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Kultur von Mord und Totschlag

Der Aufbau von Infrastruktur ist wichtiger Bestandteil der Strategie von Rechtsradikalen


Rund 3.000 Personen gehörten in Berlin nach Einschätzung der Polizei 1999 zum so genannten "rechtsextremistischen Potential". Darunter finden sich sowohl Parteimitglieder von NPD und DVU als auch rechtsextreme Skinheads und organisierte Neonazis. Diese Zahlen sind allerdings nur ein grober Richtwert: Längst können sich organisierte Rechtsextremisten auch in Berlin auf ein wesentlich größeres, zumeist jugendliches Umfeld stützen und daraus neue Mitglieder rekrutieren.

Die rechte Infrastruktur in der Stadt bietet dieser Zielgruppe alles, was zum rechten Lifestyle dazu gehört. Zu dieser "rechten Erlebniswelt" zählen auch der gemeinsame Besuch von verbotenen Konzerten oder "nationalen Fußballturnieren" unter der Schirmherrschaft der NPD, "Kameradschaftsabende" der in mindestens zehn Stadtteilen Berlins agierenden "Freien Kameradschaften" und die Teilnahme an Neonazi-Aufmärschen.

Die Strategie der Rechtsextremisten, sich auf lokaler Ebene durch die Schaffung einer eigenen Infrastruktur zu verankern und damit neue Anhänger zu gewinnen, wurde zuerst 1992 aus Kreisen des "Nationaldemokratischen Hochschulbundes" formuliert. Die Überschrift: "National befreite Zonen schaffen". In dem Papier wird beschrieben, wie diese Zonen erobert werden können: Durch die "Errichtung eines unabhängigen Buchladens, wo man auch Bücher und Schriften, Aufkleber und Flugblätter kaufen kann, die man sonst nirgends bekommt. (...) Oder eine Druckerei, eine Werbeagentur, ein Reiseunternehmen für kleine Geldbeutel. Man kann T-Hemden oder Schallplatten verkaufen, es gibt tausend und eine Möglichkeit, aus dem System auszubrechen und Kohle zu verdienen, ohne daß man sich ruiniert oder man zum Hampelmann des Systems wird." Als weiteren Effekt nennen die Autoren die bessere Vernetzung von Rechtsextremisten.

Eine herausragende Rolle in der rechten Erlebniswelt spielt nach Ansicht der Autoren des Sammelbandes White Noise - Einblicke in die internationale Neonazi-Musikszene die Verbindung zwischen rechter Kultur und Politik in Form von Nazimusik. Nach ihren Schätzungen wurden in den letzten zehn Jahren allein in Deutschland rund 1,5 Millionen rechtsextreme CDs produziert - in einer Auflage zwischen wenigen hundert und 15.000 Exemplaren. Drei der bekanntesten deutschen Neonazibands kommen im Übrigen aus Berlin: "Spreegeschwader", "Blut & Ehre" und "Landser".

Organisatorischer Vorreiter in diesem Bereich war bisher das Mitte September verbotene neonazistische Netzwerk "Blood & Honour", dessen Zentrale sich in Berlin befand. Die Aufgabe sei es, schrieb der "Blood & Honour"-Chef Stephan Lange aus Berlin schon 1998, "Patrioten verschiedener Stilrichtungen zu sammeln und zu einen, nicht nur in der Musik, sondern im Kampf."

Doch auch das Geldverdienen kommt bei dem Geschäft mit der Hassmusik nicht zu kurz. Der Gewinn pro verkaufter CD beträgt zwischen 20 und 25 Mark. Selbst kleinere Geschäfte kommen so auf Monatsumsätze zwischen 15.000 und 40.000 Mark. Die Autoren von White Noise schätzen, dass 1999 bundesweit rund 10 Millionen Mark Umsatz mit antisemitischen, rassistischen und nationalsozialistischen Tonträgern gemacht wurden. Um die Gewinne aus dem einträglichen Geschäft gibt es immer wieder heftigen Streit: Während ein Teil der Produzenten vor allem auf den eigenen kommerziellen Erfolg aus ist, wollen die Kader von "Blood & Honour" mit dem Gewinn rechtsextreme Propaganda finanzieren.

Was die Autoren des Strategiepapiers zum Aufbau "National befreiter Zonen" schon vor Jahren unverhüllt angekündigt haben - "Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind" -, wird mit Hilfe der entsprechenden Musik transportiert und vom jugendlichen Fußvolk umgesetzt.

Die tödliche Botschaft ist längst angekommen. In Guben hatten die rechten Jugendlichen, die den Asylbewerber Farid Guendoul in den Tod hetzten, nach eigenen Aussagen die verbotene Musikkassette "Republik der Strolche" der Berliner Neonaziband "Landser" gehört. Da heißt es unter anderem: "Stellt Euch mal vor, eines Tages überfällt uns ein Millionenheer Hungernder aus der Dritten Welt. Wie wollt Ihr sie abhalten, mit Euren Argumenten? Dann hol ich meine Waffe raus und blas sie alle weg!" In Dessau fand die Polizei bei den Mördern des Mosambikaners Alberto Adriano, der im Juni dieses Jahres im Stadtpark von Dessau von drei rechtsextremen Skinheads erschlagen wurde, ebenfalls CDs der einschlägigen Bands " Kraftschlag", "Endstufe" und - wieder einmal - "Landser". HEIKE KLEFFNER

taz Berlin lokal Nr. 6264 vom 7.10.2000, Seite 23, 154 TAZ-Bericht, HEIKE KLEFFNER