachdenken, über die Verhältnisse, wie sie waren, wie sie sind das könnte vielleicht sogar klarmachen, wie sie sein sollten....?! Tine Plesch Die Erben der Scherben. Keine Macht für niemand. (Big Pop/Virgin)