Quelle: Arte-TV - Tracks
2004.06.03 -
23.00: tracks - Backstage
- Chile
Santiago de Chile, Hauptstadt des reichsten Landes Südamerikas. Vom
pazifischen Ozean und den Anden eingekesselt, gehört es zu den treuen
Alliierten Amilands, und wenn man den Zahlen seines wirtschaftlichen Wachstums
glauben schenkt, müssen seine Einwohner geradezu im Wohlstand schwimmen. Doch
die Realität in diesem Wirtschaftsmodell, das die Diktatur von General Augusto
Pinochet als liberal anpries, sieht ganz anders aus.
Ein Drittel der knapp 16 Millionen Chilenen lebt unter
der Armutsgrenze. Von der Gesellschaft ausgegrenzt, hausen sie in den
Poblaciones. La Legua ist eines der vielen Slums am Stadtrand der Metropole.
Nicht die Slogans von Gangs zieren hier die Wände, sondern Graffitis zu Ehren
der Helden der Revolution und Fotos von Märtyrern der Diktatur. La Legua war
unter Pinochet das Zentrum des Widerstands in Santiago. Der erste bewaffnete
Aufstand fand gleich am 11 September 1973, am Tag des Militär-Putschs statt.
Am 11. September 1973 stürzt General Pinochet den per
Volksentscheid gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Hinter
dem Staatsstreich steckt die CIA. Politische Parteien und Gewerkschaften werden
verboten, das Land versinkt in der Diktatur. Schätzungen zur Folge flüchten
während der dunklen Jahre 200.000 Chilenen ins Exil, 3.000 Menschen werden
ermordet und mehrere zehntausend in Gefängnissen eingepfercht. Darunter auch
der Volks-Sänger Victor Jara. Als Sympathisant von Allendes Partei, wird er
gleich am 11. September ins Stadion von Santiago gebracht, wo ein Soldat ihm
mit seinem Gewehr zuerst die Hände bricht bevor er ihn kaltblütig erschießt.
Heute sind die Märtyrer Inspirationsquelle einer neuen
Generation von militanten Musikern. Makiza wurde 1996 gegründet und ist heute
eine der angesagtesten Hiphop Crews Chiles. Die Eltern aller Mitglieder lebten
bis zum Sturz der Diktatur 1989 im politischen Exil. Anita ist die Sängerin der
Band und während des Exils ihrer Eltern in Frankreich geboren. Seit 1988 lebt
sie wieder in Chile, im Alter von 14 Jahren erlebte sie die Rückkehr der Demokratie
in ihr Land.
Anita Tijoux: Meine Eltern waren
Mitglieder der linken Revolutionären Bewegung MIR. Als sie aus Chile
flüchteten, waren sie körperlich schon sehr angeschlagen. Sie waren einige male
gefoltert worden in verschiedenen Gefängnissen, in denen auch viele ihrer
Kameraden starben. Wir finden, dass mit der Demokratie in Chile eine Art
geschichtliches Vakuum entstanden ist. Die Menschen scheinen die Verbrechen der
Vergangenheit etwas zu schnell vergessen zu haben. Dieses Thema nehmen wir uns sehr
zu Herzen, davon handeln unsere Songs.
15 Jahre nach dem offiziellen Ende der Diktatur,
kämpft Chile immer noch mit den Geistern der Vergangenheit. Die Folterknechte
von einst führen heute im Schutz dubioser Amnestie-Gesetze ein unbehelligtes
Leben. Das will die Organisation "Funa" ihnen zur Hölle machen, indem
sie Pinochets Komplizen aufspürt und Demonstrationen vor ihren Haustüren
organisiert. Die Chilenen haben es satt, dass Pinochets Leute nach wie vor die
Schlüsselpositionen des Landes besetzen.
Die chilenischen Hiphop Stars "Tiro de
Gracia", auf Deutsch "Gnadenschuss", sind sich darüber bewusst,
dass die Medien die alte Ordnung erhalten wollen. Um überhaupt eine Chance zu
haben auch im Radio zu laufen, mussten sie ihre Songs entschärfen.
Lengua Dura / Tiro de Gracia: Die
große Mehrheit der Bosse in den Plattenfirmen haben eine konservative
Einstellung. Das sind alles Marionetten der kirchlichen und rechtsradikalen
Parteien. Wenn da ein neues Talent aus einem Armenviertel aufkreuzt, nehmen sie
ihn nicht für voll, so Klischeehaft das auch klingen mag. Sie verachten die
Menschen aus den Favelas.
"Tiro de Gracia" gehören zu den Wenigen, die
sich Video-Clips mit fetten Budgets leisten können. Der Rest der Szene, tummelt
sich im Underground.
Lalo Meneses / Panteras Negras: Heute
leben wir immer noch so, wie Pinochet es damals geplant hatte.
Die "Panteras Negras" sind Pioniere im
Chilenischen Hiphop. Die Mitglieder der Crew, die schon seit 1984 gegen das
Pinochet Regime kämpft, sind allesamt in Huamachuco geboren, einem der ärmsten
Viertel Santiagos. Angefangen haben sie als Breakdancer, benannt haben sie sich
nach ihren großen Vorbildern, den amerikanischen "Black Panthers".
Die "Panteras Negras" berufen sich auf die militanten Wurzeln des
Hiphop.
Lalo Meneses / Panteras Negras: Wir
haben weder Label noch Producer und nehmen alles selbst in die Hand. Manchmal
haben wir nicht mal genug Kohle für ein Busticket. Aber jedes Mal wenn wir zu
Geld kommen, investieren wir es in unsere Straßenkonzerte. Es ist wichtig, auf
die Straße zu gehen, Musik zu hören, zu tanzen und vor allem zu diskutieren.
Reden ist eine Tradition in Südamerika, weil viele sowieso nicht lesen und
schreiben können. Deshalb sieht es die Regierung auch nicht so gerne, wenn zu
viel geredet wird.
Chiles Rapper distanzieren sich von der Hiphop-Szene
Amerikas, dem Land, das in ihren Augen Hauptverantwortlich für Lateinamerikas
Probleme ist. Auch "El Klan" kratzt es reichlich wenig, das ihr
selbstproduzierter Clip auf MTV zensiert ist . In ihrem Song geht es um die
chilenische Polizei, die die Favelas von Santiago mit Crack versorgt.
In den Armenvierteln Santiagos weiß man sich zu
helfen. Vor vier Monaten nahm Lulos Familie ein älteres mittelloses Ehepaar zu
sich auf. Solidarität bedeutet hier Überleben.
Lulo: Wir sind stolz auf unsere
Wurzeln. Da die Weltordnung völlig schief hängt, hoffen wir darauf, dass unsere
südamerikanischen Brüder endlich aufwachen, für die große Revolution.
.......................................................
Links
>> Die offizielle Website - Legua York
>> Ein Artikel - Mazika
>> Die offizielle Website - El Klan
>> Ein Artikel - Tiro de Gracia
>> Hörproben
.......................................................
TRACKS
Donnerstag, den 03. Juni 2004 um 23.00
Uhr
Wiederhol. am Samstag, den 05. Juni um
17.45 Uhr
Redaktion: ARTE France, Program33
.......................................................
http://www.arte.de/de/kunst-musik/tracks/diese-woche/Donnerstag_2C_20den_2003._20Juni_202004/544926.html