Wenzel Singt Woody Guthrie




Es ist wohltuend und beruhigend, dass es in unserem Land noch ein kleines feines Label gibt, dass sich um die Garde einheimischer Liedermacher verdient macht: Rolf Limbach und seine Conträr Musik aus Lübeck. Im Programm finden sich u. a. Cochise, Degenhardt, Hüsch, Maurenbrecher, Roski, Süverkrüp.

Am 10. Februar 2003 erschien hier das aktuelle Werk von Hans-Eckardt Wenzel, der sich um die Vertonung und „Deutsche Nachdichtung“ von Stücken des großen amerikanischen Folk-Musikers Woody Guthrie (1912 – 1967) gekümmert hat. In Zusammenarbeit mit Nora Guthrie, der Tochter von Guthrie, Michael Kleff, dem Chefredakteur des deutschen Folker-Magazins, und Ralf Böhme, dem Produzenten, haben Wenzel & Band ein wahrlich eindrucksvolles Album vorgelegt. 14 Tracks in kurzweiligen 49:41 Minuten.

Nachdem der britische Singer / Songwriter Billy Bragg bereits Guthrie ehrte, war es nun ein Wunsch der Tochter, dass ein deutscher Poet und Sänger unveröffentlichte Songs ihres Vaters bearbeitet. Sie lernte Wenzel bei einem Auftritt auf dem Festival des politischen Liedes in Berlin kennen und schätzen. Und sie ist nach eigenen Aussagen mehr als glücklich und zufrieden mit dem, was Wenzel in sich aufgenommen und wieder herausgelassen hat. Der stille, fast vergessene Woody - Vorbild von Dylan, politischer Aktivist und Humanist mit einem großem Maß an Empathie schimmert bei Wenzel fühlbar durch. Der Sänger, die Musiker und das Album wirken unglaublich inspiriert.

Erstklassig ist allein schon das Booklet: Alle Texte in Deutsch und Englisch, die Originaltexte teilweise mit Entstehungsort und –zeit (1935 – 1953). Aufschlussreiche Liner Notes von Nora Guthrie (englisch) und Michael Kleff (deutsch). Ein detailliertes Line-Up und immer wieder diese Fotos – ungeschönte schwarz / weiße Fotographien von Kindern in Armut aus allen Teilen der Welt, anrührend bis bedrückend, jeweils mit genaue Quellenangaben. Wertvolle, konzeptionelle, saubere Leistung.

Die Songs sind grob in vier Genres einzuteilen. Da sind zum einen die wunderbaren Chansons mit Akkordeon, Trompete, Gitarre (Bin zu lang am Fluss hier, Asche zu Asche und Ich bin nicht mehr zu Haus in der Bowery). Ernste Inhalte die dennoch eine jazzige, swingende Note in der musikalischen Umsetzung erlauben. Dann gibt es die Klavier-Balladen wie Erst nach Hundert Jahren und Neunzig Meilen Orkan, die durch Wenzels intensiven Gesang, der nach Zigaretten & Whisky schmeckt, wirkungsvoll aufgeraut werden. Zwischendrin schlawenzeln sich herrliche Country-Folkies mit dynamischem Ska (Auf der Flucht vor Staub und Dreck) und eingängigen Melodien (Wehe großer Wind), die Texte mit subtilen Sprachgefühl übersetzt – dennoch direkt, kritisch & anarchistisch. Wenzel hat pointieret die richtige Spur Dreck in der Stimme, bleibt immer authentisch und verständlich. Da erinnern so ehrliche Nummern wie die Seemannslieder War so lange Zeit auf See und Deine Augen schon mal an Rio Reiser. Bei einigen Stücken kann man übrigens auch Nora Guthrie singen oder sprechen hören.

Man kann und sollte die CD mehrmals und immer wieder zelebrieren, um den allzu wahren ersten Satz im Presse-Info zu verinnerlichen: „Wenzel & Band singen, spielen, rufen, tanzen und entreißen dem Vergessen Woody Guthrie.“ Sie mischen Traditionen, entzaubern aber niemals. Sie unterhalten, ohne Guthries eigenwillige Lyrik zu demontieren. Großartig!

Regina Sommerfeld
WENZEL: Ticky Tock – 2003, Conträr 27 / Indigo 1925-2 CD