Damit hatte niemand gerechnet, aber das Tabu ist gebrochen: Seit dem
Jahr 2001 gibt es in der deutschsprachigen Rap-Szene erstmals nationalistische
sowie rassistische Statements. Deutscher HipHop hat sein Gesicht verändert;
die Aufbruchsstimmung der Achtziger- und frühen Neunzigerjahre
ist verloren gegegangen. Damals bauten viele Türken, Afrodeutsche,
Jugoslawen, Griechen, Italiener und Deutsche eine Szene auf, in der
Herkunft, Hautfarbe und sozialer Stand keine Rolle spielten. Vor allem
die Kinder sogenannter Gastarbeiter machten mit HipHop nachdrücklich
auf sich aufmerksam.
Murat Güngör (selbst ehemaliger Rapper und Mitglied von Kanak
Attak) und Hannes Loh (Koautor des Buches 20 Jahre HipHop in Deutschland)
gehen in ihrem Buch der eunruhigenden aktuellen Dynamik nach und beschreiben
die Entwicklung und Polarisierung der Szene aus einer kritischen Perspektive.
Außerdem lassen sie jene zu Wort kommen, die in der Erfolgsstory
des
"Deutschrap" bisher nicht gehört wurden.
Das Buch besiert auf Interviews die die beiden Autoren quer durch Deutschland
geführt hatten. Die Interviewpartner reichen von Chart Rappern
wie Afrob, Curse, Brothers Keepers und vielen anderen bis hin zu Jugendhaus
Kiddies. In dem Buch geht es um eine inhaltliche Aufarbeitung mit dem
sogenannten "Deutsch-Rap" und auch "Turkish HipHop"
usw. Der Ausblick auf Frankreich spielt dabei ebenfalls eine wichtige
Rolle. Die Städte Berlin und Frankfurt werden als Schwerpunkte
vorgestellt. Parallel dazu wird eine CD Compilation mit den Künstlern
die interviewt wurden auf dem Label 3Finger veröffentlicht. Auf
der CD werden O-Töne von den Künstlern enthalten sein, das
soll den Charakter des Buches untersteichen. Dazu wird es im Oktober
eine grosse Lesetour durch Deutschland, Österreich und der Schweiz
geben.
Bei jedem Auftritt, wird ein Rapper aus der jeweiligen
Stadt sich an der anschließenden Diskussion beteiligen.
Wichtige Daten
TITEL: "Fear of a Kanakplanet
HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap"
Releasedate: October 2002
Publisher: Hannibal Verlag
Author: Murat Güngör/ Hannes Loh
Size: ca. 350 pages
Nr: ISBN 3-85445-210-1
Price: 19,90 Euro / sFR.33,90
Leseprobe:
Microphone Mafia: Denkmal (2002)
wir wollen keinen dank, man soll uns respektieren
brauchen keine leitkulturen, die uns angeblich kultivieren
von der dunkelheit ans tageslicht
Es begann vor 40 Jahren
In den Texten migrantischer Rap-Crews gibt es einen roten Faden: Man
braucht nicht lange nach Themen wie Rassismus oder Alltagserfahrungen
zu suchen. Offenbar provozieren solche Topics jedoch viele so genannte
Deutschrap-Konsumenten. In ihrer Perspektive mutieren Rapper mit migrantischem
Hintergrund schnell zu Leuten mit negativen Vibes. Es gibt
eine Diskrepanz in der Wahrnehmungen und einen Clash unterschiedlicher
Lebensbedingungen und -erfahrungen innerhalb einer (HipHop-)Kultur.
Es wird vor allem auch deutlich, dass es eine andere Seite gibt,
wie Da Fource, eine HipHop-Crew aus Berlin, in einem ihrer Songs rappen.
Und diese andere Seite ist überall in Deutschland präsent.
In Deutschland leben derzeit 7,9 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft,
dazu kommen schätzungsweise 1,2 Millionen Leute, die sich ohne
Papiere dauerhaft hier aufhalten. Diese Menschen teilen eine gemeinsame
Geschichte der Migration. Erstaunlicherweise ist das Wissen über
solche Geschichten innerhalb des deutschen Mainstream nicht präsent.
Wir sind nicht sichtbar, uns gibt es eigentlich gar nicht,
sagt Rebell, ein Rapper aus Stuttgart. Gerade im HipHop geht es aber
um Sichtbarmachung von Geschichte und Alltag. HipHop ist für Migranten
ein Modell, aus der Dunkelheit ans Tageslicht zu treten
und ihren Standpunkt deutlich zu machen. Das wird schon in den Namen
der Crews klar: Sons of Gastarbeita, Asiatic Warriors, Kanakencamp,
Kanaks with Brain, Da Gastarbeita, Islamic Force.
Für viele - vor allem für jene, deren Eltern als Gastarbeiter
nach Deutschland gekommen sind ist Lohnarbeit in der Fabrik ein
zentraler Bestandteil der eigenen (Familien-)Geschichte. Mourad, ein
junger Rapper aus Frankfurt von der Gruppe Amüsement, beschreibt
das so: Ich bin so aufgewachsen, dass man arbeiten muss im Leben.
Ich habe meine Augen aufgemacht und gesehen wie mein Vater ackert, jeden
Tag - ob das jetzt ein Samstag ist oder ein Sonntag. Das spielt keine
Rolle, man muss arbeiten und sich zusammenreißen, um leben zu
können. Ich bin damit aufgewachsen, dass mein Vater viel arbeitet.
Ich habe dann irgendwann auch angefangen zu arbeiten. Wir konnten uns
dies und das leisten. Dann haben die deutschen Nachbarn geguckt: Wieso
fahren die so ein Auto?' Aber keiner hat sich gefragt, woher das Geld
kam. Wir arbeiten Mann! Es kam auch schon mal vor, dass ein Nachbar
zu der Arbeit von meinem Vater gegangen ist und den Chef von meinem
Vater gefragt hat, ob mein Vater wirklich soviel Geld verdient, dass
er sich einen BMW leisten kann. Als ich dann einen Führerschein
hatte, habe ich mir ein Auto im Wert von 300 Euro gekauft und mein Nachbar
hat seinem Kind ein Auto im Wert von 10.000 Euro geschenkt. Mourad
beschreibt seine Perspektive in der Hoffnung über die (harte) Lohnarbeit
Zugang zu gesellschaftlichen Positionen zu erlangen. Es ist die gleiche
Hoffnung, mit der die sogenannte erste Gastarbeitergeneration nach Deutschland
kam. Der Unterschied liegt nur darin, dass die erste Generation nach
ein paar Jahren Arbeit mit der Illusion lebte, wieder zurück in
ihr jeweiliges Herkunftsland zu gehen. Für die Kinder dieser Gastarbeiter
stellt sich diese Frage schon lange nicht mehr. Für sie stellt
sich die Frage nach gesellschaftlichen Positionen und politischen und
sozialen Rechten. Die Ausgangssituation in der sich Leute wie Mourad
befinden, ist in Bewegung und auch die Hoffnung, dass sich etwas ändern
könnte, ist relativ stark. Auch wenn klar wird, dass sich trotz
harter Arbeit & BMW der Rassismus nicht so schnell überholen lässt.
Ich arbeite und arbeite und wenn ich dann mit meinem BMW durch
die Stadt fahre, dann kommt es vor, dass die Bullen dich trotzdem an
die Wand klatschen, erzählt Mourad.
Sons Of Gastarbeita: Die Söhne der Gastarbeita (1995)
die deutsche wirtschaft begann zu expandieren
und machte sich auf, ohne zeit zu verlieren
der industrie die kräfte zu besorgen
für das wirtschaftswunder von morgen
man hatte seine sorgen der arbeitskräfte wegen
der wunsch nach mehr begann sich zu regen
die deutschen ärzte, eher ganz verwegen
gaben den gästen ihren tauglichkeitssegen
denn körperliche arbeit war in deutschland angesagt
mann, jung und gesund - genau das war gefragt
rock the boulevard and treat it like a seminar
Im folgenden möchte ich stellvertretend für viele andere eine
Crew vorstellen, die eine außergewöhnliche Geschichte vorzuweisen
haben. Es geht um die Sons of Gastarbeita, die sich im Jahre 1993 im
Ruhrpott gegründet haben. Wie so oft lernen sich die Homies in
der Schule kennen; vier Freunde, mit der fixen Idee, Musik zu machen.
Wir zocken im Proberaum einfach mal drauf los, war das Motto.
HipHop bot sich in diesem Zusammenhang an als eine gemeinsame Weltkultur,
in der man aufgehen kann und in der man so sein kann wie man ist. Aus
diesem Grund war HipHop schon von klein auf ein Thema für junge
Migranten nicht nur aus dem Ruhrpott. Das HipHop auch eine starke
politische Message und Kraft haben kann, war für viele ein weiterer
positiver Bezugspunkt. HipHop hab ich natürlich schon in
den Achtzigern wahrgenommen, über Rapmusik eben, erzählt
Gandhi. Dort hast Du ja über die Situation der Afroamerikaner
auch geschichtlich etwas erfahren, was du in der Schule nie gelernt
hast. Selbst in der Oberstufe hat man das nicht mitbekommen, nicht in
dieser Intensität, nicht in dieser Krassheit. Anfang der Neunziger
hab' ich natürlich Advanced Chemistry mitbekommen: Fremd
im eigenen Land, kein Ausländer und doch ein Fremder' - das hat
uns sehr zum Nachdenken gebracht. Gleichzeitig gab es auch Gruppen wie
Anarchist Academy, die sich auch politisch betätigt haben und spätestens
nach den Ereignissen von Rostock und Solingen war für mich der
Punkt erreicht, wo ich mich auch politisch betätigen wollte, wo
ich merkte, es gibt etwas, das will ich mitteilen und loswerden. Und
deswegen mache ich Rapmusik. Wir hatten ganz klar ein Mitteilungsbedürfnis.
Das eine Diskrepanz bestand zwischen dem eigenen Wissen und dem Lernstoff
in der Schule, wurde den Jungs ziemlich schnell klar. Auf der einen
Seite beschäftigt einen das Thema Tag ein Tag aus und auf der anderen
Seite wird darüber in den Schulen kein Wort darüber verloren.
Wir hatten gerade Abi gemacht, sagt Gandhi, aber irgendwie
haben wir festgestellt, dass wir in der Schule nie über dieses
Thema gesprochen haben. Hier leben so viele Millionen von Menschen,
die als Gastarbeiter hier her gekommen sind, aber wir haben nie über
die Geschichte der Gastarbeiter gesprochen! Und gerade dieses
nicht darüber reden" verstärkt den Effekt des nicht
dazu gehörens für Gandhi und die SOGs die größte
Motivation ihr Wissen durch Rap weiterzugeben.
Migrationswissen
In einer ungewöhnlichen Aktion eigneten sich die Mitglieder der
SOG-Crew Informationen über die Migration an, um darüber den
eigenen Homies ein Stück Geschichte näher zu bringen. Und
das erfolgte ganz im Stile von Chuck D. Die Sons of Gastarbeita wurden
Reporter of the Street, ihre Lyrics zu einem CNN der
Migranten. Wir sind also in die Bibliothek gegangen, haben
recherchiert und uns die Bücher raus gesucht, erzählt
Gandhi. Da haben wir uns die wichtigsten Sachen kopiert. Jedes
Band-Mitglied bekam dann erst mal einen 10 cm dicken Reader. Nachdem
wir das durchgearbeitet hatten, haben wir erst einmal mitbekommen, wie
die erste Generation hier hinkam, wie die gewohnt haben, wie die durch
gecheckt wurden. Die sollten hier hinkommen, hart malochen und nach
ein paar Jahren wieder abhauen. Die waren nur als Arbeitskräfte
angeworben und haben mit mehreren Familien in feuchten Kellerräumen
gewohnt, waren unterbezahlt. Das war ja eine Situation, die war unter
aller Sau! Und dann stehst du da, liest das und denkst: Man, wie scheiße
muss das wohl gewesen sein! Weil aber Geschichte nicht nur in
den Büchern steckt, sondern in den Köpfen der eigenen Community,
gingen die Jungs daran, die eigenen Leute zu interviewen. Wir
haben die Leute der ersten Generation ein bisschen befragt und die haben
dann genau das alles bestätigt, sagt Gandhi. Natürlich
sind wir irgendwann auch auf Wallraffs Ganz unten' gestoßen.
Und dann endlich - mit diesem Wissen - waren wir in der Lage den Song
Söhne der Gastarbeiter' zu schreiben. Vorher ging das gar
nicht, weil wir einfach zu wenig Wissen hatten. Das gab uns auch eine
Stärke, weil wir in Interviews sofort sagen konnten, wenn jemand
mit blöden Klischees kam: Hey Moment mal Kollege! Unsere Eltern
haben da mit uns nicht drüber gesprochen."
Eine weitere Begegnung der unheimlichen Art hatten die SOGs, als sie
versuchten den Morden und den Pogromen zu Beginn der Neunzigerjahre
mit einer Multikulturellen Haltung entgegenzutreten. Zu dieser Zeit
wurden viele Festivals organisiert, die sich bewusst mit den Federn
angeblich ausländischer Folklore schmückten. Dort
konnte man sich Döner bestellen, Paella vernaschen oder aus exotischen
afrikanischen Töpfen speisen. Die passende Unterhaltung reichte
von spanischem Flamenco über anatolische Brauttänze bis zu
türkischem HipHop in den gutmenschlichen Phantasien der
Organisatoren die gesamte kulturelle Schlagkraft der ausländischen
Mitbürger". Bei solchen Events, die ich auch selber zuhauf
miterlebt habe, ging es weniger um das, was man als Künstler zu
bieten hat, als darum, dass man schön in das Bild des integrationsfähigen
und -willigen Alis reinpasste. Das haben wir früh gemerkt",
sagt Germain. Wenn du auf fünf Konzerte gebucht wirst und
alle sind gegen rechts', dann weißt du eigentlich schon
Bescheid. Da denkst du dir natürlich, die buchen uns nur, weil
wir Ausländerköppe sind. Nicht mal im Backstagebereich
waren die SOGs vor den stereotypen Fragen der Medien sicher: Da
hast du echt ein gutes Konzert gehabt, das Haus so richtig gerockt,
du hast 60 Minuten gespielt und die Leute haben 60 Minuten Stagediving
gemacht und das bei drei Balladen und dann fragt dich im Backstageraum
eine Reporterin: Ja, wie sieht das denn eigentlich mit dem Rassismus
innerhalb der Band aus?, erzählt uns Ghandi. Wir haben
doch auch einen künstlerischen Anspruch! Jeder von uns ist doch
auch Musiker! Es gibt außerdem ja nicht nur Rassismus als Thema,
es gibt auch noch jede Menge andere Sachen, die uns wichtig sind und
über die wir sprechen. Dann hörst du also so eine Frage und
alles, was du da noch denken kannst ist: Willst du uns eigentlich verarschen?!
Das ist doch genauso Rassismus!
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