100 Jahre GEMA

Wem gehört die Musik?

Bis zur Verbreitung des Buchdruckes kontrollierten in Europa Fürsten und Kirchen die schriftliche Verbreitung von Musikkompositionen und die der dichtenden Kunst. Urheberrechtliche Fragen waren völlig unbekannt. Mündlich überlieferte Kunst war fürs Volk und kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dem fahrenden Sänger einen Teil seiner Einnahmen abzunehmen. Mit dem Beginn der Unterordnung der Kunstproduktion unter die Warenwelt und damit die Massenproduktion von Kunst änderte sich die Situation radikal.

Zwei Phänomene begleiten seitdem die Diskussion um die Verwertung von Musik und anderen Kunstproduktionen. Die Frage, wer ist der/die UrheberIn zum Beispiel des betreffenden Musikstückes. Urheberrechtliche Persönlichkeitsrechte wurden erstmals in der Französischen Revolution thematisiert. Älter ist schon die Frage: wer darf was produzieren. Im frühen 18. Jahrhundert sicherten sich englische Buchdruckergilden diese Rechte in Form von Privilegien. Auf der anderen Seite war es eine Errungenschaft der bürgerlichen Revolutionen, den Bürgern (und später auch den Bürgerinnen) den Zugang zur Kunst nicht zu verschließen. Eine Kunst, die nicht verkauft werden kann, ist für den Kapitalismus unangenehm wie Fußpilz. In der allgemeinen Deklaration der Menschenrechte vom 25. April 1945 heißt es daher im Artikel 27: "[1] Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben. [2] Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der moralischen und materiellen Interessen, die sich aus jeder wissenschaftlichen, literarischen oder künstlerischen Produktion ergeben, deren Urheber er ist."

Solange die Wiedergabe musikalischer Werke über den Verkauf von Notenblättern gesteuert werden konnte, gab es kein Problem. Erst die Erfindung der Radiotechnik und der Tonaufzeichnung und -Wiedergabe schaffte die Auseinandersetzung darum, wie die KünstlerInnen an den Gewinnen, die aus der Verbreitung ihres "gedanklichen Eigentums" erzielt wurden,beteiligt werden. Es ist daher kein Wunder, dass ein Komponist, nämlich Richard Strauss, einer der Gründungsväter der "deutschen Anstalt zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte" ist, die im Januar 1903 in Berlin gegründet wurde.

Aufgabe ist es bis heute, die Nutzungsrechte für die Mitglieder wahrzunehmen. Wenn immer ein Musikstück zum Konsum gebracht wird, versucht die GEMA sich diese Nutzung bezahlen zu lassen, um einen Teil der Einnahmen an die KünstlerInnen weiter zu geben. Solange die Produktion von Tonträgern allein durch Konzerne kontrolliert wurden, Radiostationen weitgehend staatlich und Discotheken marginal waren, drehte sich die Debatte eher um die Höhe der abzuführenden Gebühren und den Anteil, den die MusikerInnen davon bekamen. Dass die GEMA unter Führung konservativer Geister nicht zum Schreck der Phonoindustrie wurde, ist sicherlich ein Fakt.

((......) gelöscht wegen Falschbehauptung des Autors....)

Über 60.000 KomponistInnen, TexterInnen und MusikverlegerInnen lassen heute von der GEMA ihre Nutzungsrechte wahrnehmen. Mit einem jährlichen Ertrag von über 800 Millionen Euro ist die GEMA eine der weltweit bedeutendsten AutorInnengesellschaften. Doch seit den siebziger Jahren sind zunehmend Risse im heilen Gebäude der GEMA in München-Haidhausen zu beobachten.

Die Musikkassette machte die Popmusik auch für diejenigen zugänglich, die sich teures Vinyl nicht leisten konnten. Hinzu kamen in der Bundesrepublik die Jugendzentren, die nicht einsahen, den fetten Musikkonzernen Geld in den Rachen zu werfen. Sie waren es, die zum ersten Mal die GEMA zwangen ihre Geschäftsgebaren zu überdenken. Das heile Bild der GEMA als "Gewerkschaft" der MusikerInnen wurde angekratzt. Die Diskussion ging an der politischen Linken jedoch ganz vorbei. Hatten sich Benjamin und Brecht noch über die Möglichkeit des Radios, Kommunikation zu revolutionieren, gestritten, setzte zu diesem Zeitpunkt höchstens eine Diskussion um Freiräume ein.

Die Steigerung der Produktivität durch die Mikroelektronik führte dazu, dass sowohl in der Konsumtion als auch in der Produktion von Musik Wege gegangen wurden, die die "Wahrnehmung" der Nutzungsrechte durch die GEMA massiv in Frage stellten. Im Bereich der Produktion kam es in den letzten zwanzig Jahren zu einem Preisverfall, den Mad Professor so beschreibt: "Als ich mein Studio in London Anfang der siebziger Jahre einrichtete, kosteten die Geräte, die heute für ein paar hundert Pfund zu haben sind, so viel wie ein ganzes Haus, das heißt, heute müsste man dafür etwa 200.000 Pfund (ca. 400.000 Euro) hinlegen." Das bedeutet, dass die Herstellung z.B. einer CD nur noch den Bruchteil dessen kostet, was vor zwanzig Jahren für die Herstellung einer LP notwendig war. Zudem führen Musikzitate und Sampling das Urheberrecht zunehmend an seine Grenzen. Auf der Seite der Konsumtion sind es der Download und die Brenner, die den Tonträgermarkt erschütterten. Die GEMA reagiert darauf mit Prozessen, wie z.B. gegen HP, den sie gewann und wonach HP jetzt pro verkauftem Brenner einen Teil der Einnahmen an die GEMA abführen muss.

Die GEMA kann sich auf Grund ihres Selbstverständnisses und ihrer tiefen Verankerung im Verwertungssystem mitnichten der Debatte stellen, die eine Verwertung überhaupt in Frage stellt. Doch diese Diskussion ist die Wichtige: Wie ist eine soziale Sicherung von KünstlerInnen unabhängig von der Verwertung ihres Produktes möglich? Schon heute landen bei den Kunstschaffenden kaum mehr als zwei Prozent der rund 30 Milliarden Euro, die jährlich weltweit für Tonträger ausgegeben werden. Dass dieser Prozentsatz bei erfolgreichen Stars höher liegt, sei nur nebenbei erwähnt. Würde die soziale Absicherung über einen anderen Weg, als den der Beteiligung an der Verwertung ihres Produktes gesichert, wäre es für eine Kultur des Gebens und Schenkens leichter Fuß zu fassen. Doch die Frage nach der sozialen Sicherung der UrheberInnen vergessen in der Regel diejenigen, die in der GEMA lediglich ein Hassobjekt sehen und die es sicherlich als als absurd empfänden, wenn Landwirte nichts von dem Geld abbekämen, das im Supermarkt für die Milch bezahlt wird.

Thomas Schroedter

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