Skingirls, Reenies, Mädelschar und nationale Weiberaktion
Auch rechte Frauen pochen auf Frauenrechte / Interview mit der Soziologin Renate Bitzan
von Annette Rollmann
Quelle: Das Parlament

? -Wie hoch ist der Anteil rechtsextremer Frauen, und in welchen Gruppierungen sind sie?

Bitzan: Der Anteil der Frauen in rechten Kreisen ist geringer als der der Männer. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass der Rechtsextremismus traditionelle und aktuelle Männlichkeitsbilder deutlicher bedient als Frauenbilder. Schätzungsweise 20 bis 30 Prozent der Mitglieder in rechtsextremen Organisationen und Parteien sind Frauen. In den Führungsetagen der Organisationen finden sich im Schnitt rund fünf Prozent Frauen. Bei den Wahlen hingegen zeigt sich ein anderes Bild: Ein Drittel der Wähler und Wählerinnen rechtsextremistischer Parteien sind Frauen. Auf der Ebene der Einstellungen schließlich gibt es kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Grundsätzlich findet man fast überall da, wo rechte Männer sind, auch rechte Frauen.

-Steigt der Anteil der rechten Frauen?

Bitzan: Nach eigenen Äußerungen von Organisationsmitgliedern und einigen Leuten, die schon lange die Szene beobachten: ja. Bei den Aufmärschen in den vergangenen Jahren war das auch zu bemerken. In den letzten Monaten gibt es darüber hinaus einige Neugründungen von Frauenorganisationen.

-Aus welchen Elternhäusern kommen die Frauen?

Bitzan: Speziell bezogen auf Frauen gibt es dazu keine repräsentativen Untersuchungen. Insgesamt kann man aber sagen, dass sich die Eltern ökonomisch nicht unbedingt schlechter stehen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Oft gibt es zu Hause aber eine emotionale Schieflage: Meist besteht zwischen Eltern und Kindern kein Vertrauensverhältnis, die Kinder haben zu wenig Zuwendung erfahren, und Konflikte sind unverarbeitet geblieben. Aber das erklärt nicht alles. ? -In welchen Gruppierungen sind rechte Frauen aktiv?

Bitzan: In fast allen. Sie füllen unterschiedlichste Funktionen aus. Das Bild von der passiven Frau, die nur wegen einer Liebschaft oder Beziehung mitmacht, ist ein Klischee, das allein nicht reicht. Die Rollen, die Frauen in diesem Umfeld einnehmen, sind sehr unterschiedlich. Neben der passiven Mitläuferin gibt es viele Frauen, die sich aktiv um Gründung und Aufrechterhaltung von Organisationen kümmern, Kontakte knüpfen und pflegen und kleinere oder größere Posten übernehmen. Es gibt Frauen, die sich mit eigenen Transparenten an Demonstrationen beteiligen oder sich beim "Braunen Kreuz" engagieren, einem "nationalen" Sanitätsdienst. Es gibt aber auch Frauen, die Konzerte organisieren, Szene-Kneipen betreiben als Treffpunkte für Neonazis und ihr Umfeld oder Homepages erstellen. Im "Storchennest" zum Beispiel, so der Name einer solchen Homepage, propagiert Birka Vibeke seitenweise Brauchtumspflege, und auch der SFD, der "Skingirl Freundeskreis Deutschland", ist mit etlichen Beiträgen auf der eigenen Seite im Netz vertreten. ? -Wie fest sind die organisatorischen Strukturen?

Bitzan: Der SFD hat sich mittlerweile als recht beständiger Zusammenschluss von inzwischen etwa 50 jungen rechtsextremen Frauen erwiesen: Er besteht seit zehn Jahren. Neuere Versuche, Frauen in separaten Gruppen zu organisieren, sind die "Nationale Weiberaktionsfront" und der "Bund heimattreuer Frauen" im Ruhrgebiet, der "Freie Mädelbund" mit Adresse in Bad Gandersheim, der eher den norddeutschen so genannten Frei- en Kameradschaften nahe zu stehen scheint, sowie die "Mädelschar Deutschland". Im Selbstverständnis dieser Gruppen, die allesamt für die "nationale Sache" und die "arische Rasse" kämpfen, verknüpft sich meist ein selbstbewusstes Eigenständigkeitsdenken der Frauen mit der Haltung, Frauen käme bei der "Arterhaltung" und der Pflege "germanischer Kultur" eine besondere Bedeutung und Verantwortung zu. Die Aktivitäten rechter Frauen umfassen aber noch mehr: Es gibt Autorinnen in rechtsextremen Zeitschriften und Rednerinnen auf Aufmärschen. In Thüringen wird wegen eines Sprengstoffanschlags ein Trio gesucht, darunter ist eine Frau. Frauen tauchen mittlerweile auch in der gewalttätigen Szene auf und beteiligen sich zum Teil an Überfällen.

-Widerspricht das nicht dem Rollenbild der Frauen?

Bitzan: Ja, zum Teil schon. Das ist sicher auch der Grund dafür, dass die große Mehrheit der Gewalttäter nach wie vor Männer sind. Aber auch in der rechten Szene gibt es verschiedene Rollenbilder. Die sorgende Mutter oder das brauchtumspflegende Mädel als alleiniges Leitbild reichen nicht aus, um das Spektrum zu beschreiben. Und selbst wenn diese Bilder in der Propaganda hervorgehoben werden, muss sich das mit der realen Lebensgestaltung der Frauen nicht decken. Unter den Skinheadmädchen oder Reenies gibt es auch welche, die sich stark an "männlich" geprägten Werten wie Mut, Härte und Draufgängertum orientieren. Diese jungen Frauen nehmen für sich selber "männliche" Verhaltensweisen in Anspruch und leben diese auch. Oder sie begleiten ihre männlichen Kameraden bei Aktionen und feuern sie aktiv an. Andere Reenies kritisieren im gleichen Zuge auch die sexistischen Strukturen in der Szene, das Mackertum, Bevormundungen oder sexuelle Übergriffe durch Männer. ? - Was heißt eigentlich Reenie?

Bitzan: Das ist ein englischer Ausdruck für die weiblichen Skinheads. Die Reenies kennzeichnen sich durch ein bestimmtes Outfit. Sie haben eine spezielle Frisur: In der Mitte des Kopfes sind die Haare ziemlich kurz rasiert, rund herum wachsen Fransen. Das ist der "Kranz". Ansonsten tragen sie entweder Springerstiefel, Jeans und Bomberjacke, oder sie pflegen die Vamp-Variante mit Mini-Rock und zerrissener Netzstrumpfhose. Aber es gibt in der rechten Szene auch viele Frauen, die mit dem subkulturellen Outfit nichts anfangen können und völlig normal aussehen. Außerdem gibt es heimat- oder brauchtumsorientierte Frauen, die sich an biedere Kleidungsweisen mit langen geflochtenen Zöpfen oder Dutt, einem Schultertuch und Halbschuhen anlehnen. Also eher "BDM-Mode".

-Haben die Skin-Girls und Frau en aus der Brauchtumspflege tatsächlich viel miteinander zu tun?

Bitzan: Die Verbindung besteht vor allem über die Ideologie. Das ist vermutlich ähnlich wie im linken Spektrum auch: Es gibt einerseits Animositäten und Konkurrenzen, verschiedene Stile und teilweise unterschiedliche politische Positionen. Und es gibt andererseits immer wieder Punkte, wo man sich zusammentut und gemeinsam aktiv wird. Bei den Demonstrationen gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" sind Frauen ebenso wie Männer aus verschiedenen Gruppen in trauter Gemeinsamkeit zusammen auf die Straße gegangen. Auch Großveranstaltungen, wie die der NPD in Passau mit mehreren tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern verschiedener Spektren, führt sie zusammen.

-Oft beschimpfen sich die Frauen gegenseitig mit herabsetzenden Schimpfwörtern. Sie ordnen sich den Männern nicht nur unter, sondern erniedrigen sich selbst. Wie ist das zu deuten?

Bitzan: Bei einigen Frauen ist die Selbststigmatisierung enorm. Manchmal dienen die Abwertungen aber auch zur Abgrenzung gegenüber Mädchen, die als unpolitische und "moralisch labile" Mitläuferinnen gesehen werden, die mit ihrem Verhalten ein schlechtes Image verbreiten würden. In den organisierten Strukturen wie etwa beim SFD gibt es Versuche, sich davon zu distanzieren. Viele wollen das Image der dummen Frau, die auf Konzerten nur daran interessiert ist, Kontakte zu Männern aufzunehmen, loswerden und das Bild der "ehrenwerten" Frau stärken. Sie sagen, dass es ihnen um politischen Kampf und die Verbreitung eines eher "tugendhaften" Bildes nach innen und außen ginge. Das über krasse Abwertungen gegenüber anderen Frauen durchzusetzen, passt dann wiederum zu einem Menschenbild, das geübt darin ist, in "wert" und "unwert" zu unterscheiden. ? -Wenn man an die linke Szene der 70er- und 80er-Jahre denkt, war sie stark von Intellektuellen bestimmt und getragen. Wie ist das in der rechten Szene?

Bitzan: Der überwiegende Teil der jungen Frauen in der rechten Szene hat Haupt- oder Realschulabschluss oder ist in der Berufsausbildung. Aber gerade in jüngerer Zeit kommen mehr Gymnasiastinnen und Studentinnen hinzu. Neulich war in einem Text von einer Frau zu lesen, dass sie gerade anfängt, Sozialpädagogik zu studieren, und dass sie gerade dort, in diesem traditionell eher linken Umfeld, für ihre nationalistischen Ideen in "gebildeter" Weise werben wolle. Diese neue Generation, die jetzt an die Universitäten kommt, hält mit ihren Meinungen nicht hinter dem Berg, aber die Mitstudierenden sind oftmals unsicher, wie sie damit umgehen sollen. Und so bleibt eine eindeutige Abgrenzung aus. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Diskussionen an den Unis, fürchte ich, sondern auch auf die Berufsfelder, in denen die Frauen später arbeiten, zum Beispiel als Sozialarbeiterinnen oder in Planung und Verwaltung. Daneben gibt es jedoch schon lange auch intellektuelle Frauen, die sich als Autorinnen und Referentinnen im nationalistischen Spektrum betätigen. Hier sind die Übergänge zwischen Rechtsextremismus, der "Neuen Rechten" und dem Konservatismus, aber auch bis in die SPD und die Grünen hinein manchmal fließend.

-Unterscheidet sich der Alltag rechter Frauen von dem anderer Frauen in der Gesellschaft?

Bitzan: Das kommt sehr darauf an. Völkische Frauen, die sich die Brauchtumspflege zum Lebensinhalt gemacht haben, leben schon speziell. Zunächst ist die Familie für diese Frauen selbstverständlich sehr wichtig und ideologisch hoch aufgeladen. Außerdem nehmen Feiertage einen hohen Stellenwert ein. Es werden vor allem vorchristliche Feiertage, so genannte germanische oder heidnische Feiertage, wie etwa die Sonnenwendfeiern, begangen. Oder Ostern, Weihnachten und so weiter in ihrer vorchristlichen Bedeutung. Dazu gehören bestimmte Basteleien und Riten, die zelebriert werden können. Zum Beispiel, dass die Mädchen am Ostermorgen an einer Quelle Wasser schöpfen und es schweigend nach Hause tragen. Bei Festen werden Volkstänze getanzt und Met getrunken. Es werden Mythen, zum Beispiel über die Entstehung der Menschheit, an die Kinder weitergegeben. Was die Religion angeht, gibt es im rechten Spektrum zwei Lager: Es gibt welche, die sich der christlichen Religion verpflichtet fühlen. Aber es gibt auch viele, die das Christentum ablehnen, wegen seiner Entstehung aus dem Judentum. Hier zeigt sich die wichtige Rolle, die der Antisemitismus in ihrem Weltbild nach wie vor spielt.

-Was ist für junge Frauen an rechten Kreisen attraktiv? Wie kommen junge Frauen in diese Kreise hinein? Bitzan: Oft über einen Mann, in den sie sich verlieben, oder - und das wird oft übersehen - über eine gute Freundin. Durch die Eltern geschieht das in Westdeutschland eher selten. Am ehesten dann, wenn diese ihre Kinder bewusst in rechtsextreme Kinder- und Jugendorganisationen stecken, so dass sie von Kind an rundum so erzogen werden. Attraktiv an rechten Kreisen kann für Frauen die eigene Aufwertung als weiße deutsche Frau sein. Deutsche Frauen sind in rassistischen Denkstrukturen schließlich immer noch mehr wert als "Ausländer" oder "Neger". Außerdem wird eine solche verschworene Gemeinschaft als Schutzgemeinschaft empfunden. Die Gruppe übernimmt eine vermeintliche Beschützerfunktion gegen die Unbilden des modernen Lebens. Es ist sozusagen eine soziale Heimatsuche. Zudem sind Frauen in den Organisationen gerne gesehen. Oft werden sie geradezu hofiert. Es wertet die Parteien und Organisationen auf, wenn dort auch Frauen sind, die gerade nicht das Klischee vom grölenden Nazi bedienen. Außerdem gibt es in den Parteien jede Menge Posten und Pöstchen. Da kann man schneller Organisationskarriere machen als z. B. in der SPD. Und wer einen Posten hat, fühlt sich wichtig und ernst genommen. ? -Über rechte Frauen wird in der Öffentlichkeit kaum gesprochen, auch in der Forschung gibt es wenige Untersuchungen. Warum?

Bitzan: Es gibt seit dem Beginn der Neunzigerjahre ein paar Wissenschaftlerinnen und auch ein paar linke Frauengruppen, die sich damit beschäftigen. Das wird allerdings nicht besonders breit rezipiert. Es gibt sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft Irritationen beim Thema "Rechte Frauen". Man tut sich mit dem Bild von rechten, zum Teil durchaus subtil und schlau argumentierenden Frauen schwerer. Das Klischee vom gewalttätigen männlichen Jugendlichen ist hingegen hübsch einfach. Davon kann man sich leichter abgrenzen.


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