Die Verhältnisse zum Tanzen bringen ...
Über Musik und Politik
Quelle: ak-analyse+kritik

Die Geschichte der Musik ist eine politische Geschichte. Herrscher aller Zeiten haben sich der Musik bedient, haben gefällige Komponisten und Musikstile gefördert, ungefällige zensiert. Gebildete Herrscher beriefen sich dabei gerne auf den alten Platon, der in seinem berühmten Werk res publica schrieb: "Vor Neuerungen der Musik muss man sich in Acht nehmen; denn dadurch kommt alles in Gefahr. (...) Nirgends wird an den Gesetzen der Musik gerüttelt, ohne dass auch die höchsten Gesetze des Staates ins Wanken geraten. (...) Dort müssen also die Wächter ihr Wachhaus bauen: in die Nähe der Musik. - Ja, Gesetzlosigkeit dringt leicht in die Musik ein, ohne dass man es gewahr wird. - Freilich, sie scheint dort bloß Spiel zu sein und ohne üble Wirkung zu bleiben. - Sie hat ja auch keine andere Wirkung ..., als dass sie sich allmählich festsetzt und heimlich auf den Charakter und die Fähigkeit überträgt, dann weiter und offener um sich greift und das bürgerliche Leben vergiftet, dann mit großer Frechheit die Gesetze und die Verfassung angreift, bis sie schließlich alles zerstört, das ganze Leben des Einzelnen sowohl wie der Gesamtheit."

Für Platon und seine Nachfolger hatte Musik eine wichtige Funktion innerhalb des Gemeinwesens: Sie diente der Etablierung bzw. der Festigung der Sittlichkeit. Gleichzeitig stellte sie aber auch eine große Gefahr dar, die es zu kontrollieren, reglementieren galt. Nicht erst die großen Diktaturen des letzten Jahrhunderts betrachteten das musikalische Geschehen daher mit Argusaugen. Die Unterscheidung von artiger und entarteter Kunst erfreute sich bereits einige Jahrhunderte vor dem Nationalsozialismus eifriger Beliebtheit.

Zweifellos aber wurde Platons Ratschlag, das Wachhaus der staatlichen Wächter in der Nähe der Musik zu erbauen, niemals so offensichtlich verfolgt wie in den faschistischen und kommunistischen Regimen des 20. Jahrhunderts. Stalin wollte eine einfache, eingängige, dem vermeintlich "gesunden Volksempfinden" entsprechende Musik. Komponisten, die sich diesen Maßgaben nicht anpassten, wurden als "Verräter der Revolution", als "bürgerliche Revisionisten" diskreditiert.

Was Stalin und seinen Funktionären recht war, war Hitler nur billig. Auch im deutschen Reich wurde musikalischer Intellektualismus gerügt und Volksmusik zur Basis des musikalischen Schaffens erkoren. Wahre Musik sei immer im Volkstum verwurzelt, wusste Propagandaminister Goebbels zu berichten. Am deutschen Wesen - auch am musikalischen - sollte die Welt genesen.

Auch in der Bundesrepublik wurde - vor allem von den 1940er bis 1960er Jahren - die musikalische Entwicklung argwöhnisch beobachtet und - insbesondere in den christlichen Volksparteien - die Bedeutung einer gesunden, im Volkstum verwurzelten Musik in den Vordergrund gerückt. So verkündete der ehemalige Bundespräsident Dr. h.c. Heinrich Lübke 1962: "Keine Musikkultur wird auf Dauer gesund bleiben, wenn sie nicht aus den ursprünglichen Quellen des Volkstums gespeist wird." Was Lübke damit meinte, verrät eine weitere Passage seiner Rede: "Es scheint mir bezeichnend für die innere Verfassung unseres Volkes zu sein, dass es bei uns noch nicht wieder zu einem neuen vaterländischen Singen gekommen ist." Die verräterische Sequenz dieser Aussage lautet "noch nicht wieder". Drückt sich hier nicht das Bedauern aus, dass die naiv vaterländische, nationalsozialistische Musikkultur nach dem Ende des Krieges zerstört wurde? Dies ist kaum von der Hand zu weisen. Zudem sollte nicht vergessen werden: Auf zünftigen Wahlkampfveranstaltungen ertönt noch immer die gleiche volkstümelnde Blasmusik, die dereinst Nazischergen in Bierlaune versetzte. (...)

Heute ist die in den 1950er/60er/70er Jahren gängige konservative Klage über den vermeintlich verderblichen Einfluss von Pop- und Rockmusik auf die Jugendlichen nur noch selten zu hören. Die postmodern-pluralistische Kultur des Spätkapitalismus verlangt eine grandiose Vielfalt nicht nur der Gouda-Sorten, sondern auch der Musikarten. Pop-Musik ist etabliert. Sie stellt keine Bedrohung mehr dar. Warum auch? Sie gehorcht in der Regel sklavisch den Gesetzen des Marktes, die immer mehr auch unser politisches System bestimmen. Insofern ist das politische System gegenüber musikalischen Innovationen aufgeschlossen wie noch nie zuvor. Neue Musikstile werden das gegenwärtige Polit-System der Vermarktung kaum erschüttern. Im Gegenteil. Sie sind höchst willkommene Phänomene, versprechen sie doch stete Umsatzsteigerung in der Musikindustrie. (...)

Hatte Platon nun Recht oder Unrecht? Ist Musik politisch und kann sie tatsächlich die Welt verändern? In gewissem Sinne muss man diese Frage wohl mit "ja" beantworten. Musik verändert die Welt, indem sie unser Verhältnis zur Welt verändert. Und sie macht dies auf eine geheimnisvolle, sprachlich kaum fassbare, die Tiefenschichten unseres Ichs beeinflussende Weise. Allerdings - und dies scheint Platon dann doch übersehen zu haben: Eine neue Musik, die potenziell in der Lage ist, die Welt zu verändern, fällt selbst nicht vom Himmel. Vielmehr ist sie das Produkt bereits veränderter Umweltbedingungen. Insofern muss man festhalten, dass die Musik nur dann die Welt verändern kann, wenn sich die Welt anschickt, die Musik und die sie produzierenden MusikerInnen zu verändern. (...)

Die Musik der alten und neuen Linken

Innerhalb der linken Widerstandsbewegung setzte man in den 1920er Jahren große Erwartungen in die vermeintlich revolutionäre Kraft der Musik. In Deutschland erblühte dank des Engagements von Dirigenten wie Hermann Scherchen, Jascha Horenstein und Karl Rankl eine starke Arbeitermusikbewegung. Musikalisch lehnten sich viele Stücke dieser Bewegung an Volksmusiktraditionen an. Sieht man einmal von den kunstvoll-experimentellen Versuchen im Umfeld von Brecht, Weill und Eisler ab, muss man festhalten, dass sich die Musik der Linken in der damaligen Zeit wenig von der Musik der Rechten unterscheidet. Blendet man die Texte aus, kann man in vielen Fällen kaum entscheiden, ob man es mit linkem oder rechtem Musikgut zu tun hat. Zu sehr entsprechen sich die Kompositionen in Melodik, Harmonik, Rhythmik, Interpretation. (...)

Ein wirklich entscheidender Bruch mit der autoritären Musiktradition fand erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts statt. Mit dem Aufkommen der antiautoritären Bewegung und ihrer Musik, der Rockmusik, entwickelte sich eine "neue Ästhetik des Widerstands". Es entstanden neue Fronten, die interessanterweise nicht nur zwischen autoritär rechter und antiautoritär linker Musik verliefen, sondern auch zwischen der antiautoritär linken Musik des Westen und der autoritär linken Musik des Ostens. Den sozialistischen Machthabern war die neue rebellische Musik der Jugend schnell ein Dorn im Auge. (...)

Die Partei versuchte durch Boykott und Einfuhrverbote die entsprechenden Kommunikationskanäle zu schließen und die DDR-Jugendlichen vor dem Eindringen des gemeinen Rockvirus zu beschützen. Ein Versuch, der gründlich misslang. Als man in der Staatsführung merkte, dass der Konsum westlicher Rock- und Beatmusik nicht zu verhindern war, versuchte man es mit einer neuen Strategie. Staatlich ausgebildete Musikerkollektive erhielten den Auftrag, sich um den Aufbau einer "neuen schmissigen Jugendtanzmusik" zu bemühen. Freilich: Meist handelte es sich dabei nur um fade Kopien westlicher Rockmusik, die niemandem wehtaten, aber gerade dadurch auch niemanden so richtig mitrissen.

Wie anders verlief damals die Entwicklung im Westen. Die neu aufkommende Pop- und Rockmusik schrieb einen fulminanten Soundtrack zu den großen Studentenunruhen der 1960er Jahre. Pop-PoetInnen und umherschweifende Haschischrebellen gaben den ehemals arg steifen politischen Diskursen der Linken eine völlig neue Note. Es formierte sich eine neue, antiautoritäre, hedonistische Linke, eine Linke, die mit dem bitteren Ernst kommunistischer Parteiprogramme nichts mehr anzufangen wusste. Selbst ein ansonsten eher unpolitischer Kopf wie Mick Jagger ließ sich damals zu politischen Statements hinreißen. Er trat an die Öffentlichkeit mit markanten Sprüchen wie dem berühmten Satz, dass das Problem mit John Lennon sei, dass dieser nie Marx gelesen habe.

In Deutschland sorgte vor allem die Band Ton Steine Scherben mit programmatischen Titeln wie "Macht kaputt, was euch kaputt macht" und "Keine Macht für niemand" für zeitgeistkonforme, kritische Töne. Allerdings: Auch wenn sich Ton Steine Scherben und vor allem ihr Leadsänger Rio Reiser längere Zeit auf dem Markt behaupten konnten - die wilden Zeiten der Revolte waren bald vorbei. Die revolutionären Blütenträume einer ganzen Musikergeneration zerschellten an der ganz und gar nicht revolutionär anmutenden Realität. Zahlreiche MusikerInnen zogen sich aus der politischen Sphäre gänzlich zurück und produzierten von nun an eine Musik, die keinen anderen Anpruch mehr hatte, als "gute Musik" zu sein. Es war die große Zeit des "Artrock". So genannte "Supergroups" wie Yes, Emerson, Lake & Palmer und Genesis verknüpften Rock- und Jazzelemente mehr oder weniger geschickt mit Partikeln klassischer Bildungsmusik. Die Revolte gegen diese Form von "Bildungsrock" war vorprogrammiert und sie erschien in Gestalt des Punks, der das Niveau der Musik wieder auf ein Minimum reduzierte, der statt kunstvoller Metaphern einfache rebellische Botschaften in den Vordergrund stellte. Freilich: Auch die subversive Kraft des Punk war zeitlich sehr begrenzt. Es dauerte nicht lange und auch der Punk verkam zu einer bloßen, hohlen Modeattitüde.

Ungefähr zu dieser Zeit wurde immer mehr MusikerInnen und MusikjournalistInnen bewusst, dass Popmusik kaum die Kraft hatte, die Verhältnisse wirklich zum Tanzen zu bringen. Im Gegenteil. Man musste anerkennen, dass die Musik nach der Vorgabe der Verhältnisse tanzte. Ja, selbst die schärfste politische Aussage geriet unter den Maßstäben der Musikindustrie zur leicht konsumierbaren Ware, wurde - wie mancher Rockintellektuelle im resignativen, Adornoschen Sprachduktus feststellte - zu einer "fetischisierten, affirmativen Stütze der etablierten Ordnung".

Der überwiegenden Zahl der MusikerInnen war es ziemlich egal, dass der wahre Charakter ihrer musikalischen Produktion zunehmend als Waren-Charakter begriffen werden musste. Für sie war Musik ohnehin nicht viel mehr als eine Kombination von Fun und Geschäft. Doch es gab auch KünstlerInnen, die ihre Musik als Botschaft verstanden, die sich mit der kommerziellen Entschärfung ihrer künstlerischen Projekte nicht abfinden wollten. Hierzu gehörten nicht nur Independent-KünstlerInnen, sondern mitunter echte Megastars wie der ehemalige Kopf von Pink Floyd, Roger Waters.

Waters, der für einige der meist verkauften Alben der Musikgeschichte verantwortlich zeichnet (u.a. Dark Side of the Moon, Wish you were here und The Wall), wurde wohl recht früh bewusst, dass die sozialistisch-humanistischen Botschaften seiner Songs im Kontext des industriellen Rockbusiness radikal entschärft werden mussten. Bereits das Album Wish you were here war eine bitterböse Abrechnung mit der Musikindustrie. Im Laufe der Jahre steigerte sich Waters' Aversion gegen das Business. Als The Wall auf die Konzertbühnen der Welt kam, verdeutlichte Waters die für ihn beklemmende Barriere zwischen Künstler und Publikum auf drastische Weise: Während die Musiker ihre Songs spielten, errichteten die Bühnenarbeiter eine riesige Mauer zwischen Band und Fans. Nach der Hälfte des Programms war von der Band nichts mehr zu sehen. Ein gewagtes Konzept, doch die Rechnung ging auf. The Wall wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem der meist verkauften Doppelalben aller Zeiten, alle Shows waren restlos ausverkauft. Trotz dieses immensen Erfolgs war Waters nicht zufrieden. Denn The Wall wurde - trotz seiner magenbitteren Botschaft - auf gleiche Weise konsumiert wie jedes andere Popprodukt. Jugendliche tanzten gut gelaunt in den Discotheken zu "Another Brick in the Wall", ohne sich groß Gedanken über die Botschaft des Songs zu machen.

Waters zog aus dieser Erfahrung wiederum radikale ästhetische Konsequenzen und spitzte seine musikalische Formsprache noch weiter zu. The Final Cut, das letzte Album, das Waters mit Pink Floyd aufnehmen sollte, zählt in dieser Hinsicht zu den kompromisslosesten Werken der Rockmusik. Man kann dem Album vieles unterstellen, leicht konsumierbar ist es nicht. Untertitelt mit der Zeile "a requiem for the post war dream by roger waters" stellt The Final Cut in zwölf düsteren Songs die letzten Gedanken eines imaginären Ichs dar, das in seinem Auto fahrend vom Anblick zweier Sonnen überrascht wird: den letzten Strahlen der untergehenden Sonne im Westen sowie dem Lichtblitz einer Atombombe im Osten. Mit diesem Szenario reagierte Waters auf Maggie Thatchers Falkland-Krieg. Sein politischer Zynismus ging dabei so weit, dass er für die "Verschwender des menschlichen Lebens" (namentlich genannt u.a. Thatcher, Reagan und Breschnew) die "Endlösung" verlangte.

Nach The Final Cut produzierte Waters noch einige Soloalben, die aber nie die Popularität der Pink Floyd-Werke erlangten. Seine Mitmusiker waren kommerziell gewitzter. Sie fanden sich Mitte der 1980er wieder unter dem Markenzeichen Pink Floyd zusammen und plünderten den Schatz des Waters'schen Vermächtnisses hemmungslos aus. Sie ließen zu, dass Volkswagen ein Sondermodell "Golf Pink Floyd" auf den Markt brachte. Auf der Präsentation des neuen Golf-Modells verkündete einer der führenden Volkswagen-Manager, dass Waters' berühmte Kampfansage an das Geldsystem, der Song "Money", sei seit jeher einer seiner Lieblingssongs gewesen seid. Ein vernichtenderes Kompliment hätte der VW-Manager dem libertären Sozialisten Waters kaum machen können ...

Das Beispiel "Waters" zeigt wie kaum ein anderes die Macht und Ohnmacht neulinker Musikproduktion. Seine Songs wurden - solange sie sich verkaufen ließen - mit immensem Aufwand als Popprodukte vermarktet und auch als eben solche konsumiert. Nur die wenigsten HörerInnen verstanden, was Waters mit seinen Stücken eigentlich bezweckte. Die meisten genossen - völlig inhaltsfrei - die Attitüde seiner Kompositionen, solange das irgendwie modisch war. Als sich der Zeitgeist in den 1980ern wandelte, tauschten sie - ohne mit der Wimper zu zucken - die düsteren Floyd-Alben gegen die poppig hochgestylten Plastikprodukte von Duran Duran oder Wham ein.

Die Stones, Ton Steine Scherben oder Pink Floyd haben die Welt eine Zeit lang durchaus im neulinken Sinne verändert - und zwar, weil es ihnen gelang, den Geist ihrer Zeit in musikalische Formen zu fassen. Durch ihre Musik erreichte der Geist der Rebellion auch die Herzen jener Menschen, die in der tiefsten Provinz lebten. So konnten sich auch der Seppl aus Niederbayern oder der Hans-Otto aus Ostfriesland ein paar Wochen lang als Straßenkämpfer fühlen. Allerdings: Das Motivierungspotenzial neulinker Musikproduktion war nur so lange vorhanden, solange es vom Zeitgeist getragen wurde. Als sich die Zeiten änderten, änderte sich auch die Musik. In den 1980er Jahren war der politische Motivierungsaspekt aus dem musikalischen Mainstream fast vollständig verschwunden. (...)

Musik und Subkultur

Musik hat in der Entwicklung und Etablierung von Subkulturen stets eine große Rolle gespielt. Dies gilt für die Hippies wie für die Punks, die Waver, die Rocker, die Technokids, die HipHopper wie auch für die Skinheads. Jede dieser Gruppen hatte ihre eigene Musik, eigene Drogen, eigene Modestile, Werte und Normen. Unter SubkulturforscherInnen ist allerdings strittig, ob Subkulturen heute noch als solche existieren. Gegenüber früheren Zeiten, in denen sich die verschiedenen Szenen scharf voneinander abgrenzten, ist heute eine starke Stildurchmischung innerhalb der Jugendkulturen festzustellen. Heutige Jugendliche konsumieren gleichzeitig Musik- und Modestile unterschiedlichster Richtungen. Die scharfen jugendkulturellen Auseinandersetzungen, z.B. zwischen Mods und Teds, Punkern und Poppern, gehören - wie es scheint - der Vergangenheit an.

Eine Ausnahme bilden hier selbstverständlich die politischen Subkulturen. Der Kampf der rechten Skinheads, sog. Boneheads, mit linken "Zecken" bzw. der von "Antifas" mit "Glatzen" hat eher an Bedeutung gewonnen. Musiksoziologisch betrachtet können allerdings nur die rechten Skinheads als eine wirkliche Subkultur aufgefasst werden, denn sie konsumieren in der Tat eine Musik, die im musikalischen Mainstream nicht zu finden ist. Linke Autonome hingegen bedienen sich unterschiedlichster Musikstile, von HipHop bis Punk, von Heavy Metal über Ethno-Pop bis Techno. Zwar gibt es bestimmte Bands, die sich auf Grund linker politischer Correctness besonders gut in ihren Kreisen verkaufen lassen (beispielsweise Rage against the Machine, Chumbawamba oder New Model Army), allerdings sind diese Bands zum einen stilistisch sehr unterschiedlich, zum anderen werden sie nicht nur von der linken Subkultur, sondern auch von der breiten, politisch indifferenten Masse konsumiert.

Eben deshalb kann Musik im linken Spektrum auch zu keiner Bindung an eine bestimmte Subkultur führen. Selbst wenn sich Bands wie Rage against the Machine politisch eindeutig positionieren mit ihren millionenfach verkauften Alben haben sie nicht nur den autonomen Steinewerfer aus Berlin-Kreuzberg erreicht, sondern auch den Jungbanker aus Frankfurt und die Junge-Union-Anhängerin aus Stuttgart. <M%-1>Die radikale, anarchistische Botschaft wird von der Mehrzahl der KonsumentInnen überhört. Nur so konnte eine Nummer wie "Bombtrack" zu einem viel gespielten Hit in den Discotheken werden. Der Song erzählt von den militanten Gedanken des Verfassers, der sich vorstellt, die Mächtigen und ihre Güter mit dem hitzigen Beat seines Liedes anzünden zu können. Der Refrain lautet: "Gutsherren und Machthuren, die ihr meine Leute immer wieder angegriffen habt ... brennen, brennen, ja brennen werdet ihr!" Die politische Botschaft dieses millionenfach aufgelegten Songs wurde von kaum jemand bewusst wahrgenommen. Deshalb konnte der Erfolg von Rage against the Machine - trotz der klaren Aussage zur Legitimation linker Gegengewalt - auch nicht zu einer Anbindung an die linke Szene führen. Diese besaß schlicht und ergreifend nicht die Exklusivrechte für den Konsum dieser Musik.

In der rechten Szene verhält sich die Sache nun vollkommen anders. Die neonazistische Skinheadszene verfügt in der Tat über eine exklusive, eigenständige Musikkultur. Diese knüpft zwar an Musiktraditionen außerhalb der Szene an (z.B. an den Punk), kann aber auf Grund der nationalistischen und rassistischen Textinhalte nur innerhalb des rechten Milieus konsumiert werden. Dies führt dazu, dass Musik innerhalb der rechten Skinheadszene sehr wirksam als Bindemittel nach innen und Abgrenzungsmittel nach außen wirken kann. Rechte Skinhead-Bands transportieren die gruppeninternen Werte und Normen für viele "rechte Kameraden" klarer und vor allem unterhaltsamer als jeder national gesinnte Politiker. Durch ihren aggressiven Sound können sie in Einzelfällen durchaus auch die Gewaltbereitschaft ankurbeln. Allerdings darf man sich diesen Zusammenhang nicht als einfaches Ursache-Wirkungs-Verhältnis vorstellen. Damit ein Bonehead wirklich zuschlägt, bedarf es mehr als ein paar hingerotzter Gitarrenakkorde und national gesinnter Gesangsversuche.

Dennoch sollte die Bedeutung der Musik für die rechte Skinheadszene nicht unterschätzt werden. Sie ist unwidersprochen eines der zentralen Kommunikationsmittel innerhalb der Szene. Ihre Bedeutung allerdings schöpft sie weniger aus sich selbst heraus, als aus dem geheimnisvollen Aroma des Verbotenen, das sie umgibt. Während die Musikkultur der Linken den harten Vermarktungsprinzipien der Musikindustrie unterworfen ist, wird die Musik der neonazistischen Skins vor der Marktnivellierung gewissermaßen durch Verbot geschützt. Das mag paradox klingen, trifft aber den Punkt: Das Verbot bzw. die damit einhergehende, insbesondere für Jugendliche reizvolle "Lust am Verbotenen" steigert die Nachfrage nach rechter Musik. Eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften feiert so mancher subkulturelle Musiker wie eine Nominierung zum Grammy.

Die durch gesellschaftliche und staatliche Ächtung errungene Sonderstellung der rechten Skinhead-Musik ist dabei Stärke und Schwäche zugleich: Stärke, insofern die Musik tatsächlich als subkulturelles Rekrutierungs- und Kommunikationsmittel benutzt werden kann; Schwäche, insofern diese Musik nur wenige Interessenten erreichen kann. Seit einiger Zeit bemühen sich rechtsextreme Musikproduzenten vermehrt, das Spektrum des rechten musikalischen Ausdrucks zu erweitern. (Zu nennen sind hier die Produktionen des rechtsextremen Liedermachers Frank Rennicke und die sich zuweilen ironisch gebenden Umdichtungen von altbekannten Stimmungsliedern durch die rechte Skinheadband Zillertaler Türkenjäger.)

Eine weitergehende Kommerzialisierung rechten Musikguts würde aber mit Sicherheit eine empfindliche Schwächung der Bindekraft der Musik innerhalb der rechten Subkultur zur Folge haben. Die notwendige subkulturelle Exklusivität wäre nicht mehr gewährleistet. Außerdem muss man berücksichtigen, dass politische Inhalte nicht in beliebige musikalische Formen gepackt werden können. Es wäre beispielsweise unsinnig, den "stolzen weißen Widerstand" in einem marktgängigen Teeniepop-Sound zu verkünden. Eine arisch-militante Take That- oder No Angels-Variante wird es also nicht geben. Die realpolitische Dimension des Textes und die tiefenpolitische Botschaft der Musik wären schlichtweg nicht kompatibel. Je kommerzieller ein musikalisches Konzept wird, desto weiter muss es sich von nationalen Inhalten und entsprechenden tiefenpolitischen Konnotationen befreien.

Da die linke Subkultur über keine exklusiven musikalischen Formen verfügt, wird sich das ordnungsstaatliche Engagement vornehmlich auf die Subkultur der rechtsextremen Skins konzentrieren. Allerdings ist es fraglich, ob ein staatliches Eingreifen im Bereich der rechten Skin-Musik wirklich von Vorteil ist. Denn jedes Verbot einer CD, jede Hausdurchsuchung bei einem Oi-Musik-Vertrieb stärkt den Zusammenhalt der Szene, schärft die subkulturelle Unterscheidung von Insidern und Outsidern. Insofern ist es vielleicht lohnend, die bisherige (Verbots-) Praxis zu überdenken. (...)

Sollte sich die neonazistische Skinheadszene in Zukunft zusätzlich ausbreiten können, so wird das nicht vorrangig auf ihre originäre musikalische Subkultur zurückzuführen sein, sondern auf das Unvermögen der Politik, die zentralen gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Sollte die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgehen und sich das Problem der Arbeitslosigkeit weiter zuspitzen, werden Jugendliche zunehmend anfällig werden für rechtsextremes Gedankengut. Nur dann werden sie auch für die Musik und den Lebensstil der rechten Skinheads empfänglich sein. Wie gesagt: Musik kann die Welt nur verändern, wenn die Welt die Musik verändert.

Michael Schmidt-Salomon (www.schmidt-salomon.de)



Eine ungekürzte Fassung dieses Artikels ist erschienen in Marvin Chlada/Gerd Dembowski/Deniz Ünlü: "Alles Pop? Kapitalismus und Subversion", Alibri-Verlag, 356 Seiten, 19 Euro. Wir bedanken uns für die Genehmigung zum Nachdruck.