Buchbesprechung - Rechtsrock - Bestandsaufnahme und Gegenstrategien
Enough is enough Nr. 18
: Es gibt Bücher, die Neuland erschließen, die einem den Blick auf bisher Unbekanntes eröffnen. Und es gibt Bücher, die bieten einen abschließenden Überblick und ermöglichen somit eine Bewertung. RechtsRock gehört sicherlich zu der zweiten Kategorie.

Warum sollten sich Menschen, soweit sie nicht in der lokalen Antifa organisiert sind oder sich als Lehrer, Sozialarbeiter oder Staatsanwälte mit Skinheads auseinanderzusetzen zu haben ein Buch lesen, in dem auf mehr als fünfhundert Seiten das Thema RechtsRock von allen Seiten erläutert und zerpflückt wird? Wer den RechtsRock als schlecht gespielte Musik politischer Wirrköpfe abtut, die gegebenenfalls kriminalisiert werden müssen, der kann sich die Zeit, die Mühe und das Geld sparen. Wer aber Interesse daran hat zu erfahren, in welche Richtung sich Teile unserer Gesellschaft entwickeln, für den ist die Lektüre dieses Buches unverzichtbar. Die Shell-Studie hat festgestellt, dass der größte Teil der deutschen Jugend die in dieser Gesellschaft verwirklichten Werte akzeptiert und versucht diese für sich persönlich umzusetzen; junge Frauen sind heute deutlich selbstsicherer, junge Männer kompensieren die hierdurch bei ihnen entstehende Unsicherheit in zunehmendem Maße durch die aggressive Abwehr vermeintlich Schwächerer. Parallel hierzu hat sich in den letzten 15 Jahren in Deutschland eine Musikszene entwickelt, die stark von extrem rechter Ideologie geprägt ist. Diese Szene hat längst den Kern der militanten neofaschistischen Skinhead-Szene verlassen und Einfluss auf einen großen Teil der Jugendlichen gewonnen. Naturgemäß verflachen bei einer solchen Verbreiterung die ursprünglichen Erscheinungsformen und Inhalte innerhalb der Modeentwicklung, bleiben jedoch rudimentär erhalten. Nicht nur modische Details, die ursprünglich der Skinhead-Szene entsprangen finden sich heute daher als feste Bestandteile der Jugendmode, auch inhaltlich bestehen heute kaum klare Abgrenzungen der mehrheitlichen Jugendlichen, gegenüber extrem rechten Positionen. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass trotz subkultureller Erscheinungsformen der RechtsRock-Szene, wie beispielsweise der Skinhead- oder Darkwave-Mode, diese den zentralen Werten der Gesellschaft nicht entgegenläuft. Statt dessen werden diese Werte aufgenommen und auf die Spitze getrieben.

Im Gegensatz zur Punk-Szene oder den Autonomen löst diese Bewegung daher auf dieser Ebene keine Abwehrreaktion aus. Abgelehnt wird höchstens die subkulturelle Erscheinungsform. Wenn die »Jungs« daher um im Bild zu bleiben, mit Texten oder Verhalten »übers Ziel hinausschießen« bleiben sie dennoch Teil der Gesellschaft und ernten dementsprechen das Verständnis ihrer Umgebung. Nur auf dieser Basis lässt sich die überwiegende Nichtreaktion der Gesellschaft auf rassistische, völkische und antisemitische »Exzesse« erklären (dass der kurze »Antifa-Sommer« der Republik hier keine Kehrtwende eingeleitet hat ist deutlich zu erkennen).

Darüber hinaus führt die weitere Verbreiterung des RechtsRock auch dazu, dass die subkulturellen Elemente, die zur Entwicklung der Szene absolut notwendig waren, nun mehr und mehr an Bedeutung verlieren. So lange die Szene sehr klein und isoliert war, wurden das grelle Outfit und die laute Provokation als Identifikationsmittel benötigt. Aus der Abgrenzung entstanden die engen Freundeskreise, das Gefühl etwas besonderes zu sein. Mit der Verbreitung der Szene zur (Jugend-)Bewegung ist diese Abgrenzung nicht mehr notwendig, nein zum Teil sogar unerwünscht. Uns so lauschen nun auch Jugendliche, die nur durch winzige Accessoires ihre Zugehörigkeit zur Szene zur Schau stellen genauso zu Landser-Songs und Hetzballaden während dies vor einigen Jahren noch ausschließlich »Glatzen« vorbehalten war. Die selbe Tendenz führt dazu, dass auf dem letztjährigen Heß-Marsch in Wunsiedel nunmehr ein großer Teil der anwesenden Jugendlichen vom ersten äußerlichen Erscheinungsbild her überhaupt nicht als Nazis zu erkennen waren, ihre Gesinnung aber um so deutlicher durch Entsprechende T-Shirt-Aufdrucke wie »Masterrace«, »Walküre« oder »Braune Musik Fraktion« zum Ausdruck brachten. Und so gibt die Entwicklung der RechtsRock-Szene Hinweise auf die Entwicklung der bundesdeutschen Gesellschaft: während die rassistische, völkisch-nazistische Ideologie dieser Musik vor einigen Jahren noch unter dem Deckmantel einer Subkultur auftreten musste, und sich so, getarnt als Jugendprotest kleine Freiräume erkämpfte, ist sie mittlerweile zum modischschicken Accessoires derjenigen Jugendlichen geworden, die die Werte dieser Gesellschaft vollständig verinnerlicht haben. Als wir vor zwei Jahren zusammen mit dem Antifaschistischen Infoblatt und dem internationalen antifaschistischen Magazin Searchlight das Buchprojekt White Noise vorlegten, konnten wir in weiten Teilen eine klare Struktur der deutschen und internationalen RechtsRock-Szene darstellen. Insbesondere die personellen Verbindungen aber auch die gesellschaftspolitische Bedeutung des Phänomens RechtsRock vermochten wir klar einzuordnen und zu belegen. Wir stellten fest, dass es sich beim RechtsRock um einen Bestandteil der Erlebniswelt eines sich von einer rassistischen extrem rechten Szene zu einer Bewegung veränderten Teils der Gesellschaft handelt.

In anderen Bereichen, wie der genauen zahlenmäßigen Festlegung der RechtsRock-Produktionen, Auflagen, der Bedeutung einzelner Vertriebswege etc. blieben wir damals zwangsläufig vage und ungenau – die Recherche war noch nicht so weit, als dass wir hier klare Aussagen hätten treffen können. Auch mussten wir bestimmte Fragestellungen ausblenden. Zu einer ideologiekritische Bewertung der Texte der RechtsRock-Produktionen, aber auch für eine hinreichende Bewertung der Darkwave- und Black-Metal-Szene fehlte uns zu diesem Zeitpunkt sowohl die Materialdichte als auch die Kompetenz. Mit dem nun vorgelegten Buch werden diese Lücken geschlossen und die Kernaussagen weiterentwickelt. Neben einer Bestandsaufnahme der bestehenden RechtsRock-Szene werden Überlegungen für Gegenstrategien dargestellt und diskutiert und mit einem umfangreichen Verzeichnis- und Registerteil sowohl die Recherchebedürfnisse von Spezialisten befriedigt als auch Grundinformationen für diejenigen an die Hand gegeben, die sich hilflos einer ihnen völlig unbekannten Flut von Sprach- und Kleidungscodes ausgesetzt sehen, sobald sie in Kontakt mit den subkulturell erscheinenden Elementen der RechtsRock-Szene kommen.

Das Buch gibt zunächst einen nahezu vollständigen Überblick über die bundesdeutsche, und soweit in Bezug zu dieser stehend, die internationale RechtsRock-Szene. In den Jahren 1984 bis 1989 erschienen pro Jahr durchschnittlich 4 LPs bzw. CDs auf denen überwiegend deutsche RechtsRock-Bands vertreten waren. Von 1990 bis 1998 steigerte sich diese Zahl auf jährlich 140 Veröffentlichungen und fiel bis 2001 wieder auf 77 Veröffentlichungen ab. Die Höchstzeit der Tonträgerveröffentlichungen fiel also mit den Verboten militanter extremer rechter Organisationen wie der Nationalen Liste (HH), der Nationalistische Front, der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und der Wiking Jugend und der darauf folgenden dezentralen Neuorganisation zusammen. Durch die staatliche Repression, die sich ausschließlich auf diese Organisationen richtete, wurde der Aufbau dieser dezentralen Strukturen begünstigt. Auch die staatliche Herangehensweise, die Auseinandersetzung mit dem Organisierten Neofaschismus vollständig zu entpolitisieren, begünstigte diese Entwicklung.

Im weiteren beschäftigt sich das Buch mit den Strukturelementen der RechtsRock-Bewegung. Ausführlich werden Fanzines, also mehr oder weniger professionell produzierte »Fan-Magazine« – zum Teil lediglich handkopiert, zum Teil aufwendig produziert mit zigtausender Auflage – Websites, Musikproduktionen und -vertriebe vor- und dargestellt. Dabei erfolgt nicht nur eine wertende und darstellende Beschreibung mit Erläuterungen und politischen Analysen im Hauptteil, die von zahlreichen Beispielen, also CD-Covers, Fanzine-Titeln und Fotos illustriert wird. Abgerundet und tatsächlich vervollständigt wird dieser Teil durch den 140 Seiten umfassenden Register- und Verzeichnisteil, der das Buch für alle Interessierten unverzichtbar macht. 78 der gebräuchlichsten Symbole, Slogans bzw. Schlüsselbegriffe – beginnend mit Zahlenkürzeln wie 14 words, 18, 88 bis zum Zahnrad des NS Reichsarbeitsdienstes, das heute beispielsweise bei den Hammerskins häufig in Gebrauch ist – werden ausführlich erläutert und anhand aktueller Verwendungsbeispiele dargestellt. Nach Namen sortiert werden über 500 Bands oder Einzelinerpreten mit Herkunftsort und ggf. Gründungsjahr vorgestellt, die sich entweder selbst als Teil der RechtsRock-Szene bezeichnen oder sich mit geringen Abgrenzung innerhalb dieser Szene bewegen. Die kaum überschaubare RechtsRock-Musikproduktion wird durch eine Kurzdarstellung von 70 Labels (aufgenommen wurden alle deutschen und international bedeutungsvolle Labels auf denen innerhalb der letzten 18 Jahren mehr als zwei CDs produziert wurden) politisch, personell und strukturell übersichtlich dargestellt. Ebenso vollständig werden die über 300 deutschsprachigen RechtsRock-Fanzines aufgelistet. Stand der Auflistung ist der 30.1. 2002, was bei der Dynamik der Szene für zukünftige Analysen zu berücksichtigen sein wird. Aufgrund der Umfassenden Auflistung dürfte trotz dieser Dynamik ein Umfassender Blick gewährleistet sein. Ausführlich dargestellt wird auch die Darkwave- und Black-Metal-Szene, in der extrem rechte Ideologien, überwiegend intellektuell verbrämt, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, vollständig akzeptiert von einer an die Hunderttausende reichende Szene maßgeblichen Einfluss gewonnen haben. Die öffentliche Gleichsetzung von Nazimusik mit Skinhead-Rock dazu, daß im Bereich des Darkwave Tabus praktisch nicht bestehen. So kommentiert das neonazistische Skinhead-Fanzine Der Lokalpatriot kommentiert daher ein Konzert zweier Darkwave-Bands im Jahr 1996 wie folgt: »Sehr nett waren die Fahnen anzusehen, die auf der Bühne gehisst bzw. über das Schlagzeug gelegt wurden, so was würde zur Erstürmung von jedem Blood and Honour-Konzert führen, ungerecht das.«