aus: ak - analyse & kritik Nr. 466
Vergesst Annika

Zehn Jahre nach dem Aufbruch der riot grrrls ist die Bewegung nicht tot
Sie heißen nicht Tina, Laura, Brigitte oder Young Miss, sondern sabotage, nextgenderation, notjustboysfun und geekgirl. Sie kümmern sich einen Dreck um die neuesten Diäten, und was die Herbstmode so bringt, ist ihnen auch egal. Sie sind verschnörkelt und grell, manchmal aber auch pastell. Sie machen sich über Tamponwerbung lustig, meckern über Macker, schwärmen von tollen Frauen, tauschen Platten- und Konzertipps aus. Sie haben keinen großen Verlag im Rücken und die Werbebranche schlägt sich auch nicht unbedingt um sie. Trotzdem veröffentlichen sie: billig, unkompliziert und unzensiert. Die Rede ist von "Femzines", feministisch inspirierte, in der Tradition der riot grrrls stehende Magazines und Websites im Internet.

Die Vorteile von E-zines gegenüber gedruckten Zeitschriften liegen auf der Hand: Die Druckkosten entfallen, der Vertrieb ebenfalls und damit auch die bedrohliche Frage: Kann sich das Projekt in der kapitalistischen Medienwelt tragen? Ein funktionierender, internetfähiger Computer, ein wenig Know-how und viel Engagement reichen aus, um ein One-woman-zine zu starten - und wenn sich noch einige Freundinnen einklinken, macht die ganze Sache noch mehr Spaß. Und genau darum geht es den Mädchen und Frauen, die im Internet publizieren. Seit Anfang der 90er Jahre sprießen "Femzines" wie Pilze aus dem Boden. Wichtigster Schauplatz der "girl zine revolution" sind die USA. Viele der zine-MacherInnen sehen sich in der Tradition der riot-grrrl-Bewegung, einer Bewegung, die 1991 ihren Anfang nahm. Damals trafen sich erst in Washington, dann in New York und anderen amerikanischen Städten Punkrock-Musikerinnen wie Kathleen Hanna (Bikini-Kill) und Jean Smith (Mecca Normal & 2 Foot Flame), um über Bands und Musik, Gewalt gegen Frauen und sexuellen Missbrauch zu diskutieren. Gemeinsam organisierten sie Konzerte, Festivals, Podiumsdiskussionen und Fanzines. Der Legende nach geht der Begriff riot grrrl auf zwei Quellen zurück: In einem Brief an eine DJ-Freundin schrieb Jean Smith damals: "We need a girl riot", dabei soll sie die Begriffe "riot" und "girl" vertauscht haben. Aus "girl" wurde dann in Anlehnung an das Buch "Angry Grrrl" von Tobi Vail "grrrl" und fertig war das Bewegungslabel.

So wütend und laut wie die Punkmusik der Mädchen war auch die Botschaft der quirligen Bewegung. Riot grrrl heißt, dass "wir es nicht zulassen, dass unsere echte und berechtigte wut verpufft und über die internalisierung von sexismus, wie wir sie in der rivalisierung von mädchen oder in ihrem selbstzerstörerischen verhalten sehen, gegen uns gerichtet wird", heißt es im 1992 entstandenen riot-grrrl-Manifest. Aus der Wut auf das Patriarchat wuchs der Elan, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren und sich nicht länger gängeln zu lassen. Dem Do-it-yourself-Prinzip folgend gründeten in den 90ern viele Frauen und Mädchen Bands, schrieben Texte, die sie als kopierte Fanzines unter Freundinnen verteilten, bastelten Websites, kreierten punkige Mode, schufen Frauen-Netzwerke und fingen an, Kunst- und Videoprojekte zu machen. "Don't dream it, be it!" lautete die einfache und pragmatische Losung. Und während in den US-amerikanischen Medien wie der Times das Ende des Feminismus deklariert wurde, erblühte gleichzeitig eine Subkultur, in der Frauen laut und trotzig verkündeten: "Feminismus ist cool". Ihr Forum fanden diese jungen Frauen vor allem auf der Bühne, wo sie ihre eigene Interpretation von Feminismus rausschrien. So thematisieren die Songtexte von Tribe-8, Bikini-Kill, L7 oder Bratmobile weibliches Begehren, Alltagserfahrungen im Patriarchat, Freundinnensolidarität, aber auch Sexismus und Gewalt.

Die girl-Bewegung, die von Anfang an heterogen und widersprüchlich war, geriet - schneller noch als andere subkulturelle Bewegungen vor ihr - in den Sog der kapitalistischen Marktökonomie, passten doch der "toughe, sexy girl style" optimal in die wunderbare weichgespülte MTV-Welt. Die Wut, die die frühen grrrls charakterisierte, wurde kanalisiert, übrig blieb das "zickige" girl. In dem nun zum Stereotyp gewordenen girl-label reduzierte sich die ursprüngliche Power auf einen schmollmundigen, konsumorientierten Kleinmädchen-Schick, der in Deutschland vielleicht noch am besten durch die damalige Viva-Moderatorin Heike Makatsch repräsentiert wurde. "Die Bewegung stieß dort auf ihre Grenzen, wo der feministische Kontext fehlte, der den nunmehr aus dem Zusammenhang gerissenen, originalen Slogans ihre subversive Kraft bestätigt hätte", schreiben Anette Baldauf und Katharina Weingartner in der Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Buch "Lips. Tits. Hits. Power? Popkultur und Feminismus".

So ist es auch kein Wunder, dass die "grrrl-olution" gerade auch von akademischen Feministinnen kritisiert bzw. ignoriert wurde. Für die sich eher dem postmodernen, feministischem Diskurs zuordnenden Frauen scheint die Kluft zwischen ihrer eigenen sehr abstrakten Theoriebildung und dem eher handlungsorientierten "Spiel-doch-mal-Schlagzeug"-Ansatz der riot grrrls zu groß zu sein. Und die eher in den 70er Jahren politisierten Feministinnen, die Müttergeneration der girls sozusagen, stimmen zwar in ihrem politischen Anspruch, frauenidentifizierte Projekte zu machen, mit dem grrrls-Konzept überein, jedoch macht sich hier die generationsbedingte Distanz bemerkbar. Melissa-Etheridge-Fans kriegen eben bei Punk-Musik die Krise, genauso wie junge Frauen eine angeborene Lila-Latzhosen-Phobie haben, um einmal in die Klischee-Kiste "Best of feminist" zu greifen.

Und dann gibt es ja auch noch das generelle Problem mit der Identität: Wer oder was sind überhaupt girls? Von wem sprechen wir, wenn wir "wir" sagen? Dass die Protagonistinnen der grrrl-Bewegung sich in ihren Songs, Artikeln und in ihrer Kunst mit dem Konstruktionscharakter von Geschlecht auseinander setzen, und damit die Lehre aus der Ignoranz der 2. Frauenbewegung ziehen, ändert nichts an der Tatsache, dass auch diese subkulturelle Szene von weißen, westlichen Mittelstandsfrauen geprägt ist. Dies ist sicherlich das prinzipielle Dilemma aller Feminismen, das den meisten Feministinnen seit Beginn der 90er Jahre auch hinreichend bekannt sein dürfte. Es gibt heutzutage einerseits das nach wie vor wirkungsmächtige Patriarchat, das den als Frauen identifizierten Menschen das Leben schwer macht. Und andererseits: Wo steckt dieser "Feind", und vor allem, wer sind die "Freundinnen", mit denen ich mich solidarisieren kann? Das feministische Kunststück besteht darin, identitäre Zuschreibungen abzulehnen und sich gleichzeitig gegen die patriarchale Zurichtung zu wehren, die nun einmal auf das lebende Konstrukt "Frau" zielt.

In diesem Spannungsverhältnis zwischen Aneignung von Macht und Infragestellen derselben stehen auch die riot grrrls. In einer Art nachholender feministischer Punk-Revolution ging es den Frauen und Mädchen zunächst einmal darum, selbst aktiv zu werden und den Mut zum Dilettantismus zum Konzept zu machen: Jede Frau ist eine Künstlerin. Was so einfach klingt, ist dennoch so schwer. Wie ungewöhnlich selbstbewusste, feministische Frauen auf der Bühne sind, zeigt die Rezeption der Band Parole Trixie, die in Deutschland wohl am ehesten in der Tradition der riot grrrls steht. Vor allem männliche Musikjournalisten hatten Probleme, die Band rund um die Sängerin Sandra Grether einzuordnen. Die Kritiken reichten von "Was soll der Krach?", wobei vor allem die ungewöhnlich schrille und laute Stimme der Sängerin bemängelt wurde, bis hin zu einem wohlwollenden bis hilflosen "Aber die Texte sind ganz gut, oder?"

Nicht nur in der traditionell männlich geprägten Musikszene muss mensch lange nach "Frauenpower" suchen: Ein Blick in deutschsprachige, linke Zeitungen zeigt, wie wenig Frauen überhaupt Artikel schreiben. Noch seltener lassen sich explizit feministische Themen und Texte finden. Eine Ausnahme bildet die alaska, die sich kontinuierlich und konsequent feministisch positioniert. Inhaltlich lässt sich sicherlich über den einen oder anderen Artikel streiten, auffällig ist jedoch die generelle Tendenz innerhalb der Linken, feministische Analysen, wie sie von der alaska beispielsweise zum 11. September angestoßen wurden, komplett zu übergehen. Diejenigen, die in gemischtgeschlechtlichen Projekten immer wieder die Kraft finden, sich feministisch zu äußern, verdienen allein schon deswegen den größten Respekt. Und das Durchhalten geht nur mit viel Humor. Oder was soll frau beispielsweise erwidern, wenn der Chefredakteur eines mittlerweile eingestellten Hamburger Stadtmagazins auf ein Artikelangebot zur Frauen-Multimedia-Messe, sagt: "Nee, wir machen keine Zeitung für Randgruppen."?

"Ich bin Feministin und das ist gut so"

Besonders in Deutschland wurde die Forderung des "Just do it", die die grrrl-ProtagonistInnen in den USA vorgelebt haben, noch lange nicht eingelöst. Die systematischen Zwänge, die Frauen daran hindern ihre Stimme zu erheben, sind nach wie vor massiv. So ist es beispielsweise enorm schwierig, Frauen zu motivieren, Artikel zu schreiben. "Das kann ich nicht" oder: "Da weiß ich nicht genug" sind die häufigsten Einwände. Sehr schön werden diese typischen weiblichen Bedenken in dem Manifest "Wir wollten immer alle Pippi sein" des deutschsprachigen "Femzines" annikafish (www.annika-fish. port5.com) beschrieben: "Wir wollten immer alle Pippi sein, doch was wir waren, war Annika. Wir waren brav, folgten unseren Eltern, machten den Abwasch, brachten gute Noten nach Hause und wollten später etwas Sinnvolles werden, Žrztin oder Lehrerin. Wir bewunderten jene, die rauchten, die auf alle Partys gingen, die sich einen Freund nach dem anderen schnappten. Doch wir waren immer pünktlich im Bett. In unseren Träumen waren wir Pippi, selbstständig, fähig unsere Ideen durchzusetzen und das Leben so zu leben, wie wir wollen."

Neben diesen Zweifeln bildet die unglaubliche Ignoranz der linken Subkultur gegenüber feministischen Stimmen und Analysen die andere Seite der Medaille. Natürlich fehlt heutzutage in keinem linken Flugblatt der obligatorische Verweis auf den "Kampf gegen patriarchale Strukturen". Für eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verwobenheit in diese Struktur ist aber keine Zeit, da mann sich ja um die wirklich wichtigen Themen kümmern muss. Macht ist eben da am wirkungsvollsten, wo sie unsichtbar ist. Traurig, aber wahr: An dieser männlichen Ignoranz haben sich schon Generationen von Feministinnen abgearbeitet.

Zwar gibt es auch in Deutschland einige Lichtblicke in der linken Bewegung, so zum Beispiel der cross-over-Kongress in Bremen im Januar diesen Jahres, wo über 600 Menschen über die Verflechtung von Patriarchat, Kapitalismus, Rassismus und Antisemitismus diskutierten. Jedoch bleiben solche Diskussionen in der Regel auf die queer, transgender-FrauenLesben-Szene beschränkt. An der hegemonialen male-stream-Identität der Linken ändert das wenig.

Trotz und gerade wegen der postmodernen feministischen Erkenntnistheorie, die die Kategorie Geschlecht kritisch hinterfragt, ist es höchste Zeit, dass Mädchen und Frauen wütend werden. Eine spielerische Naivität und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten kennzeichneten die riot grrrls der ersten Stunde. Schluss mit Jammern - Bewegung kommt von bewegen. In diesem Sinne: Schnappt euch die Gitarre, schreibt Artikel, macht Kunst, erfindet euch selbst, solidarisiert euch mit anderen Frauen, startet Riots. Kurz: Seid Pippi, und vergesst Annika.

Nicole Vrenegor



Baldauf, Anette/Weingartner, Katharina (Hg.): Lips. Tits. Hits. Power? Popkultur und Feminismus. Folio: Vienna/Bozen, 1998.

Eine ausführliche Link-Liste zu verschiedenen grrrlzines findet sich unter www.grrrlzines.net.