HipHop zwischen Deutschrap und migrantischem Widerstand

Interview mit Hannes Loh (Ex-Anarchist Academy)
Wie funktioniert Pop im Kapitalismus? fragen sich Marvin Chlada, Gerd Dembowski und Deniz šnlü in ihrem Buch "Alles Pop? Kapitalismus und Subervision", das im Herbst im Alibri-Verlag erscheinen wird. Die zentrale These der Herausgeber ist, dass Pop ähnlich funktioniert wie der kapitalistische Markt: Subversion wird integriert und Widerstandpotenzial verschwindet innerhalb des Massenkonsums. Das folgende Interview mit dem Ex-Sänger der Polit-Band Anarchist Academy ist eine gekürzte Fassung aus dem Buch. In verschiedenen Artikeln und Büchern hat sich Hannes Loh kritisch mit der HipHop-Szene in Deutschland auseinander gesetzt. Vor zwei Jahren veröffentlichte er zusammen mit Sascha Verlan das Buch "20 Jahre HipHop in Deutschland", im September kommt "Fear of a Kanak Planet" (beide Hannibal-Verlag) heraus.

Marvin Chlada: Wenn Du von "bedenklichen Tendenzen" in Sachen HipHop sprichst, was fällt Dir da als erstes ein?

Hannes Loh: In dem Moment, da man Musik (oder ganz allgemein Kultur) nicht nur als Freizeitvergnügen begreift, sondern darin auch eine Spiegelung der Gesellschaft sieht, in der man lebt, stellt sich die Frage in Bezug auf die vermittelten Bilder, Metaphern, Inhalte und ästhetischen Kategorien mit einer anderen Brisanz. Ich habe HipHop als eine Erzählung erlebt, die mit einem emanzipatorischen Anspruch auf Menschen gewirkt und Menschen zueinander gebracht hat, die sich unter "normalen" Umständen nie kennen gelernt hätten. (...)

Die Geschichte des afroamerikanischen Widerstandes habe ich fast ausschließlich über Rap-Texte kennen gelernt und das hat mir in meiner šberzeugung, sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht abzufinden, oft geholfen. Natürlich muss man an dieser Stelle auch vorsichtig sein. Wir wissen, dass ein Teil der "schwarzen" Widerstandsgeschichte auch antisemitisch besetzt ist und wir wissen auch, dass sich die Nation Of Islam schon mit führenden amerikanischen Neonazis getroffen hat, da sich beide Seiten für die Notwendigkeit von "Rassentrennung" einsetzen.

Deshalb ist es wichtig, jene Erzählungen zu unterstützen, die eine Alternative dazu bieten, die zum selbstständigen Denken motivieren und eine Vision in sich tragen, die über die bestehenden Verhältnisse hinaus reicht. Es hat diese Elemente schon immer im HipHop gegeben. Angefangen bei Grandmaster Flash & The Furios Five, über KRS ONE, Public Enemy, Paris, Disposable Heros bis hin zu Dead Prez. Und in Deutschland stehen dafür Gruppen wie Advanced Chemistry, Fresh Familee oder - um ein paar aktuelle Beispiele zu nennen - Curse, Bektas, Afrob, Azad oder Microphone Mafia.

Bedenklich wird das Ganze aus meiner Perspektive dann, wenn sich reaktionäre, chauvinistische und rassistische Tendenzen häufen und viele positive Werte, für die HipHop mal stand, drohen verloren zu gehen. In Deutschland ist, wie in vielleicht keinem anderen Land, die Entwicklung der HipHop-Szene mit dem nationalen Diskurs verknüpft. Dass es mittlerweile verschiedene Rapper gibt, die in ihren Battle-Lyrics auf rassistische Stereotype zurückgreifen und sich ganz offen reaktionär geben, hat weder etwas mit Tabubruch zu tun noch handelt es sich um durchgeknallte Einzelfälle. Schon zu Beginn der Neunziger gab es Versuche, aus HipHop in Deutschland "deutschen" HipHop zu machen. Damals waren die Erfolge bescheiden, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass die Szene zu jenem Zeitpunkt (im Gegensatz zu heute) multikulturell geprägt war und sich einer pan-europäischen Bewegung verpflichtet fühlte.

Diese Erzählung ist weitgehend verloren gegangen. Wer heute eins der großen HipHop-Festivals besucht (Flash, Splash, HipHop-Open) wird eine bemerkenswerte Entdeckung machen: Während das Line Up zum größten Teil multikulturellen Charakter trägt, besteht das Publikum nahezu ausschließlich aus deutschen Mittelstandskids. Warum ist das so und wo sind die jüngeren Brüder und Schwestern derer, die in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren die HipHop-Kultur in Deutschland aufgebaut haben? Die hocken in den ärmeren Vororten der Städte, in den Jugendzentren und Teestuben dieses Landes. Für die ist Deutschrap kein Thema, weil sie sich von den Repräsentanten dieser Deutschrap-Szene nicht vertreten fühlen. Ihre Geschichte kommt in den Lyrics der Deutschrapper nicht vor.

Erst seit Afrob, Azad und Brothers Keepers lässt sich ein Interesse feststellen. Das ist die eine erfreuliche Seite. Die andere Seite ist, dass inzwischen Neonazis auf ihren Homepages über eine "Unterwanderung der deutschen HipHop-Szene" diskutieren, weil sie von dem neuen Battle-Sprech gewisser Rapper Wind bekommen haben und sich darüber freuen, dass es in Deutschland rassistische und Auschwitz verharmlosende HipHop-Lyrics gibt.


Wie steht es um die Frauen in der Szene? Wird das "Macho-Ding", dass viele Rapper durchgezogen haben heute noch akzeptiert bzw. als Bestandteil des "Styles" abgetan?

HipHop ist sexistisch. Nicht weniger und nicht mehr als viele andere Jugendkulturen. Der Sexismus im HipHop ist allerdings weniger geschult an feministischer Kritik. An einigen Stellen wird dieses Thema inzwischen offener diskutiert, was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass HipHop eine ausgesprochene Jungskultur ist. Vor allem im Battlerap leben pubertierende Jungmänner ihre Alphamännchen-Fantasien aus. Zu Stande kommen dabei Bilder und Wünsche, die sich mit denen der Väter am Stammtisch decken. D.h. ein typischer sexistischer Battlerap, wie man ihn aller Orte zu hören bekommt, ist nichts anderes als eine Transferierung von Wichskabinenvideos in Reime. Es bleibt jedem selbst überlassen sich die Frage zu beantworten, ob es sich um einen Fortschritt handelt, wenn patriarchale Fantasien nicht mehr heimlich, still und leise ausgelebt werden, sondern unverblümt und laut durch die Boxen dröhnen.


Mit Anarchist Academy bist Du 1993 in der Hamburger Markthalle zusammen mit But Alive, den Emils und Slime auf der Bühne gestanden, was unter den Punks für reichlich Verwirrung sorgte: Anarchist Acadamy wurde von einigen der Anwesenden sogar mit Flaschen beworfen. Wie erklärst Du Dir diese anfänglichen Schwierigkeiten in der Annäherung zweier Szenen, die sich inhaltlich doch sehr nahe standen (und immer noch stehen)?

Ich finde es viel interessanter zu fragen, warum diese beiden Szenen, die so extrem unterschiedlich sind, zu Beginn der Neunzigerjahre so schnell und so eng zusammen gefunden haben. Das hatte einerseits zu tun mit einem grundsätzlichen Wandel der Hardcore- und Punkästhetik, die durch Gruppen wie Rage Against The Mashine sowohl auf einer musikalischen als auch auf einer Style-Ebene mit typischen HipHop-Elementen in Berührung kam. Zum anderen kam die spezifische Situation in Deutschland hinzu. Leute wie Ale von Buback oder Moses vom Zap haben sehr schnell das Potenzial der jungen HipHop-Szene erkannt und gezielt gefördert. Und das funktionierte gut, weil die Hardcore/Punk-Szene über etablierte Fanzine-, Club- und Labelstrukturen verfügte. So manch frustrierter Hardcore-Fan sah in HipHop auch das "neue Ding".

Hier fangen allerdings auch schon die Missverständnisse an. Denn die beiden Szenen hatten, gerade inhaltlich, kaum etwas miteinander gemein. Die Hardcore/Punk-Szene, die eng mit den autonomen Strukturen des Landes verknüpft war, führte seit Jahren Diskurse über Sexismus, Rassismus, Homophobie, Vegetarismus, Kapitalismus und Krieg, Ausbeutungsstrukturen etc. Es gab also eine Metaebene, auf der Texte, Aussagen und ästhetische Zitate diskutiert wurden. So etwas fehlte in der jungen HipHop-Szene völlig. Es gab überhaupt kein politisches Verständnis und wenn, dann war es den Beteiligten nicht bewusst. Insofern fanden einige Hardcore-Aktivisten hier ein neues Betätigungsfeld, denn es bot sich ihnen die Aufgabe einer weit reichenden Mission.

Zum Teil hat das geklappt, zum größeren Teil führte es zu bescheuerten Missverständnissen. In Frankfurt z.B. wollte man den türkischen Namen eines DJs nicht mit aufs Plakat nehmen, da die autonomen Veranstalter fürchteten, dass dann zu viele Ausländer kämen, die Stress machen.
Auch hier ein grundsätzlicher Unterschied: Die Hardcore/Punk-Szene setzte sich hauptsächlich aus Aktivisten zusammen, die aus bürgerlichen Verhältnissen kamen und sich über Musik bewusst gegen die Mehrheitsgesellschaft stellten. Die HipHop-Szene war bis Mitte der Neunzigerjahre in erster Linie migrantisch-proletarisch geprägt. Für die meisten Rapper, Breaker oder Writer war HipHop eine Art kultureller Rettung, da in Deutschland für sie kein Platz vorgesehen war.

Wie Du selbst betonst, standen Anarchist Academy seit ihrer Gründung 1992 innerhalb der HipHop-Szene jenseits von "Old" und "New School". Keine andere Band hat sich dermaßen bewusst in eine linke Tradition gestellt, deren Bezüge von Brecht und Che bis zu den Ton, Steine, Scherben reichen: "Knallharter Gegenpart, radikal wie Degenhart - nicht Worte zu abstrakt abgefuckt auf den Takt", heißt es beispielsweise in Die 5. Terroristengeneration. Wurde Eure eindeutige politische Haltung innerhalb der Szene nicht als "ideologisch" gebrandmarkt? Galten die von Euch konkret benannten Ziele, zum Beispiel das Eintreten für die Räterepublik, nicht als "uncool" in einer Zeit, da vom "Ende der Utopien" und ähnliches, gerade auch in der jungen Generation, die Rede war?

Innerhalb der HipHop-Szene hatte AA immer eine merkwürdige Stellung. Einerseits haben wir sicher viel zu einer Politisierung beigetragen und bestimmte Debatten losgetreten. Andererseits war das politische Bewusstsein der meisten führenden Aktivisten dermaßen naiv und minimal, dass sie die Bedeutung und Tragweite eines Songs wie "Alle Macht den Räten" überhaupt nicht ermessen konnten. Diese Leute hatten niemals eine Utopie, weshalb sie auch nicht bemerkten, dass sie in einer Zeit lebten, in der vom "Ende der Utopien" die Rede ist. Aber wir haben von vielen anderen positives Feedback bekommen. Es gab zu Beginn der Neunzigerjahre eine enorme Bereitschaft, sich antifaschistisch zu positionieren und auch zu organisieren. Das wurde kaputt gemacht, als die Medien mit den Fantastischen Vier "Deutschrap" entdeckten. Die Entpolitisierung, die dann vorangetrieben wurde, verdrängte bis Brothers Keepers alle eindeutigen antirassistischen und kritischen Töne aus "deutschem" Rap. In den Begriffen Deutschrap einerseits und Oriental HipHop andererseits wurde die Spaltung der Szene greifbar. Viele Migrantenkids waren von dieser Entwicklung enttäuscht. In den Texten der "Neuen Deutschen Reimkultur" kam ihr Lebensalltag nicht mehr vor. (...)

Erst innerhalb des letzten Jahres scheinen sich die Fronten etwas zu verschieben. In den Veröffentlichungen von Feridun Zaimoglu (Kanak Sprak 1995, Abschaum 1996, Koppstoff 1998) kündigte sich an, dass die zweite und dritte Migrantengeneration keine Lust mehr hat, tatenlos im Schatten der deutschen Gesellschaft zu verharren. Jenseits der zugeschriebenen Rollen vom multikulturellen Exoten oder braven ausländischen Mitbürger äußert sich diese Generation zunehmend selbstbewusst und angriffslustig. (...)

Es zeigt sich, dass die Inhalte heute nicht von denen gebracht werden, die sich in den letzten Jahren ihre Pfründe im "Deutschrap"-Markt sichern konnten. "Jetzt mach ich business, sag die Wahrheit, also wird's politisch ..." rappt Meli von Skills en Masse und bringt die Sache auf den Punkt. Es wird politisch, wenn Menschen zum Microfon greifen, denen dieses Land die Staatsbürgerschaft verweigert und die auf Grund ihrer Herkunft oder Hautfarbe mit rassistischer Gewalt rechnen müssen. Es wird politisch, wenn Rapper wie D-Flame, Samy Deleuxe, Afrob, Ono, Torch, Da Germ oder Ebony Prince über ihre Alltagserfahrungen in einem Land sprechen, in dem der Begriff "National befreite Zone" zum Unwort des Jahres 2000 gewählt wurde. (...)

Der unerwartete Erfolg von Brothers Keepers zeigte auch, dass viele Jugendliche auf solche Statements gewartet hatten. Plötzlich läuft deutschsprachiger Rap auch wieder in den Jugendhäusern. Hatten Hamburg und Stuttgart die HipHop-Szene in Deutschland über lange Zeit dominiert, so meldeten sich jetzt auch andere Städte zu Wort. Vor allem aus Berlin, Frankfurt und Köln bekommt man neue, rauhe, teilweise skandalöse Töne zu hören. Rapper wie Efe und Careem, Mr. L, Da Force, Microphone Mafia, Bektas oder Curse kommen vom übertriebenen Battle-Style ab und erzählten wieder Geschichten aus dem Alltag. Hier sehe ich eine große Chance, dass Rap in Deutschland sich wieder zu einem gesellschaftlich wichtigen und progressiven Element entwickelt.


Marvin Chlada, Gerd Dembrowski, Deniz šnlü (Hrsg.): Alles Pop? Kapitalismus und Subversion. Alibri-Verlag, ISBN 3-932710-48-7, ca. 200 Seiten, ca.ÿ14 Euro.

Aus: ak – anlyse + kritik, Nr. 465, www.akweb.de